Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Nach der Abkehr vom Atomausstieg

Das Kernkraftwerk Biblis in Südhessen ist seit weit über 30 Jahren am Netz. Obwohl sein Zustand nicht besonders gut ist, sollen auch diese beiden Blöcke weiter laufen. Die umliegende Bevölkerung hat Angst - und klagt.

Von Dagmar Röhrlich und Annette Wilmes | 28.02.2011
    RWE-Power ist stolz auf Biblis.

    "Die beiden Blöcke A und B des Kernkraftwerks Biblis östlich von Worms gingen 1974 bzw. 1976 ans Netz und setzten seinerzeit sowohl national als auch international technische Maßstäbe."

    Seit 35 Jahren sind die Dampfwolken aus den beiden Kühltürmen so etwas wie ein "Wahrzeichen" in der flachen Landschaft am hessischen Oberrhein. Man schaffe 1000 eigene Arbeitsplätze, vergebe jährlich Aufträge im Wert von 70 Millionen Euro an Firmen in der Region, versorge 6,5 Millionen Haushalte mit Strom, heißt es auf der Webseite des Unternehmens:

    "Dabei vermeidet es gegenüber der Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen den Ausstoß von etwa 15 Millionen Tonnen CO2."

    Diese Zahlen beeindrucken Jörn Burger überhaupt nicht. Er wohnt in Mörfelden-Walldorf - 40 Kilometer von Biblis entfernt:

    "Das hört sich nur ungefährlich an. Im Falle eines GAU in Biblis würden wir hier, wo wir jetzt sitzen, in jedem Fall in einem Bereich sein, der sehr stark kontaminiert werden würde."

    Und so ist Jörn Burger einer der neun Kläger, die mit Unterstützung von Greenpeace in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke eingereicht haben. Der Grund:

    "Auf jeden Fall muss ich damit rechnen, dass mein Lebensinhalt im Falle eines GAU in Biblis mir genommen wird."

    Er sieht sein Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzt: Nicht nur, weil die beiden Reaktoren als störanfällig gelten, sondern auch, weil er als ehemaliger Verkehrspilot Terroranschläge wie die auf das World Trade Center in New York fürchtet. Schließlich hatte 2007 das Ökoinstitut Darmstadt in einer Studie für Biblis A das Bedrohungspotenzial eines "gezielten Flugzeugabsturzes" analysiert. Das Ergebnis:

    "Bei den ältesten, nicht explizit gegen Flugzeugabsturz ausgelegten Kernkraftwerken, ist bei realistisch möglichen Absturzszenarien eine großflächige Zerstörung des Reaktorgebäudes nicht sicher ausgeschlossen. In der Folge kann es zu einer Kernschmelze kommen."

    Denn Sicherheitssysteme könnten durch Treibstoffbrände, Trümmer und Wrackteile ausfallen: Je nach Windrichtung träfe die radioaktive Wolke Berlin oder Wien oder Köln oder Hamburg. Und auf jeden Fall Mörfelden-Walldorf:

    "Man müsste zwar nicht sofort diesen Bereich verlassen, aber doch recht zügig, und der dürfte dann für lange Dauer, ich rechne mit Jahrzehnten, nicht mehr bewohnbar sein."

    Deshalb empört Jörn Burger, dass der Atomausstieg mit der neuerlichen Novellierung des Atomgesetzes verzögert wird. Schließlich hatte die rot-grüne Bundesregierung 2002 die maximalen Laufzeiten der Kernkraftwerke auf 32 Voll-Lastjahre festgelegt. Danach wäre das letzte deutsche Kernkraftwerk um 2021 abgeschaltet worden. Biblis selbst hätte eigentlich schon 2009 vom Netz gehen müssen, aber durch die Übertragung von Reststrommengen durfte es etwas länger produzieren. Trotzdem wäre es bald so weit gewesen:

    "Es war mir zwar immer noch zu spät, aber okay, ich habe gesehen: Das hat jetzt mal ein Ende. Ja, und nun war ich natürlich unheimlich empört, dass sich die Atomlobby dann gegenüber der Bundesregierung so erfolgreich durchgesetzt hat, und diese beiden Reaktoren noch bis 2018 laufen werden."

