Kairo ist eine Stadt, die selbst am frühen Morgen vom Verkehr und vom Smog zu ersticken droht. Als ich mich gegen sieben Uhr zum berühmt gewordenen Tahrir-Platz aufmache, steigt feuchte Wärme vom Nil zur Corniche auf. Nur die roten Blüten der Flammenbäume bieten hier und da einen Lichtblick im dunstigen Morgengrauen. Ich nehme ein Taxi, aber auch mit dem Auto geht es nur schleppend voran, denn in diesen Tagen gibt es immer wieder Demonstrationen und Proteste neben dem ganz gewöhnlichen Stau am Morgen in Kairo.
Der Taxifahrer lässt mich an einer Ecke des Tahrir-Platzes aussteigen. Dort sticht mir ein schwarz-rotes Graffiti in Auge, das auf eine graue Betonwand einer Verkehrsinsel des riesigen Platzes gesprüht wurde.
Das ist der Platz der Märthyrer, übersetzt mir der Taxifahrer. Ich bin die Einzige, die hier stehen bleibt und etwas verloren auf den turbulenten Platz schaut mit seinem nicht enden wollenden Verkehr und den grünen Raseninseln. Revolutionäre Luft ist hier kaum noch zu erschnuppern, die historischen Stunden kann man nur erahnen, wenn man die Fahnen und T-Shirts sieht, die am Straßenrand als Erinnerungsstücke verkauft werden.
Ich lasse mich breit schlagen und kaufe tatsächlich ein schwarzes T-Shirt, worauf eine weisse Faust gedruckt ist. Darüber steht: 25. Januar der Tag der Freiheit. Sieht sehr martialisch aus, denke ich, aber eignet sich gut als Mitbringsel.
Verschleierte Frauen eilen an mir vorbei, in einem Café sitzen Männer bei Tee und Shisha und blicken auf den Tahrir-Platz. Ein alter Mann kommt mir entgegen, der gebückt einen Karren mit ausgediehnten Möbelstücken hinter sich herzieht. Ich gehe weiter, um einige Zeugen des Umbruchs zu treffen an der Deutschen Schule der Borromäerinnen.
Die Schule liegt nur wenige hundert Meter vom Tahrir-Platz entfernt. Ein Pförtner lässt mich in das Schulgebäude. Im Innenhof der Schule ist ein kleines Café. Mädchen mit blauen Uniformen schlendern vorbei – tuscheln sich etwas zu auf dem Weg zu ihrer Klasse und kichern. Eine riesige Pinnwand erinnert daran, was am 25. Januar und an den Tagen danach passierte. "Endlich Freiheit" – "Wir dürfen sagen, was wir denken" heißt es da. Schwester Mathilde kommt und erzählt, was sie vor Monaten vom Dach der Schule beobachtete.
"Ich hab gesagt, dass ist wie ein Katz und Maus Spiel. Diese Polizisten haben die Gruppe weggejagt in die nächste Straße rein – die liefen weg – das war ein Katz und Maus Spiel, die kamen wieder. Das war der 25. Januar. Wir hatten schulfrei, weil Polizeitag war, offizieller schulfreier Tag. Am nächsten Tag am Mittwoch kamen fast keine Schülerinnen – die Busse sind leer hin und her gefahren."
An den folgenden Tagen blieb die Schule weiter geschlossen, erzählt Schwester Mathilde weiter bis einschließlich Samstag.
"Und das war dann der schlimmste Tag, das heißt die schlimmste Nacht die dann kam. Das Militär hatte inzwischen Stellung eingenommen. Wir hatten rundherum Panzer, Panzer, Panzer. Und es war zum Fürchten. Wir wohnen ja hier im Gelände im Haus, wir saßen beim Abendessen und da ging es los. Es wurde geschossen, geschossen wie verrückt. Wir haben gedacht, die Fensterscheiben gehen kaputt. Wir haben dann schnell die Jalousien heruntergezogen und sind dann auch wieder aufs Dach. Wir haben gesehen an unserer Straßenecke hat es gebrannt. Dann haben wir den Gartenschlauch genommen, der lag Gott sei Dank im Hof ein langer Schlauch. Wir sind durch das Gebäude hier ins Büro Fenster auf, auf den Tisch gestiegen und von innen haben wir unseren Brand gelöscht."
