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Nachgefragt
"Es gibt einen humanistischen Lifestyle"

Arik Platzek arbeitet für den Humanistischen Verband und ist Redakteur der Zeitschrift "Diesseits". Sein Verband bietet eigene Rituale an zu Geburt, Hochzeit und Tod. Nichtreligiöse Menschen seien in Deutschland benachteiligt, kritisiert er, das Religionsrecht sei veraltet. Eine atheistische Morgenandacht im Deutschlandfunk strebt er jedoch nicht an.

Arik Platzek im Gespräch mit Christiane Florin | 06.06.2016
    Arik Platzek
    Arik Platzek, Journalist und Humanist (Deutschlandradio/ Arik Platzek privat)
    Christiane Florin: Herr Platzek, es gibt bei einer humanistischen Hochzeit kein Jesus-Zitat, sondern zum Beispiel ein Wort von Woody Allen über die Ehe. Hand aufs Herz: Das hört sich schon so an, als habe man von der kirchlichen Zeremonie abgekupfert. Wozu bekennt sich ein humanistisch-weltliches Paar?
    Arik Platzek: Ein humanistisch-weltliches Paar bekennt sich zu einer ganzen Reihe von Prinzipien und Werten. Viele humanistisch denkende Menschen legen großen Wert auf Selbstbestimmung. Viele Menschen, die sich als Humanisten bezeichnen, verstehen sich als undogmatische, kritische, vernunftorientierte Denker. Also als Menschen, die sich in der Gesellschaft einen Kopf machen darüber, was für sie und ihre Umwelt wichtig ist. Was Humanistinnen und Humanisten auch kennzeichnet, ist ein solidarisches und mitfühlendes Handeln und natürlich das Bestreben nach einem toleranten Miteinander. In der Regel ist es ein nicht-religiöses Weltbild, was dem zugrunde liegt.
    Florin: Gibt es einen humanistischen Lifestyle, einen humanistischen Lebensstil?
    Platzek: Ja, der bewegt sich genau an diesen Linien von Prinzipien und Werteorientierungen, die ich gerade genannt habe, entlang. Wer sich aufgrund seiner nicht-religiösen Überzeugung diese Werte zueigen macht, wer sie in seinem persönlichen Leben, aber auch in seinem gesellschaftlichen, öffentlichen Leben tatsächlich auch praktiziert, da hat man so eine Art humanistischen Lifestyle, obwohl ich das Wort Lifestyle nicht verwenden würde. Ich würde da eher von Lebensauffassung, Lebensgestaltung sprechen.
    Florin: Welche eigenen humanistischen Initiationsriten gibt es?
    Platzek: Es ist ähnlich wie in vielen anderen Kulturen, dass sich zu den jeweiligen Lebenswenden entsprechende Zeremonien und Feiern entwickelt haben. Da haben wir als erstes die Geburt eines Kindes, das man im Familien- und Freundeskreis willkommen heißt. Man hat als zweite Stufe im Leben die Jugendfeier als Feier dieses Übergangs von der Kindheit zum Erwachsenenleben. Für viele spielt es zunehmend eine Rolle, dass sie ihre Partnerschaften, das können Ehen sein oder andere Partnerschaften, auf eine humanistische Art und Weise begehen, also bewusst reflektieren und sich auf eine nicht-religiöse Weise, die ja trotzdem Werte und eine gewisse Orientierung kennzeichnet, begleiten lassen. Und schließlich am Ende, wenn jemand gestorben ist, dass man dem Menschen, der von einem gegangen ist, einen würdigen Abschied im Kreise der Freunde und Bekannten auf eine humanistisch geprägte Art und Weise gibt.
    Florin: Werden diejenigen, die diese Zeremonien vornehmen, auf irgendeine Weise geprüft?
    Platzek: Dieser Markt der freien Feiersprecher ist groß und vielgestaltig. Und so haben wir in einigen Regionen die Situation, dass über den humanistischen Verband organisierte Feiersprecher Qualifikationen und Zertifizierungen erwerben, um dann auch im Namen des Verbandes und mit dem Hintergrund einer fundierten und vertieften Praxis ihr Angebot machen zu können. Es gibt daneben noch viele andere freie Feiersprecher, die das für sich als Autodidakten entwickelt haben. Also es gibt beides.
    Florin: Was muss ein zertifizierter, humanistischer Zeremoniar gelesen haben?
    Platzek: Ich bin kein zertifizierter. humanistischer Zeremoniar und das wird auch von Land zu Land, von Region zu Region in der Qualifikation unterschiedlich gehandhabt. Ein von oben herab gegebener Kanon an fester, vorgegebener Lektüre ist nicht da.