    Das neue Gesetz, das die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängert, ist mit der Regierungsmehrheit von Schwarz-Gelb im Oktober 2010 verabschiedet worden.

    "Beschlossen worden ist eine Verlängerung der Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre. Genauer gesagt, die älteren Anlagen sollen acht Jahre länger laufen und die neueren 14 Jahre länger. Altanlagen heißt: die Anlagen, die vor 1980 ans Netz gegangen sind. Das sind sieben an der Zahl in Deutschland. Und der Rest, also zehn Anlagen, sind sogenannte neuere Anlagen",

    erklärt Lothar Hahn. Früher Atomexperte am Öko-Institut Darmstadt und Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit. Inzwischen ist das Gesetz auch in Kraft getreten. Das empört nicht nur die Anwohner in der Nähe der Biblis-Reaktoren, sondern auch die Opposition:

    Steinmeier:

    "Diese Bundesregierung hat im vergangenen Herbst dann die Entscheidung getroffen, die Laufzeiten für Kernkraftwerke zu verlängern. Nach unserer Überzeugung in verfassungswidriger Art und Weise."

    Trittin:

    "Wir stehen hier und legen vor einen Antrag auf Normenkontrolle. Wir haben uns zusammengeschlossen, um das, was wir mal gemeinsam auf den Weg gebracht haben, gegen einen verfassungswidrigen Angriff darauf zu verteidigen."

    Die beiden Fraktionsvorsitzenden, Frank-Walter Steinmeier und Jürgen Trittin, heute Vormittag, als die Bundestagsfraktionen der SPD und der Grünen ihren Normenkontrollantrag vorstellten, mit dem sie gegen das neue Atomgesetz vorgehen wollen. Parallel dazu traten die SPD-regierten Länder mit ihrer Verfassungsklage vor die Bundespressekonferenz. Sie wollen mit ihren Normenkontrollklagen erreichen, dass das neue Atomgesetz für nichtig erklärt wird. Die frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, Mitglied des Bundestages, Justitiarin der SPD-Fraktion:

    "Wir halten diese Entscheidung der Bundesregierung, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern, für eine falsche Entscheidung. Das ist der politische Aspekt. Aber die Seite hat natürlich auch einen rechtlichen Aspekt, und der rechtliche Aspekt ist der, dass wir erstens sagen, ihr hättet den Bundesrat beteiligen müssen, ihr könnt die Länder nicht übergehen, weil die Länder nach der Verfassung dazu berufen sind, die Verwaltung, die Ausführung des Atomgesetzes, vorzunehmen. Und der zweite Aspekt ist der, dass wir sagen, dadurch, dass das Gesetz jetzt so verändert wird und die Laufzeiten noch mal so weit verlängert werden, sind auch Sicherheitsbedenken betroffen. Und dagegen wollen wir auch zu Felde gehen und wollen sagen, dieses Gesetz ist auch materiell verfassungswidrig."

    Beide Normenkontrollklagen, die der Länder und die der Bundestagsabgeordneten, richten sich in erster Linie gegen das Zustandekommen des Gesetzes. Die Bundesregierung hatte eine Zustimmung des Bundesrates, also der Länder, nicht für erforderlich gehalten. Und das sei verfassungswidrig, argumentieren die Kläger. Um diese Frage, zustimmungspflichtig oder nicht, wird seit Monaten gestritten. Welche Gesetze der Zustimmungspflicht der Länder unterliegen und welche nicht, ist im Grundgesetz geregelt. So hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die "Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken", wie es in Artikel 73 heißt. Aber die Länder führen die Gesetze aus und müssen für den sicheren Betreib der Atomkraftwerke sorgen. Deshalb dürfen die Länder mit stimmen, das ist in Artikel 87 c festgelegt. Aber trifft dies auch zu, wenn ein Gesetz durch eine Novelle nur verändert wird, wenn es nur die schon früher bestehenden Aufgaben verlängert?

