Der Streik in Ostdeutschland für die 35-Stunden Woche hatte Anfang Juni kämpferisch, optimistisch und solidarisch angefangen. Doch nach vier Wochen war die Kampfkraft zu Ende, der Optimismus verflogen, die Solidarität dahin. Vor allem dem für die Tarifpolitik zuständigen Vorstandsmitglied, Jürgen Peters, wurde der erste Misserfolg eines Streiks der IG Metall seit 50 Jahren angelastet. Klaus Zwickel, der scheidende Chef der immer noch größten deutschen Industriegewerkschaft, hatte vor dem Streik gewarnt, hatte Peters nicht als Stellvertreter und nicht als Nachfolger gewollt, aber konnte sich bisher nicht durchsetzen. Morgen, bei der Vorstandssitzung der IG Metall, dürfte Zwickel die letzte Chance haben, mit seinen Personalplänen auch seine Zukunftspläne für die IG Metall anzuschieben. Zwickel tritt dafür ein, dass die Gewerkschaft nicht nur organisatorisch modernisiert wird, sondern auch inhaltlich auf die neuen Zeiten eingestellt werden muss. Woher sie kommt und wohin sie gehen muss, analysiert der Historiker, Politologe und Soziologe Jürgen Kocka, der Präsident des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung, so:
Die Gewerkschaften sind sehr stark Produkt einer Zeit, in der Wachstum normal war und Massenfabrikationen mit Normalarbeitsverhältnis weit verbreitet. Deswegen setzen sie einen erheblichen Teil ihrer Anstrengung für die Erhöhung der Löhne einerseits und die Reduzierung der Arbeitszeit andererseits ein. Diese Forderungen passen derzeit und auf absehbare Zeit wohl schwer in die wirtschaftliche Situation. Und es ist notwendig, dass die Gewerkschaften sich an anderen Zielen orientieren. Das ist das Eine. Die Gewerkschaften haben sich außerordentlich stark für die Erhaltung des Sozialstaats, so wie er besteht, engagiert. Nicht alle gleich, aber sicherlich sind es die großen Gewerkschaften wie die IG-Metall oder Ver.di, die das tun. Dieser Sozialstaat muss aber unter der neuen Bedingungen - Globalisierung, Generationsverhältnis-Verschiebung, neue Arbeitsverhältnisse - stark reformiert werden. Die Gewerkschaften sind in die Defensive bei der Verteidigung auch jener Aspekte des Sozialstaates geraten, die reformiert werden müssen.
Die Vergangenheit der IG Metall hat derzeit einen Namen: Jürgen Peters. So sieht jedenfalls Professor Michael Hüther, lange Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage, jetzt Chefvolkswirt der Deka-Bank:
Dieses Personalproblem ist im Kern ein Strategie- und Strukturproblem der Gewerkschaft. Die Frage, die zu klären ist, für die Gewerkschaften selbst ist: Wie richtet man sich ein unter veränderten Bedingung, d.h. nicht mehr im Flächentarifvertrag alles und jedes auf hohem Niveau zu regeln und unter den Zielsetzungen der 80-er und 90-er Jahren zu sehen. Oder auf der anderen Seite orientiert man sich stärker auf flexiblere Lösungen, auf Mindeststandardfixierungen und eine letztlich stärkere Akzeptanz der Beschäftigungswirkung von Lohnpolitik. Das ist nach meiner Wahrnehmung etwas, was in diesem personalisierten Konflikt aufbricht und grade von dem Hintergrund natürlich eines gescheiterten Streiks. Das ist eine neue Erfahrung für die Gewerkschaft und dann auch eine besondere Bedeutung bekommt. Im Grunde meist ist wie es, dass Personalkonflikte und Personalthemen eigentlich tiefer liegend Gründe haben.
Die Niederlage beim Streik in Ostdeutschland sei die größte, die die IG Metall je habe einstecken müssen, hatte Zwickel vorige Woche gesagt, und es werde lange dauern, bis sie sich davon erholen werde. Es gebe Verantwortliche dafür und die müssten Konsequenzen ziehen. Doch wisse er nicht, ob die Einsicht dafür vorhanden sei.
Zwickel spickte seine Vorhaltungen mit dem Vorwurf, Peters habe den IG Metall-Vorstand getäuscht. Er meinte damit, Peters habe den Streik im Osten so ausgeweitet, dass die Autoindustrie im Westen lahmgelegt wurde.
Peters konterte: Ihm Täuschung vorzuwerfen, sei ehrverletzend, sagte Peters heute am frühen Nachmittag. Und schon deshalb werde er dem Aufruf Zwickels, von der Kandidatur für den Vorsitz abzulassen und stattdessen aus der Hierarchie der IG Metall auszuscheiden, keineswegs folgen:
Natürlich macht man sich Gedanken, dass Für und Wider, wägt ab. Spätestens mit so einem Vorwurf verschließt sich für mich dieser Weg, wenn ich ihn denn je vorgehabt hätte.
