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Nach der Katastrophe

Polen verharrt auch vier Tage nach dem schweren Flugzeugunglück in tiefer Trauer um Präsident Kaczynski und seine Frau, 18 Parlamentarier und 75 weitere Opfer. Doch die Präsidentenwahl rückt näher, auch wenn der Wahlkampf wohl ausfallen dürfte.

Von Florian Kellermann |
    500 Meter lang ist der Weg vom Königsschloss in Warschau bis zum Präsidentenpalast. So weit stand gestern Abend die Schlange der Trauernden, aber nicht einfach, sondern in vier Reihen. Auch die 53-jährige Buchhalterin Elzbieta Piotrowska wartete, um am aufgebahrten Sarg vom verstorbenen Präsidenten Lech Kaczynski Abschied zu nehmen.

    "Ich bin jetzt seit zweieinhalb Stunden hier und es wird wohl noch zwei Stunden dauern, bis ich dran komme. Aber ich finde, das sind wir ihm schuldig, er war unser aller Präsident. Hoffentlich verstehen auch die Politiker, dass wir jetzt Einigkeit brauchen, keinen Streit. Wir sollten ruhig und vernünftig nach einem Nachfolger suchen."

    Am besten sei ein gemeinsamer Kandidat, der über den Parteien steht, meint Elzbieta Piotrowska. Eine schöne Idee: Schließlich scheint es im Moment der nationalen Trauer schwer vorstellbar, dass verschiedene Politiker einen Wahlkampf gegeneinander führen. Dafür spricht auch, dass die Parteien unterschiedlich von dem Unglück betroffen wurden. Am meisten Spitzenpolitiker verlor die rechtskonservative Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS, die von Jaroslaw Kaczynski geleitet wird. Die PiS hat auch keinen Kandidaten für die anstehende Präsidentenwahl mehr: Sie wollte auf den verstorbenen Amtsinhaber Lech Kaczynski setzen, den Zwillingsbruder von Jaroslaw.

    Auch die Links-Partei SLD verlor ihren designierten Kandidaten, Jerzy Szmajdzinski, der mit im Unglücksflugzeug saß. Nur die rechtsliberale Regierungspartei "Bürgerplattform" von Premier Donald Tusk kann ihre Planungen beibehalten: Sie nominierte den Parlamentsvorsitzenden Bronislaw Komorowski für das Präsidentenamt.

    Während die einen Polen in dieser schwierigen Situation Einigkeit fordern, sehen andere schon wieder politischen Zwist auf sie zukommen. So der Taxifahrer Wojciech Tomaszewski, der seit Samstag viele Trauernde zum Präsidentenpalast bringt.

    "Wenn die Verstorbenen beerdigt sind, dann wird es mit dem Frieden vorbei sein. Dann beschimpfen sich die Politiker wieder als alte Kommunisten, als Diebe und was weiß ich noch alles. So ist das bei uns immer im Wahlkampf, und so wird es bleiben. "

    Tatsächlich keimen trotz Staatstrauer schon jetzt die ersten Konflikte auf. Ein als konservativ geltender Kardinal erklärte, Lech Kaczynski und seine Frau Maria sollten auf dem Wawel-Hügel in Krakau beerdigt werden. Dagegen protestieren Krakauer Intellektuelle: Denn in der dortigen Krypta liegen bisher nur Könige, Dichter und Nationalhelden, aber kein Präsident. Die Regierung hält sich in dieser Frage bisher bedeckt.

    Der Warschauer Politologe Wojciech Jablonski sieht hier die ersten Anzeichen dafür, dass die politische Auseinandersetzung wieder beginnt. Auch er hält die Idee eines gemeinsamen, überparteilichen Kandidaten für nicht durchsetzbar. Polen stehe ein Wahlkampf bevor, meint er, und da sei die PiS von Jaroslaw Kaczynski keineswegs chancenlos, trotz ihrer Verluste.

    "Der verstorbene Präsident Lech Kaczynski stand für seine Amtsführung oft in der Kritik und oft zu Recht. Er hatte nur geringe Chancen, wiedergewählt zu werden. Aber nun fühlt das ganze Land mit seinem Zwillingsbruder Jaroslaw mit, schließlich leidet er am meisten. Diese Sympathie könnte der PiS helfen, die ja in den vergangenen Monaten sehr schlechte Umfragewerte hatte."

    Der Regierungskandidat für Präsidentenamt profitiere keineswegs davon, dass zwei seiner Konkurrenten nicht mehr leben, so Wojciech Jablonski. Vielmehr habe Bronislaw Komorowski jetzt einen schwierigen Balanceakt zu leisten: Als Parlamentsvorsitzender hat er kommissarisch die Aufgaben des Präsidenten übernommen.

    "Jede seiner Entscheidungen wird jetzt genau unter die Lupe genommen. Mit anderen Worten: Er kann sich sehr leicht kompromittieren. Meiner Ansicht nach hat er schon einen Fehler gemacht: Der neue Leiter der Präsidentenkanzlei, den er berief, war kein Vertrauter von Lech Kaczynski. Da muss sich Komorowski auf Vorwürfe gefasst machen."

    Fest steht bisher nur, dass Komorowski die Präsidentenwahl so bald wie möglich ansetzen möchte. Er drängt auf eine Termin-Entscheidung noch in dieser Woche. Abzuwarten bleibt, ob die Buchhalterin Elzbieta Piotrowska oder der Taxifahrer Wojciech Tomaszewski Recht behalten: ob die polnischen Politiker zumindest bei dieser einen Präsidentenwahl friedlich und konstruktiv miteinander umgehen.