    "Schon, es geht nur um die Verlängerung.",

    sagt der emeritierte Jura-Professor Christian Pestalozza:

    "Allerdings wird man schon auch sagen und sagen auch Experten, also die in der technischen Frage Experten sind, dass sich mit der Verlängerung auch qualitativ neue Probleme stellen wegen erhöhter Sicherheitsrisiken oder dergleichen. Das kann ich nicht beurteilen. Aber ungeachtet der Technik ist doch ganz klar, dass wenn eine Aufgabe zu Ende gehen soll zu einem bestimmten Zeitpunkt und ich dann sage, dieselbe, wir unterstellen mal dieselbe Aufgabe wirst du weiter verfolgen müssen, darfst du weiter verfolgen oder musst du verfolgen. Das ist genauso gravierend, als wenn ich eine völlig neue Aufgabe übertrage. Also dass es um etwas geht, was die Länder eigentlich gewohnt sind und was sie können, in das sie eingeübt sind, besagt nichts darüber, dass es einer Neuübertragung gleich kommt."

    Aber wenn diese Änderung zustimmungspflichtig ist, hätte dann nicht auch das Gesetz von 2002, das unter Rot-Grün den Ausstieg aus der Atomkraft einleitete, der Zustimmung der Länder bedurft? Professor Pestalozza:

    "Das war der groß gelobte, hoch gelobte Atomausstieg. Hat also eine bestimmte Verwaltungstätigkeit der Länder, die in dem vorausgehenden Atomgesetz vorgesehen war, beendet. Und die Beendigung dieses bestimmten Vollzugstyps, mit dem die Länder belastet werden, bedarf nach dem Grundgesetz nicht der Zustimmung, sondern nur die Übertragung dieser Art von Verwaltung auf die Länder. Aber nicht die Beendigung der Übertragung. Aus diesem Grunde bedurfte seinerzeit die Novelle 2002 nicht der Zustimmung des Bundesrates."

    Bisher gibt es zu diesen Rechtsproblemen keine Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Einzig beim Luftsicherheitsgesetz hatte das Gericht beschlossen, dass es keiner Zustimmung der Länder bedurfte. Dieser Entscheidung, meint Pestalozza, lag jedoch ein anderer Sachverhalt zugrunde als bei der Novelle des Atomgesetzes.

    "Anders als beim Luftsicherheitsgesetz, wo das Gericht ja gesagt hat, nein, das ist zwar eine Umgestaltung, aber nicht so wesentlich, dass es die Zustimmungspflicht auslöst, würde man hier sagen müssen, doch, das ist ganz wesentlich, eine alte Aufgabe, die sich erledigt hätte, wird nun fortgesetzt. Das ist dasselbe wie die frische Übertragung, das ist noch mehr eigentlich als die Umgestaltung der alten Aufgabe."

    Rechtsanwalt Reiner Geulen hat zahlreiche Prozesse gegen Atomkraftwerke vor den Verwaltungsgerichten geführt. Zum Beispiel erreichte er, dass das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich stillgelegt wurde, ebenso der Schnelle Brüter in Kalkar. Die Atom-Novelle von 2010, die den Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig machen soll, wirft jedoch ganz andere Fragen auf. Neuland - selbst für den erfahrenen Atomrechtler.

    "Die Atomnovelle der rot-grünen Regierung, das Ausstiegsgesetz, war ja auch Neuland. Man hat mit den Atomenergieversorgern einen Vertrag geschlossen und den dann in Gesetzesform gegossen, auch das war neu. Und bis vor kurzer Zeit wurde das ja auch beachtet. Jetzt ist es wieder Neuland, dass eine solche damals konsensual gefundene Regelung wieder aufgehoben werden soll."

    Und so ist Jörn Burger einer der neun Kläger, die mit Unterstützung von Greenpeace in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke eingereicht haben. Der Reiner Geulen ist an dem Verfahren in Karlsruhe nicht beteiligt. Er hat aber einen Aufsatz in der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht veröffentlicht, in dem er der Frage nachgeht, ob die Verlängerung der Betriebszeiten der Atomkraftwerke der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

    "Das alles ist sehr kompliziert, in Wirklichkeit aber sehr einfach. Im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung, das ist das hier, sind Gesetze zustimmungspflichtig, die den Ländern neue oder wesentlich andere Aufgaben, qualitativ andere Aufgaben, aufbürden. Im Fall des Atomrechts ist das ganz einfach, wenn es nur um eine Verlängerung der Arbeiten geht, um sagen wir fünf Jahre, dürften das keine qualitativ neuen Aufgaben sein. Also keine Zustimmung des Bundesrats. Wenn es aber um qualitativ neue Aufgaben geht, müsste der Bundesrat zustimmen."