Bisher legt noch niemand seine Hand dafür ins Feuer, dass sich die Mehrheit im 41 Mitglieder zählenden Vorstand zu Ungunsten Peters gewandelt habe. Doch das Gremium wirkt gespalten. Die größte Unterstützung erfährt Peters aus seinem Heimatbezirk Niedersachsen. Dort ist er aufgewachsen und auch politisch groß geworden.
Jürgen Peters wurde 1944 im oberschlesischen Bolko geboren. Auf der Flucht landete seine Familie schließlich in Hannover. Nach der Volks- und Mittelschule absolvierte das Arbeiterkind eine Maschinenschlosserlehre bei dem damaligen hannoverschen Unternehmen Hanomag. Schon früh engagierte Peters sich in der IG Metall, wurde Jugendsprecher und stieg langsam in der Hierarchie des Apparats auf.
Zehn Jahre stand der heute 59jährige Jürgen Peters an der Spitze des IG-Metall-Bezirks Niedersachsen, bis er den Sprung in die Frankfurter Gewerkschaftszentrale geschafft hatte. Peters hat beste Kontakte zu Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er kennt den heutigen Regierungschef noch aus der Zeit, als Schröder in Niedersachsen Oppositionsführer war. Zusammen mit Schröder, der dann als Ministerpräsident im VW-Aufsichtsrat saß, hat Peters bei Volkswagen 1993 die Vier Tage Woche durchgesetzt und damit 30 000 Mitarbeiter vor der Entlassung bewahrt.
Ich kann durchaus sagen, das ist für mich eine sehr hohe Befriedigung, gegen Arbeitslosigkeit hier ein Beispiel zu setzen und zu zeigen, dass Arbeitszeitverkürzung ein sehr, sehr probates Mittel ist, gegen Arbeitslosigkeit und dass es nur darum gehen muss, auch den Beschäftigten zu schützen vor Einkommensminderungen, die sicherlich irgendwo ihre Zumutbarkeitsgrenze hat.
Mit einem Pilotabschluss setzte er die 100-prozentige Lohnfortzahlung bei Krankheit für die gesamte Metall- und Elektroindustrie durch. Und er vereinbarte einen Beschäftigungssicherungsvertrag mit kürzeren Arbeitszeiten bei geringerem Lohn im Gegenzug für eine Arbeitsplatzgarantie. Vor allem in seinem Stammland Niedersachsen die Gewerkschaftsmitglieder hinter Jürgen Peters. Der niedersächsische IG-Metall-Vorsitzende Hartmut Meine:
Unsere Position ist eindeutig, Jürgen Peters soll Vorsitzender werden, Berthold Huber soll zweiter Vorsitzender werden und sie haben dann die Aufgabe, die IG-Metall zu einen und zu führen.
Im Süden und Südwesten der Republik dagegen, wo außer Volkswagen die anderen großen Autokonzerne und ihre mächtigen Betriebratsvorsitzenden ansässig sind, wo die Maschinenbauindustrie ein Zentrum hat und die Ministerpräsidenten sich auf Hochtechnologie-Standorte verweisen, bricht die Solidarität mit Peters am deutlichsten auf.
In Stuttgart gelten die Fahrzeugbauer von DaimlerChrysler und Porsche als das Bollwerk der IG Metall im Westen. Weit mehr als zwei Drittel der in beiden Konzernen Beschäftigten sind nach Gewerkschaftsangaben IG Metall-Mitglieder. Doch seit dem peinlichen Streik-Desaster im Osten ist die Stimmung schlecht. Der Machtkampf an der Spitze stößt denen an der Basis sauer auf. Jetzt muss eine Entscheidung fallen, wer die IG Metall künftig führen soll, verlangen sie. Bis zum Gewerkschaftstag im Oktober wollen die Daimler-Mitarbeiter nicht warten.
Wir halten das nicht vier Monaten lang aus. Selbst im privaten Umfeld, im Handballverein oder sonst irgendwo muss man sich fast man entschuldigen, dass man IG-Metall Beiträge bezahlt. Rentner sagen sogar, sie treten aus, und das waren ja die Treuesten der Treuen. Einer tut eigentlich normalerweise immer den Hut nehmen, wenn was schief geht. Das was Peters jetzt da drüben im Osten angerichtet hat, soll der Beauftragter von der IG-Metall werden und da drüben die Mitglieder dementsprechend wieder einzufangen.
Einen Neuanfang ohne Jürgen Peters - fordert laut Erich Klemm, der mächtige Gesamtbetriebsratsvorsitzende von DaimlerChrysler. Schon während des Streiks war es Klemm, der Peters in einer internen Sitzung frontal angegangen ist. Er nannte ihn einen tarifpolitischen Geisterfahrer:
Ich fordere den Rücktritt vom Kollegen Jürgen Peters, weil es kann nicht einer Gewerkschaft nichts schlimmeres passieren als einen Streik so zu verlieren, wie wir ihn verloren haben. Und das erfordert, dass die dafür Verantwortlichen auch Konsequenzen ziehen und damit der Gewerkschaft die Chance zu geben, zu beweisen, dass sie sich erneuern kann und das wir es besser können.
