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Nachbarn mit schwieriger Geschichte

Die Grenze zwischen Armenien und der Türkei ist immer noch geschlossen. Grund dafür ist unter anderem der Streit zwischen Armeniern und Türken über das Massaker an den Armeniern im Jahr 1915. Seit einiger Zeit nun zeichnet sich Entspannung ab im armenisch-türkischen Verhältnis. Die Menschen auf der armenischen Seite der Grenze sehen das mit gemischten Gefühlen.

Von Gesine Dornblüth |
    Die Brüder Lewon und Geworg Badalian schreiten durch ihren Gemüsegarten. Tomaten, Paprika und Gurken sprießen. Dazu Aprikosen, Kirschen, Pfirsiche, Birnen. Die Sonne brennt, Bewässerungsgräben sorgen für sattes Grün im ganzen Garten. Fünf Hektar Land bestellen die Männer. Lewon bückt sich, bietet eine Gurke an.

    Die Badalians leben in Eraskahun, einem Dorf im Süden Armeniens, nahe der Grenze zur Türkei. Levon, der jüngere der beiden, zeigt auf Pappeln hinter seinem Grundstück.

    "Hinter den Bäumen dort beginnt schon die Türkei. Vielleicht 300 Meter von hier. Wenn die Türken morgens zum Gebet rufen, hören wir das hier."
    Hinübergehen können sie nicht, denn die Grenze zur Türkei ist geschlossen, und das seit Jahrzehnten. Die Straße durch Eraskahun endet an einem Grenzzaun. Das Dorf ist Sperrgebiet. Panzer sind in den trockenen Boden eingegraben. Ihre Geschütze zeigen in Richtung Türkei. Die Bewohner von Eraskahun leben von der Landwirtschaft. Sie haben ihr Auskommen. Der Boden ist fruchtbar – anders als in den meisten anderen Gegenden Armeniens. Der eine der Brüder Badalian hat außerdem noch einen Job in der örtlichen Legebatterie. Er ist Traktorist und fährt das Futter zu den Hennen.

    "Ich werde dort leider nicht in Geld bezahlt, sondern in Eiern. Eigentlich verdiene ich dort im Monat 75.000 Dram. Das sind in Eiern fünf Kisten á 360 Stück. Die verkaufe ich an die umliegenden Geschäfte."
    Im Haus ist es kühl. Auf dem Sofa sitzt die Enkeltochter mit dem Nachbarkind. Beide kauen auf Aprikosen. Im Fernseher singt Amy Winehouse. Die Kinder starren fasziniert auf die Hochsteckfrisur und die Tätowierungen der skandalumwitterten Popsängerin. Vielleicht 40 Familien leben in Eraskahun. Die meisten stammen aus der heutigen Türkei. Ihre Vorfahren sind 1915 vor den Massakern an den Armeniern geflohen. Auch Lewons und Geworgs Vater. Der wurde nur acht Kilometer hinter der Grenze geboren, auf türkischem Gebiet. Damals war dort das Osmanische Reich.

    "Ich habe mal durch das Fernglas hinübergeguckt. Wenn die Grenze erst offen ist, dann werde ich mal in das Dorf fahren. Das wäre schön."
    Über die Öffnung der Grenze ist in Armenien in den letzten Monaten viel geredet worden. Das Thema beschäftigt die Menschen. Die Türkei und Armenien, so scheint es, nähern sich langsam einander an. Den ersten Schritt machte der Präsident Armeniens, Sersch Sarkisian, vor gut einem Jahr. Er lud seinen türkischen Amtskollegen, Abdullah Gül, zum Besuch eines Fußballspiels der beiden Nationalmannschaften nach Eriwan ein. Gül sagte zu. Es war der erste Besuch eines türkischen Staatschefs in dem Nachbarland. In diesem Frühjahr dann veröffentlichten die Regierungen beider Länder eine Grundsatzvereinbarung über weitere diplomatische Schritte. Das Bemerkenswerte daran: Beide Länder verzichteten auf Bedingungen. Lange nämlich hatte die Türkei darauf bestanden, dass sie die Grenze zu Armenien nur dann öffnet, wenn Armenien sich aus dem Konfliktgebiet Berg-Karabach zurückzieht. Berg-Karabach ist ein Landstrich in Aserbaidschan, in dem vor allem Armenier leben. Die armenische Armee hat Berg-Karabach Anfang der 90er-Jahre besetzt. Es war der blutigste Krieg auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Die Türken stehen auf der Seite der turksprachigen Aserbaidschaner. Aus Solidarität mit ihnen hatte die Türkei 1993 die diplomatischen Beziehungen zu Armenien abgebrochen. Doch nun soll der Konflikt um Berg-Karabach das armenisch-türkische Verhältnis nicht länger belasten. So deuteten es die Türken zumindest im Frühjahr an. Inzwischen bezweifeln armenische Politiker, ob die Türken das tatsächlich ernst meinten. Der Außenminister Armeniens, Edward Nalbandian:

    "Kurz nach dem Fortschritt in unseren Verhandlungen gab es erneut Äußerungen auf türkischer Seite, auf unterschiedlichen Ebenen, in denen die türkisch-armenischen Beziehungen mit Berg-Karabach verbunden wurden. Ich frage mich: Ist die türkische Seite wirklich gewillt, diesen Prozess fortzusetzen, vorwärtszukommen, die Beziehungen zu normalisieren und die Grenzen zu öffnen? Oder ist sie einfach noch nicht bereit?"

    Dem Minister gehen die Verhandlungen mit der Türkei nicht schnell genug. Andere armenische Politiker wollen die Annäherung an die Türkei mit allen Mitteln aufhalten. Als die Regierungen im Frühjahr ihre gemeinsame Erklärung veröffentlichten, verließ die nationalistische Daschnak-Partei aus Protest die Regierungskoalition. Dabei hätten die Armenier viele Vorteile, wenn die Grenze geöffnet würde. Armenien ist international fast komplett isoliert. Das Land hat keinen Zugang zum Meer. Da die Grenzen zur Türkei und zu Aserbaidschan geschlossen sind, ist Armenien auf Georgien und den Iran als Transitländer angewiesen. Der Transit durch diese Länder ist teuer und unsicher. Georgien war während des Krieges im letzten Jahr plötzlich zu.

    Ein Bürogebäude in Eriwan. Grauer Beton, Putz bröckelt, einige Fenster sind kaputt. In einem der oberen Stockwerke sitzt der Spediteur Arsen Ghazaryan. Er ist Chef des Unternehmerverbandes von Armenien und zugleich Co-Vorsitzender des Rates für die Entwicklung armenisch-türkischer Geschäftsbeziehungen. Dieser Rat wurde bereits vor zwölf Jahren in Istanbul und Eriwan gegründet, um die Beziehungen zwischen den Saaten zu normalisieren.
    Wenn die armenisch-türkische Grenze geöffnet würde, könnten er und seine armenischen Kollegen ihre Exportgüter auf direktem Weg durch die Türkei zu den türkischen Mittelmeerhäfen bringen. Das, rechnet Ghazaryan vor, würde ihre Transportkosten je nach Gut um 20, ja sogar um 30 Prozent reduzieren. Dazu käme die Türkei selbst als Absatzmarkt.

    "Wir importieren zur Zeit Waren aus der Türkei im Wert von 100 Millionen US-Dollar im Jahr. Armenien hat immer Waren und Dienstleistungen ohne Hindernisse ins Land gelassen, die Türkei hat das nicht. Wir könnten von trivialen Lebensmitteln aus dem Agrarsektor bis hin zu Strom, Gas und Zement vieles liefern."
    Die Bewohner des Grenzdorfes Eraskahun teilen diesen Optimismus nur bedingt. Die Brüder Badalian sind skeptisch. Zu lange war der Zaun zu. Sie haben Angst vor dem Fremden auf der anderen Seite.

    "Wenn sie die türkische Grenze öffnen, ist das der Tod für uns Landwirte. Ich wüsste nicht, wohin ich mein Obst und Gemüse verkaufen sollte. Dann wird hier alles überschwemmt mit türkischen Produkten."
    Die Böden drüben seien nämlich noch besser als ihre. Das wüssten sie von ihren Vorfahren. Geworg nickt. Dennoch würde er gern mal hinüber fahren in die Türkei und das Dorf seiner Vorfahren ansehen.

    "Mit den Nachbarn muss man in Freundschaft leben. Immer. Nicht in Feindschaft. Sie sind auch von Gott geschaffen. Und Gott hat nicht unterschieden zwischen Türken, Armeniern, Russen. Wir sind alle seine Kinder."