    Vor allem, meint Reiner Geulen, müsse sich das Bundesverfassungsgericht jetzt mit der Frage befassen, wie denn diese neuen Aufgaben, die im Zuge der Laufzeitverlängerung anfallen, im Einzelnen aussehen.

    "Und da kommt man dann sehr stark in das Kernproblem rein. Es geht ja gerade um die Altreaktoren hier, die sind nicht ausgelegt gegen terroristische Anschläge. Die haben sehr dünne Druckwände und so weiter. Und die Nachrüstungen dieser Anlagen, darum geht es eigentlich, die werden erforderlich sein, und das sind Aufgaben, die die Länder bisher überhaupt noch nicht gehabt haben. Kein deutscher Reaktor ist gegen terroristische Anschläge ausgelegt, ist inzwischen auch vom Bundesverwaltungsgericht mehrfach so entschieden worden, und da diese Auslegung nun erforderlich wäre, und das ist nur ein Punkt, sind das ganz wesentliche qualitativ andere Aufgaben, die die Länder jetzt erstmals durchführen müssten und deshalb die Zustimmungspflicht des Bundesrates."

    Es geht aber nicht nur die Folgen möglicher terroristischer Anschläge. Zunächst einmal kämen deutsche Kernkraftwerke mit der Laufzeitverlängerung auf maximal 46 Jahre, erläutert Rudolf Wieland, Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission und Geschäftsführer der TÜV Nord Systems. Damit bleibe man in dem Zeitraum, für den die Anlagen ausgelegt worden sind.

    "Der Status der deutschen Kernkraftwerke, jedenfalls derjenigen, die im Betrieb sind, ist erst einmal der, dass sie alle eine gültige Genehmigung haben. Und wenn eine gültige Genehmigung vorliegt und die Anlagen in Betrieb sind, heißt das, alle Genehmigungsvoraussetzungen auch erfüllt sind, das heißt also, dass die Anlagen auf einem nach der Genehmigung sicheren Stand betrieben werden."

    Dennoch: dem Atomkritiker Lothar Hahn erscheint die Laufzeitverlängerung von pauschal gesetzten acht Jahren für Alt- und 14 Jahren für neuere Reaktoren als nicht unbedingt wissenschaftlich begründet:

    "Ich halte das für relativ willkürlich, diese Wahl. Sie orientiert sich erkennbar nicht an sicherheitstechnischen Überlegungen. Diese sieben älteren Anlagen, wenn man die mal nimmt, die sind so unterschiedlich, dass man die gar nicht über einen Kamm scheren kann, den Kamm von acht Jahren. Jede Anlage hat eigene Charakteristika, hat eine eigene Geschichte, eine eigene Nachrüstgeschichte, hat eine eigene Betriebsmannschaft, eine eigene Sicherheitskultur und so weiter. Man muss jede Anlage einzeln untersuchen."

    Und für jede Anlage einzeln festlegen, was und wo nachzurüsten ist. Zwischen neuen und alten Anlagen gibt es etliche Unterschiede, schließlich haben sich die Sicherheitskonzepte weiterentwickelt: etwa bei der "Redundanz" der Sicherheitssysteme. Rudolf Wieland:

    "Es gibt bei älteren Anlagen ein Konzept, dass man die einzelnen Stränge wie zwei unterschiedliche Bereiche aufgebaut hat. Bei neueren Anlagen ist das durchgängig in vier Strängen. Man hat jetzt natürlich durch einzelne Nachrüstungen auch diese älteren Anlagen verbessert, dass es also übergreifend Ausfälle nicht geben kann."

    Vollkommen beseitigen lässt sich der Mangel jedoch aus baulichen Gründen nicht. Das gilt auch für die fehlende Abschirmung gegen Flugzeugabstürze. An diesem Punkt sorgt ein neuer Paragraf im Atomgesetz für Aufregung: der 7d.

    "Der besagt, dass man im Rahmen einer Anpassung an den fortschreitenden Stand von Wissenschaft und Technik die Dinge umsetzen sollte, die einen relevanten Beitrag auch zur Sicherheit bringen können."