Die ist keine Einzelmeinung. Klemm ist sich mit seinem Kollegen von Porsche einig: Betriebsratsvorsitzender Uwe Hück will den Schnitt ebenso:
Ich bin der Meinung, so schnell wie möglich. Es ist wie beim Spreisel: Wenn sie einen Splitter im Finger haben und sie lassen ihn lange drin, dann vereitert er und irgendwann, muss man den Finger abnehmen. Es ist besser, schnell rauszuziehen. Es ist ein kleiner Schmerz, es bleibt eine kleine Narbe zurück, aber der Finger ist wieder funktionsfähig
Die Schwaben formulieren drastisch. Jürgen Peters war nie ihr Wunschkandidat für die Zwickel-Nachfolge. Ihr Landsmann Berthold Huber ist hier der Favorit. Im Gegensatz zum Traditionalisten Peters gilt der baden-württembergische IG-Metall-Bezirkschef als Modernisier.
Berthold Huber jedoch schweigt. Er hütete die vergangenen Tage mit einer Nierenentzündung das Bett, und lehnte Interviews eisern ab. Erst morgen will er seine Meinung zur Führungskrise kund tun, lässt er seinen Sprecher ausrichten: Nicht öffentlich. Sondern in der Sitzung des Vorstands, hinter verschlossener Tür. Porsche-Betriebsratsvorsitzender Hück hofft - für Huber:
Die Personalfrage muss im Vorstand entschieden werden. Ich bin überzeugt, so wie ich Berthold Huber kenne, er wird nie eine Kampfabstimmung zulassen. Dafür ist er zu arg mit der IG-Metall verwurzelt. Er wird nie eine Spaltung veranlassen durch seine Person. Und das würde ich mir jetzt gerne wünschen bei Peters.
Jürgen Peters mag diese zum Teil beißende Kritik als unsolidarisch empfinden. Er wirft seinerseits seinen internen Gegnern, namentlich dem ersten Vorsitzenden Klaus Zwickel, vor, sie verspielten das Wichtigste, was eine Gewerkschaft auszeichnet, nämlich die Solidarität. Darauf hob er vor der Presse in Frankfurt ab:
Jeder hier im Raum weiß, dass ich nun nicht der Wunschkandidat von Klaus Zwickel bin. Das war ich 1998 nicht und auch nicht im April dieses Jahres. Ich habe in den vergangenen fünf Jahren mehr als einen Grund gehabt, mich über bestimmte Verhaltensweisen oder Alleingänge, auch mediale Alleingänge, des Vorsitzenden zu beschweren. Ich habe mich zurückgehalten, jedenfalls haben Sie nie etwas in der Öffentlichkeit gehört. Meine Loyalität zu IG-Metall und auch zur Funktion des ersten Vorsitzenden lässt das nämlich nicht zu, aus Gründen der Organisationsraison und weil ich der Organisation eine zerstrittene Führungsspitze ersparen wollte, habe ich mich zurückgehalten. Deshalb habe ich umgekehrt nie im Traum daran geglaubt, dass es einmal soweit geht, wie in den vergangenen Tagen. Ich habe den Eindruck, man will meine Person beschädigen und nimmt dafür im Kauf, dass die IG-Metall empfindlich Schaden nimmt. Damit nimmt man auch in Kauf, dass die IG-Metall zusätzlich und unnötigerweise in eine tiefe innerorganisatorische Krise gerät.
Doch andere sehen die Geschichte anders, berichten, dass von Anfang an die Vorbehalte gegen einen Streik für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland groß waren. Werner Neugebauer, Bezirksleiter der IG Metall in Bayern:
Wir haben im Vorstand ein Streikkonzept beschlossen, am 27. Mai, der geschäftsführende Vorstand, in Prag, das vorsah, dass die Zulieferbetriebe für die Automobilindustrie nur zeitlich befristet einbezogen werden. Das heißt also maximal zwei bis drei Tage. Dies hätte dazu geführt, dass es zu keinen Bandabrissen, zu keinen Produktionseinstellungen gekommen wäre. Dieses Konzept ist nie umgesetzt worden. Und als am 16. 06. in der Vorstandssitzung die Betriebe ZF in Brandenburg, aber auch GKM weiter in den Auseinandersetzungen und zwar unbefristet einbezogen waren, war mir klar, dass wir ein Riesenproblem bekommen.
Denn: Wenn als die Bänder bei BMW. VW und Daimler im Westen stillstanden, weil die Getriebe aus dem ostdeutschen ZF-Getriebewerk nicht mehr angeliefert wurden, da mussten die westdeutschen Arbeiter kurzarbeiten und mit dem Kurzarbeitergeld auf ein Drittel ihres sonstigen Lohnes verzichten. Dies strapaziert die Solidarität, doch das, so Peters heute, sei keine Überraschung gewesen.
Zugegeben im Vorstand hat es am 16. Juni auch kritische Stimmen gegeben. Aber es wurde von niemandem, von niemandem die Notwendigkeit eines neuen Beschlusses noch sonstige Vereinbarungen gefordert, beantragt oder gar beschlossen. Im übrigen, niemand, niemand hielt die damit verbundenen Folgen für nicht beherrschbar.
