Das Orchester der Stadt Bonn spielt Beethoven, die Zuschauerränge in der ehemaligen Pädagogischen Akademie zu Bonn am Rhein sind überfüllt, an den großen Fenstern des Plenarsaals sind außen Tribünen errichtet worden, um den vielen Zuschauern zumindest den Blick auf die erste Sitzung des ersten Deutschen Bundestages zu ermöglichen. Paul Löbe ist Alterspräsident, er hält die Eröffnungsansprache.
"Nach einem alten Gebrauch wird die erste Sitzung eines neuen Parlaments eröffnet durch das an Jahren älteste Mitglied des Hauses. Ich bin geboren am 14. Dezember 1875 und frage, ob sich ein Mitglied im Hause befindet, das zu einem früheren Termin geboren ist. Offenbar ist das nicht der Fall, dann erkläre ich die erste Sitzung des Bundestages der Bundesrepublik Deutschland für eröffnet."
Paul Löbe war seit 1920 SPD-Reichstagsabgeordneter, er gehörte zu den Parlamentariern, die 33 dem Ermächtigungsgesetz der Nazis nicht zugestimmt hatten. Als er vom Widerstand gegen die Nazis spricht, kommen die ersten Zwischen-rufe: "Wie viele Abgeordnete sitzen hier, die dafür gestimmt haben!" In der Tat. Einer davon war Theodor Heuss, der fünf Tage später zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Aber den meisten Abgeordneten war nicht nach Streit zumute, eher nach Weihestunde, nach dem Pathos des Neuanfangs. Paul Löbe war genau der Richtige dafür.
"Die Alten und die Jüngeren sind nun hier vereint in der schweren Aufgabe, an die Stelle der Trümmer wieder ein wohnliches Haus zu setzen und in den Mutlosen eine neue Hoffnung zu wecken."
Ein neues Deutschland schaffen, aus dem Schatten der Nazi-Herrschaft heraustreten, das war die Botschaft.
"Und ich habe die Zuversicht, unser arbeitsames, tüchtiges, ordnungsliebendes, leider politisch so oft irregeführtes Volk - es wird es schaffen."
Feierliche Reden abliefern und anhören, das war der wesentliche Inhalt dieses ersten Tages. Und wählen natürlich. Zum Beispiel den ersten Präsidenten dieses ersten Deutschen Bundestages. Die Wahl fiel auf Erich Köhler.
"Meine Damen und Herren, ich übernehme das Amt des ersten Präsidenten des ersten Deutschen Bundestages der Bundesrepublik Deutschland."
Erich Köhler war in der Weimarer Republik bei den Nationalliberalen politisch aktiv, 1945 gehörte er zu den Gründern der CDU. Seine Wahl war von Konrad Adenauer eingefädelt worden, es gab keinen ernsten Gegenkandidaten. Zwar schlugen die Kommunisten den SPD-Abgeordneten Hans Böhm vor, was dieser selbstverständlich ablehnte. Mit den Kommunisten wollte keiner was zu tun haben. Köhler wollte seinem Mentor Adenauer alle Ehre machen und hielt eine Rede, die vor allem ganz grundlegende Fragen aufwerfen sollte.
"Und es drängt sich in dieser Stunde wohl auf unser aller Lippen die Frage: Wozu sind wir auf der Welt."
Die Frage beantwortet Köhler zwar nicht, aber dafür die nach Sinn und Zweck und Status einer Volksvertretung über die formale Funktion eines Staatsorgans hinaus.
"Sie muss aber auch eine geistige Verankerung finden. Und sie kann diese geistige Verankerung als Staatsautorität in unserem Volke nur dann finden, wenn unsere Arbeit von dem edelsten Grundsatz, den je die Geschichte menschlicher Ethik aufgestellt hat, entscheidend bestimmt wird. Wir wollen dienen. Wir wollen dienen den Armen und Bedürftigen. Wir wollen die Selbstsucht in Schranken halten, und wir wollen den Schwachen vor dem Starken schützen."
Schöne Worte, und alle waren ordentlich ergriffen.
"Ich stelle fest: Wir grüßen das deutsche Volk und das deutsche Vaterland. Ich danke Ihnen."
Freilich ging auch diese erste Bundestagssitzung nicht ganz ohne Streit zu Ende. Die Kommunisten hatten beantragt, auf der ersten Arbeitssitzung des Plenums am nächsten Tag über das Problem der Demontage zu debattieren. Der Abgeordnete Heinz Renner wollte eine Abstimmung über diesen Antrag. Präsident Köhler ignorierte das einfach und erteilte dem SPD-Abgeordneten Erich Ollenhauer das Wort. Dessen Anliegen:
"Ein Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, die leitenden Bundesorgane von Bonn nach Frankfurt zu verlegen."
Und ein Antrag, am nächsten Tag eine Entschließung zu den Demontagen zu behandeln. Das finden die Kommunisten nun gar nicht witzig, dass die Sozis ihren Antrag abgekupfert haben. Was wiederum die Mehrheit des Plenums ziemlich witzig findet.
Es geht hin und her, Gebhard Seelos von der Bayernpartei empört sich:
"Herr Präsident, machen Sie doch dieser Popularitätshascherei endlich ein Ende. Das ist unwürdig in der ersten Sitzung. - Meine Damen und Herren ( Es lebe der Bruderstreit), meine Damen und Herren, ich habe festgestellt: Das Haus hat diese Anträge zur Kenntnis genommen, es ist die Sache des Ältestenrates, zusammen mit mir morgen die Tagesordnung der nächsten Sitzung und deren Termin vorzubereiten und zu entscheiden."