    Allerdings müssen diese Maßnahmen im Hinblick auf die noch vorhandenen Restlaufzeiten auch angemessen sein. Theoretisch könnten die Behörden die Betreiber zu teuren Nachrüstmaßnahmen verpflichten, wenn der Sicherheitsgewinn groß genug erscheint - und die Betreiber müssten dann entscheiden, ob sich diese Investitionen noch rechnen - oder ob sie das Kraftwerk lieber vom Netz nehmen. Ob es dazu kommen wird, da ist sich Lothar Hahn nicht sicher:

    "Im 7d steht nur drin: was vernünftigerweise machbar ist, sollte gemacht werden. Aber wie zwingend das dann ist, steht da nicht drin. Handhaben, das durchzusetzen, sind da nicht drin verankert, das muss dann die Behörden vor Ort machen. Das ist alles sehr, sehr weich, und ich bin da sehr skeptisch, ob wirklich das getan wird, was man eigentlich erwarten könnte."

    Vielleicht warten die Betreiber auch ab, denn sicher sein, dass die nächste Bundesregierung das Atomgesetz nicht auch wieder ändert, können sie nicht:

    "Da sehe ich die große Gefahr. Acht Jahre bei den älteren, 14 Jahre bei den neueren, das geht schnell vorbei. Und wenn man auf Zeit spielt, das haben einige Betreiber uns vorgemacht in der Vergangenheit, wenn man auf Zeit spielt, kann man um viele Dinge sich herum drücken. Das trifft nicht für alle Anlagen zu, auch nicht für alle Betreiber, es gibt durchaus Betreiber, die auf dem Stand sind, auf dem aktuellen Stand."

    Um nicht in endlosen Diskussionen mit den Betreibern zu versinken, gibt es zur Atomgesetznovelle eine Art "Nachrüstliste", die allerdings gesetzlich nicht bindend ist. Die Landesbehörden könnten diese Liste als eine Art Leitlinie zur Bewertung der Atomkraftwerke nutzen, etwa um Auseinandersetzung zu verkürzen, was angesichts der Restlaufzeit angemessen ist und was nicht.

    Diese Liste hat durchaus ihre Kritiker. Sie bemängeln beispielsweise, dass Maßnahmen, die für einige Reaktoren durchaus wichtig wären, nur als "mittelfristig zu realisieren" eingestuft worden sind. Etwa der Einbau eines zusätzlichen Systems, mit dem im Störfall das Neutronengift Bor in die Anlage gespeist wird, um die Kettenreaktion zu stoppen. Lothar Hahn:

    "Die Frage ist: Was ist mittelfristig vor dem Hintergrund von 8 beziehungsweise 14 Jahren."

    Offen lässt das novellierte Atomgesetz auch, was bei den Maßnahmen geschehen soll, die im Rahmen des Atomkonsenses gesondert behandelt worden sind:

    "Vor circa zehn Jahren hatte man mit dem Ausstiegsbeschluss sich eingestellt auf bestimmte Laufzeiten und damit auch auf bestimmte Nachrüstprogramme. Und man hat auch bestimmten Anlagen Nachrüstungen, die eigentlich notwendig wären, erlassen mit Hinblick auf die wenigen Jahre, die noch zur Verfügung standen."

    Beispiel Biblis A und B. Beiden Blöcken fehlt ein externes Notstandssystem: eine verbunkerte Leitwarte, von der aus die Anlage auch bei einem Flugzeugabsturz oder einer anderen Extremsituation sicher heruntergefahren werden kann:

    "Alle Anlagen bis auf Biblis haben dieses externe, verbunkerte Notstandssystem, teilweise sind sie nachgerüstet worden. Nur bei Biblis hat man vorgesehen, dass die Blöcke sich gegenseitig stützen können. Das ist zwar ein gewisser Schutz, aber erreicht nicht das Niveau wie eines regulären Notstandssystems."

    Die Nachrüstung mit dem Notstandssystem war zwar notwendig, aber sehr aufwendig - deshalb habe man im Rahmen des Atomkonsenses wegen des Gebots der Verhältnismäßigkeit darauf verzichtet:

    "Jetzt soll Biblis wiederum acht Jahre länger laufen. Das Notstandssystem ist nicht nachgerüstet worden, und die Frage ist: wird das jetzt angeordnet? Ich bezweifle, dass das passieren wird."