Ob es handwerkliche Fehler bei der Streikvorbereitung und bei der Streikleitung gegeben hat, ist das eine Thema, das der Gewerkschaftsvorstand morgen zu diskutieren haben wird.
Doch wichtiger ist die Zukunft der Gewerkschaft. Denn die Macht der Gewerkschaften scheint zu schwinden: Das zeigt schon ein Blick auf die Mitgliederentwicklung. 2,9 Millionen Mitglieder hatte die IG Metall noch vor fünf Jahren, jetzt sind es nur noch 2,6 Millionen. Und diesen Stand konnte die IG Metall nur aufrecht erhalten, weil sie 1991 aus den ostdeutschen Metallgewerkschaften eine Million neue Mitglieder aufnahm und weil sie 1998 mit der Gewerkschaft Textil, Bekleidung und 2000 mit der Gewerkschaft Holz und Kunststoffe fusionierte. Gerade die jungen Arbeitnehmer kommen nicht mehr so selbstverständlich zu den Gewerkschaften wie noch ihre Mütter und Väter. Auch in den neuen Industrien, die mit dem Wandel vom Röhrenhersteller Mannesmann zum Telekommunikationsanbieter Vodafone wohl am prägnantesten beschrieben sind, ist der Organisationsgrad deutlich niedriger. Die knapp 7,7 Millionen Mitglieder des DGB repräsentieren noch 20 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung, vor 15 Jahren hatten noch 30 Prozent einen Gewerkschaftsausweis. Die Bedeutung der Gewerkschaften ist denn auch bis jetzt vor allem eine historische. Jürgen Kocka, Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung:
Sie haben zweifellos über die Jahrzehnte, über mehr als ein Jahrhundert, erheblich beigetragen zur Emanzipation der abhängig Arbeitenden, zur Verbesserung von deren Lebensstandard, zur Aktivierung. Sie haben beigetragen zur Demokratisierung unserer Gesellschaft, und sie waren über die ganze Bundesrepublik hinweg ein Faktor, der dazu beitrug, dass die Wirtschaft gut wuchs, dass die Streiks relativ begrenzt blieben und dass die Unternehmensleitungen relativ gut planen konnten.
Doch auch der Historiker und Soziologe Kocka sieht, dass die historische Rolle weiterentwickelt werden muss:
Ich denke, es kommt darauf an, das System sowohl der Tarifverhandlungen wie überhaupt das Arbeitsmarktrecht ein Stück weit zu dezentralisieren, und etwa die Betriebsräte, die am meistens gewerkschaftlich organisiert sind, aber doch sehr viel stärker die Situation am Ort, im einzelnen Unternehmen in den Blick nehmen, zu stärken. Das ist das Eine. Von den Betriebsräten in den letzten Jahren wichtige Neuerungen und Anpassungsleistungen auch im Interesse derer, die sie vertreten, ausgegangen. Das Zweite: Ich glaube, dass es notwendig ist, auf diese fast mechanischen Reflexe - in Richtung auf Erhöhung von Löhnen alle zwei Jahre und Verkürzung von Arbeitszeit regelmäßig - zu verzichten und Rechtsschutz, individuelle Beratung, flexible Absicherung von Lebensrisiken neuer Art in den Vordergrund zu stellen. Es ist wichtig, dass die Gewerkschaften versuchen, in der Politik weiterhin Unterstützung zu finden. Und es war sehr dumm sich so frontal gegen die Agenda 2010 der jetzigen Bundesregierung zu stellen.
Auch für diese Haltung steht der Name Peters. In der Gewerkschaftskampagne gegen die Agenda 2010 trat er als Scharfmacher auf, als er einen heißen Mai in Aussicht stellte, letztlich aber nicht halten konnte, was er versprochen hatte.
Wer die Löhne senken und Tarifverträge abschaffen will, wer unser System aushebeln will, der muss uns als ein mächtiges Hindernis einkalkulieren, der wird uns nicht als freiwillige Lämmer zur Schlachtbank führen.
Applaus für starke Worte, die aber der realen Stärke der Gewerkschaften nicht mehr entsprechen. Ihre Zeit, in wachsenden Volkswirtschaften zentrale Forderungen für ganze Industriebranchen auf hohem Niveau zu formulieren, scheint vorbei. Denn Firmenkonjunkturen zählen, der Wettbewerb findet einmal mit Amerika, ein anderes Mal mit China oder Indien statt. Selbst Ökonomen wie Michael Hüther, der Chefvolkswirt der Deka-Bank, stellen zwar nicht den Flächentarifvertrag und damit das Lohnkartell aus Arbeitgebern und Gewerkschaften in Frage, mahnen aber praktikable Anpassungen an:
Also wenn die Gewerkschaften eine Zukunft über die nächsten drei, vier Jahre hinaus haben wollen in der Gestaltung von Arbeitsmarktbedingungen, von Arbeitsverhältnissen, dann müssen sie sich genau auf diesen Punkt einlassen, also weg von der Philosophie der 70-er, 80-er und im Grunde auch der 90-er Jahre, Höchststandards zu setzen und vor allem zu glauben, man könnte über Lohnpolitik Verteilungspolitik vertreiben. Sondern nur das zu machen, was wirklich nur die Aufgabe ist: Für den Arbeitsmarkt eine Entlastung der Unternehmen, was die Verhandlungsaufträge und die Gestaltungsaufträge angeht, durch klare Mindeststandards in den benannten Segmenten. Wenn sie das tun, dann glaube ich hat die ganze Gewerkschaft eine Zukunft.
