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Nach den Genen nun die Eiweiße

Genforschung. - Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms war ein Meilenstein für die Wissenschaft. Doch die eigentliche Arbeit beginnt jetzt erst. Den genetischen Informationen müssen Funktionen zugeordnet werden, um auf therapeutisch wirksame Stoffe schließen zu können. Parallel dazu macht ein weiteres Schlagwort die Runde: das Proteom. Dabei handelt es sich um den Satz an Eiweißen in einer Zelle. Deren Funktionen und ihr Zusammenspiel diskutierten die Proteom-Forscher auf ihrer europäischen Jahreskonferenz "Proteomics Europe" in München, die heute zu Ende ging.

    Gene bilden zwar den Bauplan für die Eiweißmoleküle in einer Zelle, doch diese Proteine selbst sind für die Pharmaforschung viel aussagekräftiger als die Gene. Denn neun von zehn Medikamenten beeinflussen Proteine. Bei dem großen Interesse an den Proteomen verwundert es nicht, dass es inzwischen auch eine Humanproteom-Organisation, kurz HUPO, gibt. Ihr Präsident Ian Humphery-Smith von der Universität Utrecht erklärt: "Je mehr wir uns auf die Moleküle konzentrieren, die in der Zelle etwas bewirken, um so näher sind wir an der Realität dessen, was biologisch passiert. Wenn man also auf der Ebene der Proteine nach Zielstrukturen für Medikamente sucht, ist das für die Pharmaindustrie viel wertvoller, als auf die DNA zu schauen."

    Für die Pharmaforschung ist besonders wichtig, welche Proteine etwas mit Krankheiten zu tun haben. Dazu muss man die Funktionen von Proteinen in der Zelle kennenlernen. Wissenschaftler der Martinsrieder Firma Xerion entwickelten nun eine Technik, um diese Frage zu beantworten. Mit ihrer Hilfe lassen sich gezielt einzelne Proteine zerstören, um dann herauszufinden, welche Funktionen in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn dieses Eiweiß fehlt. Daraus lässt sich dann in gewissen Grenzen schließen, bei welchen Funktionen das Eiweiß eine Rolle spielt und bei welchen nicht. Die Schwierigkeit besteht darin, gezielt eine bestimmte Sorte Protein auszuwählen. Eine Schwierigkeit, für die die Natur bereits eine Lösung gefunden hat: die Antikörper in der Körperabwehr.

    Den Wissenschaftlern von Xerion ist es gelungen, Antikörper in eine Zelle hineinzubringen, berichtet Xerion-Forscher Fritz Rudert: "Wir wenden einen Prozess an, der eine kleine Zeitbombe an das Antikörpermolekül heftet. Diese Zeitbombe, in unserem Fall ein Fluoreszenzfarbstoff, können wir bewusst zünden, indem wir auf die Probe, das zu untersuchende Protein in der Zelle, einen Laserstrahl richten, der nun das Fluoreszenzmolekül, das an unserem Antikörper sitzt, anregt, freie Radikale zu bilden." Freie Radikale sind aggressive Moleküle, die das Eiweiß zerstören können. Sie haben eine kurze Lebensdauer und vernichten deshalb ausschließlich das Protein, auf dem der Antikörper sitzt. Mit ihrer Methode haben die Xerion-Forscher bereits herausgefunden, dass bei der Artherosklerose ein Enzym beteiligt ist, das die Zellen der Gefäßwände zerstört. Ein Pharmakonzern entwickelt nun einen Wirkstoff, mit dem sich dieser Prozess stoppen lässt.

    [Quelle: Hellmuth Nordwig]