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Nach dem Referendum
Zwischen Stolz und Angst

Die einen feiern das Nein zu den Sparmaßnahmen als Sieg und glauben, dass Griechenland nun sogar Vorbild für andere verschuldete Mittelmeerstaaten werden könnte. Andere hingegen fürchten, dass der Grexit immer näher rückt. Und wieder andere halten eine Rückkehr zur Drachme für gar nicht so abwegig.

Von Anja Nehls | 06.07.2015
    Demonstranten stehen mit griechischen Fahnen und "Oxi"-Plakaten vor dem angestrahlten Parlament in Athen.
    "Ein Grexit ist möglich, glaube ich vom Euro, aber ein Exit von der EU, nein, glaube ich nicht." (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Im Terzo Mondo in Berlin-Charlottenburg wird gefeiert. Griechen und Deutsche sitzen bei Ouzo oder Retsina an Holztischen und der Chef ist mittendrin, meist mit Handy am Ohr:
    "Dann erzähl ich dir auch was in Griechenland ab morgen sein wird, denn es war sehr sehr wichtig diese Wahl."
    Den ganzen Abend haben Kostas Papanastasiou und seine Gäste die Abstimmung verfolgt, meist über das Internet:
    "Wir haben viel gejubelt und Bravo gerufen und haben gesagt: Wieder zwei Prozent nach oben und so weiter, bis das jetzt über 60 Prozent geworden ist, ja."
    Das Gefühl der Tyrannei
    Kostas hat bei der letzten Wahl Alexis Tsipras gewählt. Dieser Abend nun sei ein guter, für Griechenland und Europa, meint der 78-Jährige:
    "Die erste Seite, dass das gut ist, ist dass wir mit den Leuten, mit denen wir verhandeln müssen, auf gleicher Ebene stehen wollen, wir wollen nicht bücken. Wir bleiben dabei bei unseren Verpflichtungen, aber die sind nicht zu lösen, indem man ein Volk tyrannisiert."
    Die meisten Gäste im Terzo Mondo sehen das ähnlich. Am späten Abend schaut Katharina Thalbach vorbei. Umarmung. Küsschen, sie freut sich mit Kostas und allen Griechen, die mit Nein gestimmt haben:
    "Ich finde das großartig, also man muss irgendwann diesem Wirtschaftsgespinst auch mal die Stirn zeigen, wenn die meinen, sie können immer alles mit den Leuten machen. Und ich meine, ich weiß nicht was daraus wird, aber es kann ja gar nicht schlechter werden.
    Ich nehme an, dass mit der ganzen Arroganz dieser Leute einer linken Regierung gegenüber, das erst einmal knallhart werden wird. Aber wenn die Griechen wirklich Fantasie haben und Stolz haben, dann können sie auch von Oliven und von der Sonne und von Touristen leben."
    Stolz sind sie, die Griechen. Das Szenario von einem Verlassen der EU oder der Verlust des Euro schreckt Kostas deshalb nicht:
    "Wenn sie nicht wollen, dann wollen sie nicht, dann sollen sie uns aus Europa schmeißen, von mir aus. Wenn die uns zusammenbrechen lassen, dann gehen wir zu unserer Drachme und wir lebten Jahrzehnte mit dieser kleinen Frau, die Drachme heißt, ja."
    Die Angst vor dem Grexit
    Allerdings gibt es auch Griechen, die das anders sehen. Maria Eleni Tsirpanli ist 21 Jahre alt, stammt aus Athen und studiert deutsches und europäischen Recht an der Humboldt Uni.
    "Ich weiß nicht, ob es eine gute Entwicklung für Griechenland als ein Mitgliedsstaat Europas ist, weil da gibt es soviel Angst in Griechenland. Und wenn es jetzt einen Grexit gibt, dann gibt es noch mehr Angst und noch mehr Unsicherheit. Ich weiß, dass es für die Griechen keine gute Entwicklung sein wird, wenn es zu einem Grexit kommt."
    Die Abstimmung mit Nein findet die Studentin gut, weil sie die griechische Regierung stärkt. Als Juristin zweifelt sie aber daran, dass es rechtlich überhaupt möglich sein wird, Griechenland aus der EU zu schmeißen:
    "Ein Grexit ist möglich, glaube ich vom Euro, aber ein Exit von der EU, nein, glaube ich nicht."
    Die meisten Berliner Griechen sind optimistisch, dass die Verhandlungen wieder aufgenommen werden und dass man sich schon einigen wird, irgendwie. Im Terzo Mondo wird diskutiert, die ganze Nacht. Ein Gefühl der Stärke. Schließlich könnte Griechenland jetzt ein Vorbild werden für andere verschuldete Mittelmeerländer.
    "Die Spanier auch, und Portugal, jetzt feiern die Portugiesen und die Spanier auf der Straße. Davor haben die Europäer Angst und deshalb wollten sie diesen Mann, den Griechen, diesen Tsipras, wollten sie vernichten. Und jetzt müssen sie feststellen, dass sie ihm einige Zentimeter mehr Größe gegeben haben und seine Muskeln mehr Kraft bekommen haben."