Ob Jürgen Peters, der als Betonkopf gilt, das schaffen kann oder ob ein anderer wie Berthold Huber die IG Metall dorthin führen muss, darum geht es letztlich morgen bei der Vorstandssitzung. Es geht um die Zukunftsfähigkeit der größten deutschen Industriegewerkschaft.
Die Gewerkschaften sind sehr stark Produkt einer Zeit, in der Wachstum normal war und Massenfabrikationen mit Normalarbeitsverhältnis weit verbreitet. Deswegen setzen sie einen erheblichen Teil ihrer Anstrengung für die Erhöhung der Löhne einerseits und die Reduzierung der Arbeitszeit andererseits ein. Diese Forderungen passen derzeit und auf absehbare Zeit wohl schwer in die wirtschaftliche Situation. Und es ist notwendig, dass die Gewerkschaften sich an anderen Zielen orientieren. Das ist das Eine. Die Gewerkschaften haben sich außerordentlich stark für die Erhaltung des Sozialstaats, so wie er besteht, engagiert. Nicht alle gleich, aber sicherlich sind es die großen Gewerkschaften wie die IG-Metall oder Ver.di, die das tun. Dieser Sozialstaat muss aber unter der neuen Bedingungen - Globalisierung, Generationsverhältnis-Verschiebung, neue Arbeitsverhältnisse - stark reformiert werden. Die Gewerkschaften sind in die Defensive bei der Verteidigung auch jener Aspekte des Sozialstaates geraten, die reformiert werden müssen.
Die Vergangenheit der IG Metall hat derzeit einen Namen: Jürgen Peters. So sieht jedenfalls Professor Michael Hüther, lange Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage, jetzt Chefvolkswirt der Deka-Bank:
Dieses Personalproblem ist im Kern ein Strategie- und Strukturproblem der Gewerkschaft. Die Frage, die zu klären ist, für die Gewerkschaften selbst ist: Wie richtet man sich ein unter veränderten Bedingung, d.h. nicht mehr im Flächentarifvertrag alles und jedes auf hohem Niveau zu regeln und unter den Zielsetzungen der 80-er und 90-er Jahren zu sehen. Oder auf der anderen Seite orientiert man sich stärker auf flexiblere Lösungen, auf Mindeststandardfixierungen und eine letztlich stärkere Akzeptanz der Beschäftigungswirkung von Lohnpolitik. Das ist nach meiner Wahrnehmung etwas, was in diesem personalisierten Konflikt aufbricht und grade von dem Hintergrund natürlich eines gescheiterten Streiks. Das ist eine neue Erfahrung für die Gewerkschaft und dann auch eine besondere Bedeutung bekommt. Im Grunde meist ist wie es, dass Personalkonflikte und Personalthemen eigentlich tiefer liegend Gründe haben.
Die Niederlage beim Streik in Ostdeutschland sei die größte, die die IG Metall je habe einstecken müssen, hatte Zwickel vorige Woche gesagt, und es werde lange dauern, bis sie sich davon erholen werde. Es gebe Verantwortliche dafür und die müssten Konsequenzen ziehen. Doch wisse er nicht, ob die Einsicht dafür vorhanden sei.
Zwickel spickte seine Vorhaltungen mit dem Vorwurf, Peters habe den IG Metall-Vorstand getäuscht. Er meinte damit, Peters habe den Streik im Osten so ausgeweitet, dass die Autoindustrie im Westen lahmgelegt wurde.
Peters konterte: Ihm Täuschung vorzuwerfen, sei ehrverletzend, sagte Peters heute am frühen Nachmittag. Und schon deshalb werde er dem Aufruf Zwickels, von der Kandidatur für den Vorsitz abzulassen und stattdessen aus der Hierarchie der IG Metall auszuscheiden, keineswegs folgen:
Natürlich macht man sich Gedanken, dass Für und Wider, wägt ab. Spätestens mit so einem Vorwurf verschließt sich für mich dieser Weg, wenn ich ihn denn je vorgehabt hätte.
Bisher legt noch niemand seine Hand dafür ins Feuer, dass sich die Mehrheit im 41 Mitglieder zählenden Vorstand zu Ungunsten Peters gewandelt habe. Doch das Gremium wirkt gespalten. Die größte Unterstützung erfährt Peters aus seinem Heimatbezirk Niedersachsen. Dort ist er aufgewachsen und auch politisch groß geworden.
Jürgen Peters wurde 1944 im oberschlesischen Bolko geboren. Auf der Flucht landete seine Familie schließlich in Hannover. Nach der Volks- und Mittelschule absolvierte das Arbeiterkind eine Maschinenschlosserlehre bei dem damaligen hannoverschen Unternehmen Hanomag. Schon früh engagierte Peters sich in der IG Metall, wurde Jugendsprecher und stieg langsam in der Hierarchie des Apparats auf.