Draussen vor den Toren der Schule der Borromäerinnen wurden viele Geschäfte zertrümmert. Auf dem Tahrir Platz kippte die Stimmung immer mehr erinnert sich Schwester Mathilde, die an den Tagen bis zum Rücktritt Mubaraks immer wieder zum Platz ging.
"Da kommt plötzlich, so 20 Meter sind wir gegangen, und da kommt eine Gruppe junger Männer einer hat eine Trommel. Und gedrückte Stimmung und die gehen weiter auf den Tahrir Platz, steigen da irgendwo auf den Panzer oder irgendwas und plötzlich geht ein Schrei los, ein Schrei, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Ein Jubel, da hatten die vermeldet, dass Mubarak zurückgetreten ist. Die vorher mit hängenden Köpfen nach Hause gingen, die kamen angerannt um dabei zu sein, wenn die große Masse jubelt."
"Wenn Hosni Mubarak zurückgetreten hat ich war auch auf der Straße. Ich meine, dass war wirklich eine sehr tolle Bild. Sie haben alle so getanzt und gesungen und sie waren wirklich sehr froh und ich hab auch gehört auf dem Tahrir Platz man fühlte sich immer sicher, das war sozusagen ein kleines Land in einem großen Land."
Najera steht jetzt noch die Freude ins Gesicht geschrieben, wenn sie über ihre Erlebnisse auf dem Tahrir-Platz spricht und sie drückt diese Begeisterung auch in ihrem Tanz aus. Die Schule der Borromäerinnen ist eine reine Mädchenschule, auf die zur Zeit ausschließlich Ägyperinnen gehen. Najera und ihre Freundinnnen sehen sich als Teil des Umbruchs in Ägypten, erzählen sie mir stolz.
"Nach der Revolution eine Woche Marjam in der Klasse und manche Mädchen. Wir haben uns entschieden, dass wir wollen Geld sammeln, damit wir den Leuten an den Krankenhäusern helfen. Und wir haben das Geld wirklich ausgegeben und die Leute waren wirklich begeistert, dass wir so etwas machen. Wir sind alle 16 Jahre alt, also wenn sich 16-jährige Mädchen für so etwas entscheiden können, dann kann Ägypten sich wirklich verändern."
Und ihr Wunsch weiter etwas zu erreichen ist auch Monate nach der Revolution ungebrochen. Der Austausch geht weiter in der Schule genauso wie via facebook, erzählen sie.
"Wenn uns was nicht gefällt, dann sagen wir das und diskutieren darüber. Wir arbeiten als Ägypter, dass man etwas Neues erreicht. Wir sagen immer okay die Pharaonen waren sehr gut und sie haben das und das gemacht. Aber was haben die, also die Leute die jetzt leben erreicht, was haben sie für neues in die Welt gebracht, nichts. man fühlt das und darum wollen wir etwas machen, damit man sagt okay die Leute die diese Revolution gemacht haben, wissen ganz genau, dass sie müssen neue Sachen erreichen."
Unsere Zeit ist zu Ende - der Unterricht beginnt wieder für die Mädchen. Najera lächelt noch einmal zum Abschied und schenkt mir ihr schwarzes Bauchtanztuch, an dem goldene Metalltaler klimpern.
Auf der Mohamed Mahmud Straße schlendere ich zurück auf den hinteren Teil des Tahrir-Platzes. Von hier hat man einen guten Ausblick auf das Ägyptische Museum – ein kolonialer Bau, der gelb-weiss gestrichen ist. Direkt neben dem Ägyptischen Museum ragt das ehemalige Parteigebäude hervor, das ausgebrannt und mit seinen verrußten Außenwänden die Revolutionstage in die Gegenwart zurückholt.
Ein ägyptischer Geschäftsmann nutzt die Chance meiner kurzfristigen Gedankenverlorenheit und bittet mich in sein Büro direkt in der Nähe des Tahrirplatzes zu kommen. Natürlich habe er mir viel zu erzählen, sagt er mir verheißungsvoll. Wir gehen einige Stufen hinunter in einen Hauseingang, wo sein Büro sein soll. Das entpuppt sich allerdings als Geschäft für Duftöle. Der Raum ist klein und mit rotem Samtstoff verkleidet. An allen Wänden hängen Regale, auf denen Glasflaschen mit unterschiedlichen Duftölen platziert sind. Grün, Rosa und unterschiedliche Geldtöne leuchten mir entgegen.
