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Nach Unterhauswahl in Großbritannien
May plant Regierungsbildung mit nordirischen Konservativen

Theresa May will trotz der Wahlpleite Premierministerin in Großbritannien bleiben - und das Land wie geplant aus der EU führen. May mit der Partei der nordirischen Protestanten verhandeln. Bundeskanzlerin Merkel rechnet trotz des überraschenden Wahlausgangs mit dem planmäßigem Beginn der Brexit-Gespräche.

09.06.2017
    Die Britische Premierministerin May.
    Premierministerin May will eine Regierung bilden. (dpa/picture-alliance/Alastair Grant)
    May strebe eine konservative Minderheitsregierung mit Duldung durch die konservative nordirische Democratic Unionist Party (DUP) an, hieß es in britischen Medien. Die DUP-Vorsitzende Arlene Foster sagte in Belfast, die Premierministerin habe bereits am Freitagmorgen mit ihr gesprochen. Nun werde man Verhandlungen aufnehmen und darüber beraten, wie man dem Land Stabilität geben könne.
    DUP will "weichen Brexit"
    Für die anstehenden EU-Austrittsverhandlungen verweist Foster auf die besondere Situation der einstigen Bürgerkriegsregion Nordirland und plädiert für einen "weichen" Brexit. Sie will verhindern, dass neue Grenzkontrollen zur benachbarten Republik Irland entstehen.
    Das Bils zeigt DUP-Parteichefin Arlene Foster gibt am 9. Juni 2017 in Belfast bei einem Pressestatement. Um sie herum stehen weitere Politiker von Nordirlands protestantischer und konservativer Unionistenpartei.
    Pressestatement von DUP-Parteichefin Arlene Foster in Belfast. (dpa-bildfunk / AP / Peter Morrison)
    May hatte bei Königin Elizabeth II. um die Erlaubnis gebeten, eine Regierung zu bilden - und diese auch bekommen. Nach ihrem Besuch im Buckingham-Palast sagte May, Großbritannien brauche jetzt Sicherheit, und sie werde den Willen des Volkes erfüllen, aus der Europäischen Union auszutreten. Nach ihren Angaben können die Brexit-Verhandlungen wie geplant am 19. Juni beginnen.
    DUP, die Abkürzung für "Democratic Unionist Party", war am Tag nach der Wahl einer der meistgesuchten Begriffe im Netz. Es ist die Partei des 2014 verstorbenen Ian Paisley, der den Papst einst als Anti-Christen bezeichnet hatte und den westlichen Lebensstil als Sünde. Auch heute steht die DUP für streng konservative Ansichten: Sie tritt unter anderem für ein striktes Abtreibungsverbot und gegen jede Form gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ein.
    Wahlergebnis ein "Desaster" für May
    Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte im Deutschlandfunk, er sei überrascht, dass die britische Premierministerin plane, im Amt zu bleiben. Das Wahlergebnis sei eine riesige Beschädigung für die britische Premierministerin. Doch sie klebe offenbar an ihrem Stuhl und wolle mit der Argumentation bleiben, dass sich Großbritannien in Zeiten der Brexit-Verhandlungen keine lange Regierungsbildung leisten könne.
    Der Berliner Büroleiter der Wochenzeitschrift "The Economist", Jeremy Cliffe, glaubt nicht, dass May noch eine politische Zukunft hat. Cliffe sagte im Deutschlandfunk, May trage die Hauptschuld am schlechten Abschneiden der Konservativen. Sie habe im Wahlkampf unsicher und roboterhaft gewirkt. Das Wahlergebnis sei "ein Desaster" für sie. Cliffe hält auch weitere Neuwahlen für möglich.
    "Parlament in der Schwebe"
    Die Wahl hat für ein "hung parliament" gesorgt - ein "Parlament in der Schwebe", in dem keine Partei eine absolute Mehrheit hat. Nach der Auszählung fast aller Stimmen bei der Unterhauswahl haben offenbar weder die konservativen Tories noch Labour eine Chance, die Mehrheit der 650 Wahlkreise für sich zu gewinnen. Von den 650 Sitzen im Unterhaus gehen laut vorläufigem Endergebnis 318 an die Konservativen und 262 an Labour. Für die absolute Mehrheit sind 326 Mandate notwendig.