Zehn Jahre stand der heute 59jährige Jürgen Peters an der Spitze des IG-Metall-Bezirks Niedersachsen, bis er den Sprung in die Frankfurter Gewerkschaftszentrale geschafft hatte. Peters hat beste Kontakte zu Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er kennt den heutigen Regierungschef noch aus der Zeit, als Schröder in Niedersachsen Oppositionsführer war. Zusammen mit Schröder, der dann als Ministerpräsident im VW-Aufsichtsrat saß, hat Peters bei Volkswagen 1993 die Vier Tage Woche durchgesetzt und damit 30 000 Mitarbeiter vor der Entlassung bewahrt.
Ich kann durchaus sagen, das ist für mich eine sehr hohe Befriedigung, gegen Arbeitslosigkeit hier ein Beispiel zu setzen und zu zeigen, dass Arbeitszeitverkürzung ein sehr, sehr probates Mittel ist, gegen Arbeitslosigkeit und dass es nur darum gehen muss, auch den Beschäftigten zu schützen vor Einkommensminderungen, die sicherlich irgendwo ihre Zumutbarkeitsgrenze hat.
Mit einem Pilotabschluss setzte er die 100-prozentige Lohnfortzahlung bei Krankheit für die gesamte Metall- und Elektroindustrie durch. Und er vereinbarte einen Beschäftigungssicherungsvertrag mit kürzeren Arbeitszeiten bei geringerem Lohn im Gegenzug für eine Arbeitsplatzgarantie. Vor allem in seinem Stammland Niedersachsen die Gewerkschaftsmitglieder hinter Jürgen Peters. Der niedersächsische IG-Metall-Vorsitzende Hartmut Meine:
Unsere Position ist eindeutig, Jürgen Peters soll Vorsitzender werden, Berthold Huber soll zweiter Vorsitzender werden und sie haben dann die Aufgabe, die IG-Metall zu einen und zu führen.
Im Süden und Südwesten der Republik dagegen, wo außer Volkswagen die anderen großen Autokonzerne und ihre mächtigen Betriebratsvorsitzenden ansässig sind, wo die Maschinenbauindustrie ein Zentrum hat und die Ministerpräsidenten sich auf Hochtechnologie-Standorte verweisen, bricht die Solidarität mit Peters am deutlichsten auf.
In Stuttgart gelten die Fahrzeugbauer von DaimlerChrysler und Porsche als das Bollwerk der IG Metall im Westen. Weit mehr als zwei Drittel der in beiden Konzernen Beschäftigten sind nach Gewerkschaftsangaben IG Metall-Mitglieder. Doch seit dem peinlichen Streik-Desaster im Osten ist die Stimmung schlecht. Der Machtkampf an der Spitze stößt denen an der Basis sauer auf. Jetzt muss eine Entscheidung fallen, wer die IG Metall künftig führen soll, verlangen sie. Bis zum Gewerkschaftstag im Oktober wollen die Daimler-Mitarbeiter nicht warten.
Wir halten das nicht vier Monaten lang aus. Selbst im privaten Umfeld, im Handballverein oder sonst irgendwo muss man sich fast man entschuldigen, dass man IG-Metall Beiträge bezahlt. Rentner sagen sogar, sie treten aus, und das waren ja die Treuesten der Treuen. Einer tut eigentlich normalerweise immer den Hut nehmen, wenn was schief geht. Das was Peters jetzt da drüben im Osten angerichtet hat, soll der Beauftragter von der IG-Metall werden und da drüben die Mitglieder dementsprechend wieder einzufangen.
Einen Neuanfang ohne Jürgen Peters - fordert laut Erich Klemm, der mächtige Gesamtbetriebsratsvorsitzende von DaimlerChrysler. Schon während des Streiks war es Klemm, der Peters in einer internen Sitzung frontal angegangen ist. Er nannte ihn einen tarifpolitischen Geisterfahrer:
Ich fordere den Rücktritt vom Kollegen Jürgen Peters, weil es kann nicht einer Gewerkschaft nichts schlimmeres passieren als einen Streik so zu verlieren, wie wir ihn verloren haben. Und das erfordert, dass die dafür Verantwortlichen auch Konsequenzen ziehen und damit der Gewerkschaft die Chance zu geben, zu beweisen, dass sie sich erneuern kann und das wir es besser können.
Die ist keine Einzelmeinung. Klemm ist sich mit seinem Kollegen von Porsche einig: Betriebsratsvorsitzender Uwe Hück will den Schnitt ebenso:
Ich bin der Meinung, so schnell wie möglich. Es ist wie beim Spreisel: Wenn sie einen Splitter im Finger haben und sie lassen ihn lange drin, dann vereitert er und irgendwann, muss man den Finger abnehmen. Es ist besser, schnell rauszuziehen. Es ist ein kleiner Schmerz, es bleibt eine kleine Narbe zurück, aber der Finger ist wieder funktionsfähig
Die Schwaben formulieren drastisch. Jürgen Peters war nie ihr Wunschkandidat für die Zwickel-Nachfolge. Ihr Landsmann Berthold Huber ist hier der Favorit. Im Gegensatz zum Traditionalisten Peters gilt der baden-württembergische IG-Metall-Bezirkschef als Modernisier.
