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Nacha Vollenweiders Comic "Fußnoten"
Erinnerungen auf Schienen

In ihrem Erstling verbindet die junge Comic-Autorin Nacha Vollenweider eine Zugfahrt durch ihre Wahlheimat Hamburg mit Erinnerungen an Argentinien. In einem Strom aus Assoziationen verschwimmen Eindrücke ihres Alltags mit einer tragischen Familiengeschichte.

Von Kai Löffler | 11.09.2017
    Cover "Fußnoten" von Nacha Vollenweider, daneben die Autorin selbst.
    Nacha Vollenweider hat mit "Fußnoten" ein beeindruckendes Debüt geschaffen (Avant-Verlag)
    Zitat: "Mir wird immer gesagt, dass ich zu Übertreibungen neige, aber ich denke, das Beste an Deutschland sind die Züge."
    "Ich fahre gerne Zug. In Argentinien gibt es kaum, oder wo ich wohne, gibt es überhaupt keinen Zug", sagt Nacha Vollenweider.

    Nacha Vollenweiders Comic "Fußnoten" ist in gewisser Weise eine Ode an den Schienenverkehr.

    "Der letzte Zug, der in Río Cuarto fuhr, ist 1977, und man kommt zu diesen alten Bahnstationen und sieht die Bahnschienen und die führen nirgendwo. Und du weißt auch, dass der Zug nicht kommt. Es ist irgendwie etwas, das mal war."
    Eine assoziative Zugfahrt
    Eine Zugfahrt ist der Ausgangspunkt von ihrem erstem Comic "Fußnoten". Während draußen die Landschaft vorbeizieht, wandern ihre Gedanken. Gebäude, Ortsschilder, Muster auf Sitzpolstern: Vieles erinnert sie an ihre Heimat Argentinien, an ihre Familie. Vor allem an ihren Onkel, den die Militärregierung in den 70ern verschwinden ließ - wie viele politisch aktive Menschen seiner Generation.
    "Für mich war auch die alte Bahnstation in Río Cuarto wichtig, wo auch das Haus der Erinnerung funktioniert."
    Gemeint ist der Sitz der Organisation H.I.J.O.S., die in ihren Büros auf dem alten Bahnhofsgelände die Verbrechen der Militärdiktatur dokumentiert und aufarbeitet.

    "Da habe ich nach meinem Namen gefragt, warum ich Ignacia heiße, und so geht es in die Assoziationen. Und da habe ich mich an meine Vorfahren erinnert, warum sind die nach Argentinien ausgewandert."
    Migration ist ein zentrales Thema von "Fußnoten", motiviert von Vollenweiders eigenem Gefühl, zwischen zwei Welten zu leben. Seit ein paar Jahren wohnt die Argentinierin in Hamburg, hat dort Zeichnen studiert. In dieser Zeit ist auch ihr Comic entstanden. Als Studienprojekt, komplett in Handarbeit, mit Tusche auf großformatigem Papier. Einen strukturierten Plan hatte sie nicht; ähnlich wie ihr Alter Ego in der Geschichte hat sie sich beim Schreiben von Assoziationen treiben lassen. Fest stand nur die zentrale Idee: Eine Zugfahrt durch Hamburg, verbunden mit Bildern aus Argentinien.

    "Und dann fragten meine Kommilitonen: Was bedeutet das? Was ist ein Verschwundener und warum hast du einen Gartenzwerg bei deiner Oma zuhause? Und ich musste immerzu erzählen und erklären, was das bedeutete. Auf manchen Bildern gibt es eine Nummer und die Kapitel innerhalb der Hauptgeschichte funktionieren wie Fußnoten, als Ergänzung dieser Situation."
    "Das wollte ich nicht zeichnen"
    Einige der Fußnoten sind Erinnerungen an Argentinien, andere sind Gespräche und wieder andere sind Ausflüge in die Geschichte. Besonders eindringlich sind Seiten, die Nacha Vollenweider mit einem abstrakten Geflecht schwarzer Linien und Flecken füllt. So etwa, als sie erzählt, wie ihr Onkel in seiner Wohnung verhaftet wird.

    "Es gibt manche Bilder, wo ich ... Also ich kann mir vielleicht vorstellen, wie mein Onkel, wie die Militärs ihn abgeführt haben. Das kann man sich vielleicht vorstellen als Bild. Aber das zu zeichnen war für mich sehr schwierig. Das wollte ich nicht zeichnen."
    Zitat: "Ein Bekannter hatte ihn unter Folter verraten."
    Im letzten Viertel des Comics kommt der Zug zum Stehen und auch die Erzählung verliert ein wenig ihren Antrieb. Eine Episode, in der Nacha und ihre Freundin zwei Flüchtlinge aufnehmen, läuft ins Leere, und auf den letzten Seiten springt "Fußnoten" frenetisch in der Familiengeschichte umher und reißt eine Vielzahl anderer Themen an - etwa die Ausbeutung der Indios in Südamerika.
    Auch wenn am Ende die erzählerische Balance etwas kippt, ist "Fußnoten" ein bemerkenswertes Debüt. Scharf beobachtet, charmant und sehr persönlich erzählt, mit einer ganz eigenen Stimme. Nacha Vollenweider hat viel zu erzählen und es lohnt sich, ihr zuzuhören. Allein schon um zu erfahren, warum in der Ära Perón ausgerechnet der Gartenzwerg ein Symbol der Hoffnung war.
    Nacha Vollenweider: "Fussnoten"
    Avant Verlag, Berlin 2017. 208 Seiten, 20 Euro