Alis Geschäft läuft schlecht seit der Revolution. Bis März war sein Laden sogar ganz geschlossen. Trotzdem steht er hinter dem Wandel und wettert heftig gegen Mubarak und den ehemaligen Innenminister, der so viele Menschenleben auf dem Gewissen habe. Darüber diskutiert er auch mit anderen Ägyptern, die er auf dem Tahrir Platz trifft.
Und da jetzt so viel im Umbruch und Wandel ist in Kairo, gibt es immer viel zu erzählen am Tahrir Square. Der Platz der Märthyrer, wie er heute eben auch genannt wird, ist auf jeden Fall auch zum Ausflugsziel für Ägypter geworden, sagt er.
Draußen spielt ein alter Mann auf der Rabarbar – ein nubisches Instrument aus dem Süden Ägyptens. Die Menschen gehen an ihm vorbei – ein Mann im Anzug, der laut mit dem Handy telefoniert, ein alter grauhaariger Mann schiebt einen Obstkarren vor sich her und eine Frau mit ihrem Baby auf dem Arm bettelt um Geld.
Ich lasse mich weiter durch die Straßen rund um den Tahrir Platz treiben und komme zum Goethe-Institut. Eine Insel der Ruhe im geschäftigen Down Town von Kairo. In der gelb gestrichenen Jugendstil-Villa wurde kurz nach der Revolution die Tahrir-Lounge eingerichtet. In der Lounge treffen sich regelmäßig junge Ägypter, die sich über ihre Vorstellungen von Demokratie austauschen. An den Wänden hängen Bilder aus den Revolutionstagen. Betende Männer auf einem Panzer und euphorische Gesichter, die schwarz, weiss, rot bemalt sind. Die deutsche Journalistin Kirstin Jankowski, die ich hier treffe, war oft mittendrin.
"Ich hab die Revolution sehr hautnah erlebt, weil ich nur fünf Minuten vom Tahrir Platz entfernt wohne und ich mit Ägyptern zusammen lebe, also nicht abgeschottet, wie viele andere Ausländer hier sind. Ich wohnte halt wirklich dort, wo es im wahrsten Sinne des Wortes brannte. Wir haben in unserer Wohnung ein kleines Camp aufgebaut, wir haben Suppen gekocht, wir hatten immer viel zu essen und die Tür war immer für alle Demonstranten offen, wir haben die Schießereien mitbekommen, wir haben die Folter mitbekommen, wir haben zusammen gelacht, wir haben zusammen geweint, es war einfach ein emotionales Karussell. Also das was ich jetzt im Nachhinein immer noch Monate später ganz doll merke, das diese Ereignisse uns alle traumatisiert haben."
Ein Möglichkeit der Selbsthilfe bietet der Transit-Blog, erzählt mir Kirstin Jankowski. Sie betreut diese Internet-Plattform, die vom Goethe-Institut ins Leben gerufen wurde, damit die Menschen ihre ganz eigenen Geschichten erzählen können. Aus Ägypten genauso wie aus anderen arabischen Staaten.
"Es wird natürlich ganz viel über die Aufstände hier in Ägypten gesprochen, es wird ganz viel über Tunesien geschrieben, aber größtenteils sind das ganz persönliche Eindrücke, das ist eigentlich auch das, wofür der Blog da ist."
Zum Beispiel die Geschichte einer Ägypterin über ihren Freund Mikel.
"Das ist eine Geschichte über einen sehr guten Freund von ihr, der in seinem Blog über das Militär geschrieben hat und aufgrund dessen jetzt für drei Jahre im Gefängnis sein muss. Und sie hat halt sehr persönlich geschrieben. Sie hat darüber geschrieben, wie sie ihn kennengelernt hat und wie sie zusammen mit ihm im Café gesessen hat und wie sie sich fühlt, dass viele Freunde von ihm ihn jetzt im Stich lassen und ihn jetzt nicht im Gefängnis besuchen."
Ich schlendere zurück zum Tahrirplatz, vorbei an dem Posten der Soldaten, die miteinander plauschen und etwas gelangweilt auf den Platz der Märthyrer blicken. Vorbei an den selbstgebauten illegalen Verkaufsständen, an denen sich Passanten mit Eistee erfrischen. – Ich komme zurück zur Nilcorniche. Auf dem Bordstein spielen einige Kinder mit Murmeln. Auf dem Nil rudern Frauen in einem Achter-Boot. Einige sind verschleiert, andere sind sportlich angezogen. Und da leuchten auch wieder die roten Blüten der Flammenbäume. Hinter mir kollabiert der Verkehr immer noch. Kairo, die Stadt, mit ihrem täglichen Chaos. Und genau darin liegt ihr Reiz.
