Freitag, 29. März 2024

Archiv

Nachforschungen
Auf Spurensuche der NS-Raubkunst

In den meisten der 6.500 deutschen Museen mangelt es an Personal, das macht die Provenienzforschung schwierig bis unmöglich. So ist man auch in der Stiftung Weimarer Klassik erst seit vier Jahren auf der Suche nach NS-Raubkunst - mit ernüchternden Ergebnissen. Denn jedes Buch ist prinzipiell verdächtig, die Rückgabe an die rechtmäßigen Besitzer schier unmöglich.

Von Henry Bernhard | 10.04.2014
    Die Tür öffnet sich ins Tiefenmagazin der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar. Gleich links hinter dem Eingang steht ein Regal mit 3-400 Büchern, die nicht besonders wertvoll aussehen: Romane, Sachbücher, eine Hindenburg-Biographie. Meist um die 80 Jahre alt.
    "Das ist schon entdecktes, festgestelltes Raubgut aus den Beständen der Anna-Amalia-Bibliothek. Geordnet nach unterschiedlichen Provenienzen, die wir schon feststellen konnten."
    Die rechtmäßigen Besitzer sind nur sehr schwer zu ermitteln
    Rüdiger Haufe ist seit vier Jahren auf der Suche nach Raubgut in der Stiftung Weimarer Klassik. Die Bücher hinter ihm sollen ihren rechtmäßigen Erben zurückgegeben werden - wenn diese noch ermittelt werden können. Bislang 300 Bücher von 10.000 verdächtigen. Denn jedes Buch, jedes Bild, jede Handschrift, die ab 1933 von der Bibliothek oder dem Goethe- und Schiller-Archiv erworben wurden, ist prinzipiell verdächtig, NS-Raubgut zu sein: Besitztümer, die Menschen gehört haben, die fliehen mussten, die deportiert wurden, die ihre Habe unter Druck verkaufen mussten oder schlicht vom NS-Staat beraubt wurden.
    "35.000 Eintragungen haben wir festgestellt; für etwas mehr als 10.000 Indizien für einen Anfangsverdacht, seien es Spuren in den Büchern, seien es verdächtige Eintragungen in den Zugangsbüchern; generell überprüfen wir alles, was antiquarisch erworben worden ist, weil da liegt natürlich ein besonderer Verdacht vor. Wir gehen im Bereich der Bibliothek von etwas weniger als einem Drittel Verdachtsfällen aus."
    "Schwierig bis unmöglich"
    Seit Ende vergangenen Jahres hat Rüdiger Haufe Hilfe von zwei Historikern und einer Juristin. Finanziert werden ihre Stellen je zur Hälfte vom Bund und der Klassik-Stiftung Weimar. Diese hat - wie alle anderen deutschen Kulturinstitutionen - beschämend spät damit begonnen, ihre Bestände auf NS-Raubgut zu durchleuchten. In den allermeisten der 6.500 deutschen Museen mangelt es an Personal, was die Provenienz-, also Herkunftsrecherche schwierig bis unmöglich macht. Insofern steht die Stiftung Weimarer Klassik im deutschland-weiten Vergleich nicht schlecht da, meint ihr Präsident Hellmut Seemann.
    Es ist die genuine Aufgabe eines Museums zu wissen, über was es verfügt. Das muss kein Privater so genau wissen, wie es ein Museum wissen muss. Das ist geradezu Definition des Museums. Und deswegen ist es doch ziemlich skandalös, wie lange auch nach der Washingtoner Erklärung die Dinge noch so weitergegangen sind, wie sie jahrzehntelang gingen. Ein Museum kann solche Bestände in den eigenen Räumen nicht dulden.
    Zurück im Tiefenmagazin der Anna-Amalia-Bibliothek: Rüdiger Haufe und sein Mitarbeiter Peter Pröhls sind auf der Suche nach einigen historischen Almanachen der Sammlung Weißstein. Sie stehen zwischen all den anderen Büchern, die vermutlich verfolgungsbedingt zwischen 1933 und 45 den Besitzer gewechselt haben. Ein heikler Fall.
    Gotthilf Weißstein, ein bibliophiler Sammler, Germanist, trug so im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bis zu seinem Tod 1907 eine große Bibliothek zusammen. Nach seinem Tod wird die Bibliothek von seinem Bruder geordnet und fällt nach dessen Tod an die Witwe des Bruders. Sie wird in den 20er Jahren an die damalige Preußische Staatsbibliothek als Leihgabe abgegeben. Und im Laufe des Jahres 1933 trifft Margarete Weißstein, die Erbin, den Entschluss diese Leihgabe aufzulösen und die Bibliothek zu verkaufen. Ob das schon unter dem Eindruck der Verfolgung geschieht, ist unklar; und das ist das, was wir lösen müssen. Die Bibliothek wird über den Antiquar Martin Breslauer verkauft.
    Die Anspruchsberechtigten sind schwer auszumachen
    Martin Breslauer aber war wie die Weißsteins Jude und wurde von den Nazis verfolgt. Doch wer war nun der legitime Besitzer der Bücher? Wer hat frei, und wer unter Zwang gehandelt?
    "Ein weiterer Bereich der Weißstein-Bibliothek wird von Arthur Goldschmidt gekauft - vermutlich auch über Martin Breslauer. Martin Breslauer, der Antiquar, der die Bücher verkaufte, war selber Verfolgter des NS-Regimes. Und die große Frage: Wer - verfolgt waren alle drei Personen! - wer ist jetzt der Anspruchsberechtigte?"
    Es kommt nie auf den materiellen Wert an
    Mehrere entfernte Verwandte der Geschädigten haben Anspruch angemeldet. Verhandlungen mit ihnen laufen. Nicht alle Fälle sind so kompliziert wie dieser. Doch die Suche nach den Erben wird jedes Jahr schwieriger, weil sich Spuren verlieren und die Generationen sich verzweigen. Dafür arbeiten sich die Forscher durch Archive, kooperieren mit Nachlassgerichten und der Comission for looted art. Wichtig ist dabei, dass es nie auf den materiellen Wert eines Buchs, einer Zeichnung ankommt.
    "Ich erinnere mich an einen Rabbi aus New York, der hatte drei Schriften seines Vaters zurückbekommen - es waren Schriften des Deutschen Alpenvereins in Deutsch aus den 20er Jahren. Er spricht kein Deutsch und inhaltlich-thematisch interessiert's ihn auch nicht, aber das waren die einzigen Bücher aus der Bibliothek seines Vaters, die er dann in den Händen halten konnte! Und das ist schon sehr bewegend für alle Beteiligten gewesen."
    Die Erbenermittlung in Weimar kommt in Gang. Einiges wurde bereits zurückgegeben; andere Erben verkaufen die restituierten Stücke letztendlich zurück an die Klassik-Stiftung, die diese dann - diesmal mit gutem Gewissen - behalten kann. Wenn die vier Provenienzforscher ihren Plan einhalten, dann haben sie in zwei Jahren, wenn ihre Verträge auslaufen, die Bestände der Jahre 1933 bis '39 nach NS-Raubkunst durchforstet. Es bleibt also noch viel Arbeit.