Berthold Huber jedoch schweigt. Er hütete die vergangenen Tage mit einer Nierenentzündung das Bett, und lehnte Interviews eisern ab. Erst morgen will er seine Meinung zur Führungskrise kund tun, lässt er seinen Sprecher ausrichten: Nicht öffentlich. Sondern in der Sitzung des Vorstands, hinter verschlossener Tür. Porsche-Betriebsratsvorsitzender Hück hofft - für Huber:
Die Personalfrage muss im Vorstand entschieden werden. Ich bin überzeugt, so wie ich Berthold Huber kenne, er wird nie eine Kampfabstimmung zulassen. Dafür ist er zu arg mit der IG-Metall verwurzelt. Er wird nie eine Spaltung veranlassen durch seine Person. Und das würde ich mir jetzt gerne wünschen bei Peters.
Jürgen Peters mag diese zum Teil beißende Kritik als unsolidarisch empfinden. Er wirft seinerseits seinen internen Gegnern, namentlich dem ersten Vorsitzenden Klaus Zwickel, vor, sie verspielten das Wichtigste, was eine Gewerkschaft auszeichnet, nämlich die Solidarität. Darauf hob er vor der Presse in Frankfurt ab:
Jeder hier im Raum weiß, dass ich nun nicht der Wunschkandidat von Klaus Zwickel bin. Das war ich 1998 nicht und auch nicht im April dieses Jahres. Ich habe in den vergangenen fünf Jahren mehr als einen Grund gehabt, mich über bestimmte Verhaltensweisen oder Alleingänge, auch mediale Alleingänge, des Vorsitzenden zu beschweren. Ich habe mich zurückgehalten, jedenfalls haben Sie nie etwas in der Öffentlichkeit gehört. Meine Loyalität zu IG-Metall und auch zur Funktion des ersten Vorsitzenden lässt das nämlich nicht zu, aus Gründen der Organisationsraison und weil ich der Organisation eine zerstrittene Führungsspitze ersparen wollte, habe ich mich zurückgehalten. Deshalb habe ich umgekehrt nie im Traum daran geglaubt, dass es einmal soweit geht, wie in den vergangenen Tagen. Ich habe den Eindruck, man will meine Person beschädigen und nimmt dafür im Kauf, dass die IG-Metall empfindlich Schaden nimmt. Damit nimmt man auch in Kauf, dass die IG-Metall zusätzlich und unnötigerweise in eine tiefe innerorganisatorische Krise gerät.
Doch andere sehen die Geschichte anders, berichten, dass von Anfang an die Vorbehalte gegen einen Streik für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland groß waren. Werner Neugebauer, Bezirksleiter der IG Metall in Bayern:
Wir haben im Vorstand ein Streikkonzept beschlossen, am 27. Mai, der geschäftsführende Vorstand, in Prag, das vorsah, dass die Zulieferbetriebe für die Automobilindustrie nur zeitlich befristet einbezogen werden. Das heißt also maximal zwei bis drei Tage. Dies hätte dazu geführt, dass es zu keinen Bandabrissen, zu keinen Produktionseinstellungen gekommen wäre. Dieses Konzept ist nie umgesetzt worden. Und als am 16. 06. in der Vorstandssitzung die Betriebe ZF in Brandenburg, aber auch GKM weiter in den Auseinandersetzungen und zwar unbefristet einbezogen waren, war mir klar, dass wir ein Riesenproblem bekommen.
Denn: Wenn als die Bänder bei BMW. VW und Daimler im Westen stillstanden, weil die Getriebe aus dem ostdeutschen ZF-Getriebewerk nicht mehr angeliefert wurden, da mussten die westdeutschen Arbeiter kurzarbeiten und mit dem Kurzarbeitergeld auf ein Drittel ihres sonstigen Lohnes verzichten. Dies strapaziert die Solidarität, doch das, so Peters heute, sei keine Überraschung gewesen.
Zugegeben im Vorstand hat es am 16. Juni auch kritische Stimmen gegeben. Aber es wurde von niemandem, von niemandem die Notwendigkeit eines neuen Beschlusses noch sonstige Vereinbarungen gefordert, beantragt oder gar beschlossen. Im übrigen, niemand, niemand hielt die damit verbundenen Folgen für nicht beherrschbar.
Ob es handwerkliche Fehler bei der Streikvorbereitung und bei der Streikleitung gegeben hat, ist das eine Thema, das der Gewerkschaftsvorstand morgen zu diskutieren haben wird.