Und damit hat Erich Köhler die erste Hürde in seinem schweren Amt genommen. Freilich gelang ihm das immer seltener, die Kritik an seiner Amtsführung wurde bald so heftig, dass er schon nach einem Jahr zurücktrat. Den 7. September 1949 aber überstand er noch unbeschadet. Und das letzte Wort hatte dann wieder Ludwig van Beethoven.
"Nach einem alten Gebrauch wird die erste Sitzung eines neuen Parlaments eröffnet durch das an Jahren älteste Mitglied des Hauses. Ich bin geboren am 14. Dezember 1875 und frage, ob sich ein Mitglied im Hause befindet, das zu einem früheren Termin geboren ist. Offenbar ist das nicht der Fall, dann erkläre ich die erste Sitzung des Bundestages der Bundesrepublik Deutschland für eröffnet."
Paul Löbe war seit 1920 SPD-Reichstagsabgeordneter, er gehörte zu den Parlamentariern, die 33 dem Ermächtigungsgesetz der Nazis nicht zugestimmt hatten. Als er vom Widerstand gegen die Nazis spricht, kommen die ersten Zwischen-rufe: "Wie viele Abgeordnete sitzen hier, die dafür gestimmt haben!" In der Tat. Einer davon war Theodor Heuss, der fünf Tage später zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Aber den meisten Abgeordneten war nicht nach Streit zumute, eher nach Weihestunde, nach dem Pathos des Neuanfangs. Paul Löbe war genau der Richtige dafür.
"Die Alten und die Jüngeren sind nun hier vereint in der schweren Aufgabe, an die Stelle der Trümmer wieder ein wohnliches Haus zu setzen und in den Mutlosen eine neue Hoffnung zu wecken."
Ein neues Deutschland schaffen, aus dem Schatten der Nazi-Herrschaft heraustreten, das war die Botschaft.
"Und ich habe die Zuversicht, unser arbeitsames, tüchtiges, ordnungsliebendes, leider politisch so oft irregeführtes Volk - es wird es schaffen."
Feierliche Reden abliefern und anhören, das war der wesentliche Inhalt dieses ersten Tages. Und wählen natürlich. Zum Beispiel den ersten Präsidenten dieses ersten Deutschen Bundestages. Die Wahl fiel auf Erich Köhler.
"Meine Damen und Herren, ich übernehme das Amt des ersten Präsidenten des ersten Deutschen Bundestages der Bundesrepublik Deutschland."
Erich Köhler war in der Weimarer Republik bei den Nationalliberalen politisch aktiv, 1945 gehörte er zu den Gründern der CDU. Seine Wahl war von Konrad Adenauer eingefädelt worden, es gab keinen ernsten Gegenkandidaten. Zwar schlugen die Kommunisten den SPD-Abgeordneten Hans Böhm vor, was dieser selbstverständlich ablehnte. Mit den Kommunisten wollte keiner was zu tun haben. Köhler wollte seinem Mentor Adenauer alle Ehre machen und hielt eine Rede, die vor allem ganz grundlegende Fragen aufwerfen sollte.
"Und es drängt sich in dieser Stunde wohl auf unser aller Lippen die Frage: Wozu sind wir auf der Welt."
Die Frage beantwortet Köhler zwar nicht, aber dafür die nach Sinn und Zweck und Status einer Volksvertretung über die formale Funktion eines Staatsorgans hinaus.
"Sie muss aber auch eine geistige Verankerung finden. Und sie kann diese geistige Verankerung als Staatsautorität in unserem Volke nur dann finden, wenn unsere Arbeit von dem edelsten Grundsatz, den je die Geschichte menschlicher Ethik aufgestellt hat, entscheidend bestimmt wird. Wir wollen dienen. Wir wollen dienen den Armen und Bedürftigen. Wir wollen die Selbstsucht in Schranken halten, und wir wollen den Schwachen vor dem Starken schützen."
Schöne Worte, und alle waren ordentlich ergriffen.
"Ich stelle fest: Wir grüßen das deutsche Volk und das deutsche Vaterland. Ich danke Ihnen."
Freilich ging auch diese erste Bundestagssitzung nicht ganz ohne Streit zu Ende. Die Kommunisten hatten beantragt, auf der ersten Arbeitssitzung des Plenums am nächsten Tag über das Problem der Demontage zu debattieren. Der Abgeordnete Heinz Renner wollte eine Abstimmung über diesen Antrag. Präsident Köhler ignorierte das einfach und erteilte dem SPD-Abgeordneten Erich Ollenhauer das Wort. Dessen Anliegen:
"Ein Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, die leitenden Bundesorgane von Bonn nach Frankfurt zu verlegen."
Und ein Antrag, am nächsten Tag eine Entschließung zu den Demontagen zu behandeln. Das finden die Kommunisten nun gar nicht witzig, dass die Sozis ihren Antrag abgekupfert haben. Was wiederum die Mehrheit des Plenums ziemlich witzig findet.
Es geht hin und her, Gebhard Seelos von der Bayernpartei empört sich:
"Herr Präsident, machen Sie doch dieser Popularitätshascherei endlich ein Ende. Das ist unwürdig in der ersten Sitzung. - Meine Damen und Herren ( Es lebe der Bruderstreit), meine Damen und Herren, ich habe festgestellt: Das Haus hat diese Anträge zur Kenntnis genommen, es ist die Sache des Ältestenrates, zusammen mit mir morgen die Tagesordnung der nächsten Sitzung und deren Termin vorzubereiten und zu entscheiden."
Und damit hat Erich Köhler die erste Hürde in seinem schweren Amt genommen. Freilich gelang ihm das immer seltener, die Kritik an seiner Amtsführung wurde bald so heftig, dass er schon nach einem Jahr zurücktrat. Den 7. September 1949 aber überstand er noch unbeschadet. Und das letzte Wort hatte dann wieder Ludwig van Beethoven.