Donnerstag, 28. März 2024

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Nach der Brexit-Entscheidung
"Das ist ein Schwarzer Freitag für die Finanzmärkte"

Die Weltbörsen und Finanzmärkte weltweit sind nach dem britischen Brexit-Referendum in große Turbulenzen geraten. Sollten die Geldmärkte als Folge des Marktschocks mit den heftigen Abwertungen des Pfunds oder des Euros austrocknen, müssten die Notenbanken nach Ansicht des Leiters der DLF-Wirtschaftsredaktion, Klemens Kindermann, eingreifen.

Klemens Kindermann im Gespräch mit Günter Hetzke | 24.06.2016
    Die Anzeigetafel zeigt in Frankfurt am Main (Hessen) im Handelssaal der Börse die Dax-Kurve an, nachdem die Briten für einen EU-Austritt gestimmt haben.
    Die DAX-Kurve im Handelssaal der Börse in Frankfurt fiel kräftig nach dem Brexit. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Günter Hetzke: Sind aus ihrer Sicht die Marktturbulenzen so groß, dass die Notenbanken eingreifen müssen?
    Klemens Kindermann: Ja, das sind sie. Der Starinvestor George Soros, dem vorher kaum jemand so richtig glauben wollte, der hatte recht mit seiner düsteren Vorahnung: das ist heute ein Schwarzer Freitag für die Finanzmärkte. Zwischenzeitlich brach der DAX um zehn Prozent ein – nur mal als Vergleich: das letzte Mal gab es einen Einbruch in ähnlicher Größenordnung am 24. Oktober 2008, im Auge des Orkans der Lehman-Krise, da waren es elf Prozent. Wobei das ja nicht nur den DAX heute trifft, sondern die Börsen in ganz Europa und weltweit. Heute wurden zeitweise unfassbare fünf Billionen Dollar an Börsenwert weltweit vernichtet. Auch hier mal ein Vergleich: das ist das Doppelte der gesamten Wirtschaftsleistung Großbritanniens. Also wenn das heute kein Tag ist, an dem die Notenbanken gefordert sind, dann weiß ich es auch nicht.
    "Eine Möglichkeit, die die Notenbanken haben: die verbale Intervention"
    Hetzke: Welche Möglichkeiten haben die Notenbanken denn überhaupt, um die Märkte zu beruhigen? Reicht es, sich hinzustellen und zu erklären, 'whatever it takes', was wir ja schon mal hatten?
    Kindermann: Sie meinen die legendären Worte von EZB-Präsident Mario Draghi auf dem Höhepunkt der Euro-Krise. Ja, das ist die eine Möglichkeit, die die Notenbanken haben: die verbale Intervention. Die sollte man auch nicht unterschätzen: Draghi hat die Handlungsfähigkeit der EZB angekündigt und das alleine reichte, um die Märkte zu beruhigen. Diese verbalen Interventionen gehören zum klassischen Instrumentenkasten der Notenbanken, das haben sie zum Beispiel auch bei großen Krisen angewandt wie bei 9/11 oder nach dem Tsunami in Japan 2011.
    Und dieses Mittel haben sie auch heute angewandt: Die Zentralbank stehe bereit, das Funktionieren der Märkte zu garantieren, hat heute der Chef der Bank von England, Mark Carney gesagt. Er nannte sogar eine konkrete Summe: mehr als 250 Milliarden Pfund. Und die Europäische Zentralbank hat eine ähnliche Erklärung vor gut zwei Stunden abgegeben, in der sie betont, sie stehe "bereit, falls nötig, zusätzliche Liquidität in Euro oder ausländischen Währungen zur Verfügung zu stellen". Und in dieser Formulierung steckt genau der entscheidende Hinweise auf die Frage, was denn die Notenbanken ganz praktisch tun können – darauf zielte Ihre Frage ja ab, Herr Hetzke:
    Die Notenbanken stellen Geld in verschiedenen Währungen zur Verfügung. Das können sie, weil sie untereinander Devisen-Tausch-Abkommen geschlossen haben, sogenannte Swap-Vereinbarungen, über die sie sich untereinander Devisen leihen können. Warum ist das so wahnsinnig wichtig? Weil die Geschäftsbanken Verbindlichkeiten in Fremdwährungen haben, die sie bedienen müssen, um nicht zahlungsunfähig zu werden. Wenn also die Geldmärkte austrocknen infolge eines solchen Marktschocks mit heftigen Abwertungen wie heute beim Pfund oder beim Euro – das sind ja nichts anderes als Kapitalabflüsse -, dann greifen diese Swap-Korridore.
    "Eine geldpolitische Ironie des Zufalls"
    Hetzke: Ein Problem lässt sich damit, meiner Ansicht nach, aber nicht bewältigen, nämlich die grundsätzlichen Zweifel am europäischen Zusammenhalt, die jetzt auftauchen werden. Werden wir uns bald wieder verstärkt mit der Staatsfinanzierung kriselnder Euro-Länder beschäftigen müssen?
    Kindermann: Ja, davon können wir seit heute eigentlich ausgehen. Diese Zweifel an einem europäischen Zusammenhalt, die könnten an den internationalen Finanzmärkten wachsen und Ländern wie Griechenland oder Portugal die Staatsfinanzierung erschweren. Ebenso in Spanien, wo am Sonntag gewählt wird, und das Vertrauen der Investoren sicher nicht gestärkt wird, wenn es dort einen Linksrutsch gibt und Reformen womöglich gar nicht mehr stattfinden. Die Zinsen, die diese Länder für Anleihen zahlen müssen, würden wieder nach oben gehen – wie in der Euro-Krise schon leidvoll gesehen.
    In diesem Fall könnte die EZB am Ende sogar ihr bisher ungenutztes OMT-Programm einsetzen, also den gezielten Aufkauf der Staatsanleihen von Krisenländern. Da wäre jetzt überhaupt kein Problem mehr: Denn erst in dieser Woche, am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht dieses umstrittene Programm durchgewunken. Eine geldpolitische Ironie des Zufalls.