Doch wichtiger ist die Zukunft der Gewerkschaft. Denn die Macht der Gewerkschaften scheint zu schwinden: Das zeigt schon ein Blick auf die Mitgliederentwicklung. 2,9 Millionen Mitglieder hatte die IG Metall noch vor fünf Jahren, jetzt sind es nur noch 2,6 Millionen. Und diesen Stand konnte die IG Metall nur aufrecht erhalten, weil sie 1991 aus den ostdeutschen Metallgewerkschaften eine Million neue Mitglieder aufnahm und weil sie 1998 mit der Gewerkschaft Textil, Bekleidung und 2000 mit der Gewerkschaft Holz und Kunststoffe fusionierte. Gerade die jungen Arbeitnehmer kommen nicht mehr so selbstverständlich zu den Gewerkschaften wie noch ihre Mütter und Väter. Auch in den neuen Industrien, die mit dem Wandel vom Röhrenhersteller Mannesmann zum Telekommunikationsanbieter Vodafone wohl am prägnantesten beschrieben sind, ist der Organisationsgrad deutlich niedriger. Die knapp 7,7 Millionen Mitglieder des DGB repräsentieren noch 20 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung, vor 15 Jahren hatten noch 30 Prozent einen Gewerkschaftsausweis. Die Bedeutung der Gewerkschaften ist denn auch bis jetzt vor allem eine historische. Jürgen Kocka, Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung:
Sie haben zweifellos über die Jahrzehnte, über mehr als ein Jahrhundert, erheblich beigetragen zur Emanzipation der abhängig Arbeitenden, zur Verbesserung von deren Lebensstandard, zur Aktivierung. Sie haben beigetragen zur Demokratisierung unserer Gesellschaft, und sie waren über die ganze Bundesrepublik hinweg ein Faktor, der dazu beitrug, dass die Wirtschaft gut wuchs, dass die Streiks relativ begrenzt blieben und dass die Unternehmensleitungen relativ gut planen konnten.
Doch auch der Historiker und Soziologe Kocka sieht, dass die historische Rolle weiterentwickelt werden muss:
Ich denke, es kommt darauf an, das System sowohl der Tarifverhandlungen wie überhaupt das Arbeitsmarktrecht ein Stück weit zu dezentralisieren, und etwa die Betriebsräte, die am meistens gewerkschaftlich organisiert sind, aber doch sehr viel stärker die Situation am Ort, im einzelnen Unternehmen in den Blick nehmen, zu stärken. Das ist das Eine. Von den Betriebsräten in den letzten Jahren wichtige Neuerungen und Anpassungsleistungen auch im Interesse derer, die sie vertreten, ausgegangen. Das Zweite: Ich glaube, dass es notwendig ist, auf diese fast mechanischen Reflexe - in Richtung auf Erhöhung von Löhnen alle zwei Jahre und Verkürzung von Arbeitszeit regelmäßig - zu verzichten und Rechtsschutz, individuelle Beratung, flexible Absicherung von Lebensrisiken neuer Art in den Vordergrund zu stellen. Es ist wichtig, dass die Gewerkschaften versuchen, in der Politik weiterhin Unterstützung zu finden. Und es war sehr dumm sich so frontal gegen die Agenda 2010 der jetzigen Bundesregierung zu stellen.
Auch für diese Haltung steht der Name Peters. In der Gewerkschaftskampagne gegen die Agenda 2010 trat er als Scharfmacher auf, als er einen heißen Mai in Aussicht stellte, letztlich aber nicht halten konnte, was er versprochen hatte.
Wer die Löhne senken und Tarifverträge abschaffen will, wer unser System aushebeln will, der muss uns als ein mächtiges Hindernis einkalkulieren, der wird uns nicht als freiwillige Lämmer zur Schlachtbank führen.
Applaus für starke Worte, die aber der realen Stärke der Gewerkschaften nicht mehr entsprechen. Ihre Zeit, in wachsenden Volkswirtschaften zentrale Forderungen für ganze Industriebranchen auf hohem Niveau zu formulieren, scheint vorbei. Denn Firmenkonjunkturen zählen, der Wettbewerb findet einmal mit Amerika, ein anderes Mal mit China oder Indien statt. Selbst Ökonomen wie Michael Hüther, der Chefvolkswirt der Deka-Bank, stellen zwar nicht den Flächentarifvertrag und damit das Lohnkartell aus Arbeitgebern und Gewerkschaften in Frage, mahnen aber praktikable Anpassungen an:
Also wenn die Gewerkschaften eine Zukunft über die nächsten drei, vier Jahre hinaus haben wollen in der Gestaltung von Arbeitsmarktbedingungen, von Arbeitsverhältnissen, dann müssen sie sich genau auf diesen Punkt einlassen, also weg von der Philosophie der 70-er, 80-er und im Grunde auch der 90-er Jahre, Höchststandards zu setzen und vor allem zu glauben, man könnte über Lohnpolitik Verteilungspolitik vertreiben. Sondern nur das zu machen, was wirklich nur die Aufgabe ist: Für den Arbeitsmarkt eine Entlastung der Unternehmen, was die Verhandlungsaufträge und die Gestaltungsaufträge angeht, durch klare Mindeststandards in den benannten Segmenten. Wenn sie das tun, dann glaube ich hat die ganze Gewerkschaft eine Zukunft.
Ob Jürgen Peters, der als Betonkopf gilt, das schaffen kann oder ob ein anderer wie Berthold Huber die IG Metall dorthin führen muss, darum geht es letztlich morgen bei der Vorstandssitzung. Es geht um die Zukunftsfähigkeit der größten deutschen Industriegewerkschaft.