    Die 60-jährige May hatte die vorgezogene Parlamentswahl einberufen, um sich ein klares Mandat für die Brexit-Verhandlungen zu holen. Sie hatte jedoch in den vergangenen Wochen an Rückhalt in der Bevölkerung verloren.
    Corbyn fordert Mays Rücktritt
    Labour-Chef Jeremy Corbyn, dessen Partei deutliche Zugewinne erzielte, hatte zuvor Mays Rücktritt gefordert. Er deutet auch seine Bereitschaft zur Bildung einer Regierung an. Seine Partei sei bereit, dem Land zu dienen, sagt er. Labour werde alles tun, um das politische Programm umzusetzen. Es sei ziemlich klar, wer diese Wahl gewonnen habe.
    Labour-Chef Jeremy Corbyn spricht in seinem Wahlkreis Islington, den er verteidigt hat.
    Labour-Chef Jeremy Corbyn spricht in seinem Wahlkreis Islington, den er verteidigt hat. (AP /Frank Augstein)
    Die weitere innenpolitische Entwicklung ist durch den Ausgang der Wahlen unklar. Seit März läuft aber bereits eine zweijährige Frist bis zum EU-Austritt 2019. Bis dahin müsste ein Austrittsabkommen verabschiedet sein. Der EU-Unterhändler Michel Barnier wollte mit den Brexit-Gesprächen in der Woche ab dem 19. Juni beginnen.
    EU betrachtet Wahlausgang mit Sorge
    Vertreter der Europäischen Union haben besorgt auf den Wahlausgang in Großbritannien reagiert. Ratspräsident Donald Tusk warnte vor einem Scheitern der Brexit-Verhandlungen. Es müsse unbedingt verhindert werden, dass kein Austrittsabkommen zustande komme, schrieb er auf Twitter.
    EU-Chefunterhändler Barnier twitterte, die Verhandlungen würden beginnen, sobald Großbritannien dafür bereit sei. EU-Haushaltskommissar Oettinger erwartet angesichts des Wahlergebnisses mehr Unsicherheit in den Gesprächen. Mit einem schwachen Partner laufe man Gefahr, dass die Verhandlungen für beide Seiten schlecht liefen, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk.
    SPD-Kanzlerkandidat Schulz gratulierte Labour-Chef Corbyn und kündigte an, sich bald mit ihm treffen zu wollen.
    Labour habe auf das Thema Gerechtigkeit gesetzt, das die Menschen überall in Europa bewege, erklärte Schulz. Nach Einschätzung von Bundesfamilienministerin Katarina Barley bedeutet das Wahlergebnis für die Briten weitere Instabilität. Die SPD-Politikerin, die auch die britische Staatsbürgerschaft besitzt, sagte im Deutschlandfunk, das Land sei schon nach dem Brexit-Referendum gespalten gewesen. Nun erlebe sie ein Großbritannien, das in Unordnung sei und nicht wisse, wo es hinwolle. Es sei nun die Aufgabe von Premierministerin May oder ihrem Nachfolger, das Land wieder zu vereinen.
    Merkel rechnet mit planmäßigem Beginn der Brexit-Gespräche
    Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich zurzeit auf einer Lateinamerika-Reise befindet, sagte in Mexiko-Stadt, die Gespräche über den EU-Austritt Großbritanniens würden wie geplant in den kommenden Tagen beginnen. "Wir sind vorbereitet auf die Verhaneldungen für den Brexit." Sie hoffe auf zügige Verhandlungen und die Einhaltung des Zeitrahmens. "Wir werden uns darum bemühen, die Interessen der 27 Mitgliedstaaten zu vertreten, Großbritannien wird seine Interessen vertreten", sagte Merkel - gleichzeitig wolle man weiter ein guter Partner von Großbritannien bleiben.
    (tzi/mw/ach/vic)