Der Taxifahrer lässt mich an einer Ecke des Tahrir-Platzes aussteigen. Dort sticht mir ein schwarz-rotes Graffiti in Auge, das auf eine graue Betonwand einer Verkehrsinsel des riesigen Platzes gesprüht wurde.
Das ist der Platz der Märthyrer, übersetzt mir der Taxifahrer. Ich bin die Einzige, die hier stehen bleibt und etwas verloren auf den turbulenten Platz schaut mit seinem nicht enden wollenden Verkehr und den grünen Raseninseln. Revolutionäre Luft ist hier kaum noch zu erschnuppern, die historischen Stunden kann man nur erahnen, wenn man die Fahnen und T-Shirts sieht, die am Straßenrand als Erinnerungsstücke verkauft werden.
Ich lasse mich breit schlagen und kaufe tatsächlich ein schwarzes T-Shirt, worauf eine weisse Faust gedruckt ist. Darüber steht: 25. Januar der Tag der Freiheit. Sieht sehr martialisch aus, denke ich, aber eignet sich gut als Mitbringsel.
Verschleierte Frauen eilen an mir vorbei, in einem Café sitzen Männer bei Tee und Shisha und blicken auf den Tahrir-Platz. Ein alter Mann kommt mir entgegen, der gebückt einen Karren mit ausgediehnten Möbelstücken hinter sich herzieht. Ich gehe weiter, um einige Zeugen des Umbruchs zu treffen an der Deutschen Schule der Borromäerinnen.
Die Schule liegt nur wenige hundert Meter vom Tahrir-Platz entfernt. Ein Pförtner lässt mich in das Schulgebäude. Im Innenhof der Schule ist ein kleines Café. Mädchen mit blauen Uniformen schlendern vorbei – tuscheln sich etwas zu auf dem Weg zu ihrer Klasse und kichern. Eine riesige Pinnwand erinnert daran, was am 25. Januar und an den Tagen danach passierte. "Endlich Freiheit" – "Wir dürfen sagen, was wir denken" heißt es da. Schwester Mathilde kommt und erzählt, was sie vor Monaten vom Dach der Schule beobachtete.
"Ich hab gesagt, dass ist wie ein Katz und Maus Spiel. Diese Polizisten haben die Gruppe weggejagt in die nächste Straße rein – die liefen weg – das war ein Katz und Maus Spiel, die kamen wieder. Das war der 25. Januar. Wir hatten schulfrei, weil Polizeitag war, offizieller schulfreier Tag. Am nächsten Tag am Mittwoch kamen fast keine Schülerinnen – die Busse sind leer hin und her gefahren."
An den folgenden Tagen blieb die Schule weiter geschlossen, erzählt Schwester Mathilde weiter bis einschließlich Samstag.
"Und das war dann der schlimmste Tag, das heißt die schlimmste Nacht die dann kam. Das Militär hatte inzwischen Stellung eingenommen. Wir hatten rundherum Panzer, Panzer, Panzer. Und es war zum Fürchten. Wir wohnen ja hier im Gelände im Haus, wir saßen beim Abendessen und da ging es los. Es wurde geschossen, geschossen wie verrückt. Wir haben gedacht, die Fensterscheiben gehen kaputt. Wir haben dann schnell die Jalousien heruntergezogen und sind dann auch wieder aufs Dach. Wir haben gesehen an unserer Straßenecke hat es gebrannt. Dann haben wir den Gartenschlauch genommen, der lag Gott sei Dank im Hof ein langer Schlauch. Wir sind durch das Gebäude hier ins Büro Fenster auf, auf den Tisch gestiegen und von innen haben wir unseren Brand gelöscht."
Draussen vor den Toren der Schule der Borromäerinnen wurden viele Geschäfte zertrümmert. Auf dem Tahrir Platz kippte die Stimmung immer mehr erinnert sich Schwester Mathilde, die an den Tagen bis zum Rücktritt Mubaraks immer wieder zum Platz ging.
"Da kommt plötzlich, so 20 Meter sind wir gegangen, und da kommt eine Gruppe junger Männer einer hat eine Trommel. Und gedrückte Stimmung und die gehen weiter auf den Tahrir Platz, steigen da irgendwo auf den Panzer oder irgendwas und plötzlich geht ein Schrei los, ein Schrei, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Ein Jubel, da hatten die vermeldet, dass Mubarak zurückgetreten ist. Die vorher mit hängenden Köpfen nach Hause gingen, die kamen angerannt um dabei zu sein, wenn die große Masse jubelt."
"Wenn Hosni Mubarak zurückgetreten hat ich war auch auf der Straße. Ich meine, dass war wirklich eine sehr tolle Bild. Sie haben alle so getanzt und gesungen und sie waren wirklich sehr froh und ich hab auch gehört auf dem Tahrir Platz man fühlte sich immer sicher, das war sozusagen ein kleines Land in einem großen Land."
Najera steht jetzt noch die Freude ins Gesicht geschrieben, wenn sie über ihre Erlebnisse auf dem Tahrir-Platz spricht und sie drückt diese Begeisterung auch in ihrem Tanz aus. Die Schule der Borromäerinnen ist eine reine Mädchenschule, auf die zur Zeit ausschließlich Ägyperinnen gehen. Najera und ihre Freundinnnen sehen sich als Teil des Umbruchs in Ägypten, erzählen sie mir stolz.
"Nach der Revolution eine Woche Marjam in der Klasse und manche Mädchen. Wir haben uns entschieden, dass wir wollen Geld sammeln, damit wir den Leuten an den Krankenhäusern helfen. Und wir haben das Geld wirklich ausgegeben und die Leute waren wirklich begeistert, dass wir so etwas machen. Wir sind alle 16 Jahre alt, also wenn sich 16-jährige Mädchen für so etwas entscheiden können, dann kann Ägypten sich wirklich verändern."
Und ihr Wunsch weiter etwas zu erreichen ist auch Monate nach der Revolution ungebrochen. Der Austausch geht weiter in der Schule genauso wie via facebook, erzählen sie.
"Wenn uns was nicht gefällt, dann sagen wir das und diskutieren darüber. Wir arbeiten als Ägypter, dass man etwas Neues erreicht. Wir sagen immer okay die Pharaonen waren sehr gut und sie haben das und das gemacht. Aber was haben die, also die Leute die jetzt leben erreicht, was haben sie für neues in die Welt gebracht, nichts. man fühlt das und darum wollen wir etwas machen, damit man sagt okay die Leute die diese Revolution gemacht haben, wissen ganz genau, dass sie müssen neue Sachen erreichen."
Unsere Zeit ist zu Ende - der Unterricht beginnt wieder für die Mädchen. Najera lächelt noch einmal zum Abschied und schenkt mir ihr schwarzes Bauchtanztuch, an dem goldene Metalltaler klimpern.
Auf der Mohamed Mahmud Straße schlendere ich zurück auf den hinteren Teil des Tahrir-Platzes. Von hier hat man einen guten Ausblick auf das Ägyptische Museum – ein kolonialer Bau, der gelb-weiss gestrichen ist. Direkt neben dem Ägyptischen Museum ragt das ehemalige Parteigebäude hervor, das ausgebrannt und mit seinen verrußten Außenwänden die Revolutionstage in die Gegenwart zurückholt.
Ein ägyptischer Geschäftsmann nutzt die Chance meiner kurzfristigen Gedankenverlorenheit und bittet mich in sein Büro direkt in der Nähe des Tahrirplatzes zu kommen. Natürlich habe er mir viel zu erzählen, sagt er mir verheißungsvoll. Wir gehen einige Stufen hinunter in einen Hauseingang, wo sein Büro sein soll. Das entpuppt sich allerdings als Geschäft für Duftöle. Der Raum ist klein und mit rotem Samtstoff verkleidet. An allen Wänden hängen Regale, auf denen Glasflaschen mit unterschiedlichen Duftölen platziert sind. Grün, Rosa und unterschiedliche Geldtöne leuchten mir entgegen.
Alis Geschäft läuft schlecht seit der Revolution. Bis März war sein Laden sogar ganz geschlossen. Trotzdem steht er hinter dem Wandel und wettert heftig gegen Mubarak und den ehemaligen Innenminister, der so viele Menschenleben auf dem Gewissen habe. Darüber diskutiert er auch mit anderen Ägyptern, die er auf dem Tahrir Platz trifft.
Und da jetzt so viel im Umbruch und Wandel ist in Kairo, gibt es immer viel zu erzählen am Tahrir Square. Der Platz der Märthyrer, wie er heute eben auch genannt wird, ist auf jeden Fall auch zum Ausflugsziel für Ägypter geworden, sagt er.
Draußen spielt ein alter Mann auf der Rabarbar – ein nubisches Instrument aus dem Süden Ägyptens. Die Menschen gehen an ihm vorbei – ein Mann im Anzug, der laut mit dem Handy telefoniert, ein alter grauhaariger Mann schiebt einen Obstkarren vor sich her und eine Frau mit ihrem Baby auf dem Arm bettelt um Geld.
Ich lasse mich weiter durch die Straßen rund um den Tahrir Platz treiben und komme zum Goethe-Institut. Eine Insel der Ruhe im geschäftigen Down Town von Kairo. In der gelb gestrichenen Jugendstil-Villa wurde kurz nach der Revolution die Tahrir-Lounge eingerichtet. In der Lounge treffen sich regelmäßig junge Ägypter, die sich über ihre Vorstellungen von Demokratie austauschen. An den Wänden hängen Bilder aus den Revolutionstagen. Betende Männer auf einem Panzer und euphorische Gesichter, die schwarz, weiss, rot bemalt sind. Die deutsche Journalistin Kirstin Jankowski, die ich hier treffe, war oft mittendrin.
"Ich hab die Revolution sehr hautnah erlebt, weil ich nur fünf Minuten vom Tahrir Platz entfernt wohne und ich mit Ägyptern zusammen lebe, also nicht abgeschottet, wie viele andere Ausländer hier sind. Ich wohnte halt wirklich dort, wo es im wahrsten Sinne des Wortes brannte. Wir haben in unserer Wohnung ein kleines Camp aufgebaut, wir haben Suppen gekocht, wir hatten immer viel zu essen und die Tür war immer für alle Demonstranten offen, wir haben die Schießereien mitbekommen, wir haben die Folter mitbekommen, wir haben zusammen gelacht, wir haben zusammen geweint, es war einfach ein emotionales Karussell. Also das was ich jetzt im Nachhinein immer noch Monate später ganz doll merke, das diese Ereignisse uns alle traumatisiert haben."
Ein Möglichkeit der Selbsthilfe bietet der Transit-Blog, erzählt mir Kirstin Jankowski. Sie betreut diese Internet-Plattform, die vom Goethe-Institut ins Leben gerufen wurde, damit die Menschen ihre ganz eigenen Geschichten erzählen können. Aus Ägypten genauso wie aus anderen arabischen Staaten.
"Es wird natürlich ganz viel über die Aufstände hier in Ägypten gesprochen, es wird ganz viel über Tunesien geschrieben, aber größtenteils sind das ganz persönliche Eindrücke, das ist eigentlich auch das, wofür der Blog da ist."
Zum Beispiel die Geschichte einer Ägypterin über ihren Freund Mikel.
"Das ist eine Geschichte über einen sehr guten Freund von ihr, der in seinem Blog über das Militär geschrieben hat und aufgrund dessen jetzt für drei Jahre im Gefängnis sein muss. Und sie hat halt sehr persönlich geschrieben. Sie hat darüber geschrieben, wie sie ihn kennengelernt hat und wie sie zusammen mit ihm im Café gesessen hat und wie sie sich fühlt, dass viele Freunde von ihm ihn jetzt im Stich lassen und ihn jetzt nicht im Gefängnis besuchen."
Ich schlendere zurück zum Tahrirplatz, vorbei an dem Posten der Soldaten, die miteinander plauschen und etwas gelangweilt auf den Platz der Märthyrer blicken. Vorbei an den selbstgebauten illegalen Verkaufsständen, an denen sich Passanten mit Eistee erfrischen. – Ich komme zurück zur Nilcorniche. Auf dem Bordstein spielen einige Kinder mit Murmeln. Auf dem Nil rudern Frauen in einem Achter-Boot. Einige sind verschleiert, andere sind sportlich angezogen. Und da leuchten auch wieder die roten Blüten der Flammenbäume. Hinter mir kollabiert der Verkehr immer noch. Kairo, die Stadt, mit ihrem täglichen Chaos. Und genau darin liegt ihr Reiz.