    Florin: Ungefähr ein Drittel der Deutschen gehört keiner Konfession (mehr) an. Wie homogen ist diese Gruppe?
    Platzek: Kommt drauf an, welche genauen Aspekte man sich herausgreift. Wenn man zum Beispiel Umfragen macht – und die haben wir in den letzten Jahren gemacht -, wie viele Menschen nicht-religiöse Lebensauffassungen haben und sich an humanistischen Prinzipien orientieren, dann haben wir schon eine ziemlich große Gruppe, die in der Hinsicht auch sehr homogen ist. 30 bis 60 Prozent (dieser Gruppe) sagen "voll und ganz" oder "ganz überwiegende Zustimmung". Aber man kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es innerhalb der Konfessionsfreien noch eine Pluralität gibt, auch in religiöser Hinsicht. Dass man darunter natürlich auch religiöse Menschen hat, dass man darunter auch Atheisten hat, die keine humanistischen Werte und Überzeugungen teilen. Für uns sind vor allem die Menschen interessant, die von sich sagen, sie hätten eine nicht-religiöse Lebensauffassung und möchten ihr Leben humanistisch gestalten.
    Florin: Sehen Sie es mit Genugtuung, dass die Kirchen Mitglieder verlieren, dass auch zum Beispiel weniger kirchlich geheiratet wird. Oder verlieren Sie damit ein wichtiges Gegenüber, um nicht zu sagen ein Feindbild?
    Platzek: Ich persönlich verliere damit kein Feindbild. Ich habe noch nie ein Problem damit gehabt, wenn jemand kirchlich geheiratet hat, sofern das für andere nicht einen Zwang bedeutet, obwohl sie nicht wollen, kirchlich heiraten zu müssen. Da gibt es einige sehr fromme Regionen, da gibt’s diesen gesellschaftlichen Druck durchaus. Aber ansonsten sehe ich das relativ neutral. Was ich sehen kann, ist natürlich in einigen Bereichen, wo man in ethisch-moralischer Hinsicht über Kreuz liegt, ist es leichter, unsere Argumente vorzubringen, wenn man nicht mehr so eine starke Übermacht (der Kirchen) hat.
    Florin: Kürzlich sagte der Münsteraner Politikwissenschaftler Ulrich Willems hier in der Sendung, das deutsche Religionsrecht bevorzuge die Kirchen und benachteilige andere Religionsgemeinschaften, aber auch Nicht-Gläubige. Was ist am deutschen Staats-Kirchenrecht so schwer erträglich für Humanisten, Atheisten und Agnostiker?
    Platzek: Dass es ganz stark auf die Kirchen zugeschnitten ist, so wie wir sie vor 50, vor 100 Jahren in Deutschland hatten. Damals waren die Kirchen vielleicht aufgrund der großen Mitgliederzahlen staatstragende Gebilde. Das ist heute nicht mehr so. Viele Menschen orientieren sich in ihrem Leben anders, aber Recht und Politik sind in ihren Perspektiven und in ihrer Praxis noch ganz stark auf diese überkommene Situation zugeschnitten. Das führt zu Problemen, wenn beispielsweise bei der Einbeziehung von Menschen, die konfessionsfrei und nicht religiös sind, in Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verlangt wird, dass sie sich kirchenförmig organisieren sollen und man, wenn man diese kirchenförmige Organisation nicht hat, auch keinen Gesprächspartner sieht. Und da sagen wir, dass sich das Religions- und Weltanschauungsverfassungsrecht erneuern müsste. Dass es auf die neue gesellschaftliche Pluarität so angemessen zugeschnitten ist, dass die Gruppen, die sich darin aufhalten und die sich kulturell und gesellschaftlich einbringen, angemessen partizipieren können. Und dass die Eigenheiten der jeweiligen Gruppen akzeptiert werden. Das ist das, was der weltanschaulich neutrale Staat eigentlich verlangt.
    Florin: Wünschen Sie sich eine humanistische Verkündigungszeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, analog zur Morgenandacht hier im Deutschlandfunk?
    Platzek: Nein. Weil unserer Auffassung nach der Humanismus so etwas wie eine Verkündigung in Sinne einer christlichen Predigt oder einer geistlichen Vorgabe nicht kennt. Es gibt unterschiedliche Haltungen dazu, ob man das Format, ob man diesen Rahmen zum Beispiel nutzen möchte – in einigen Bundesländern wird er genutzt -, um eigene philosophische, gedankliche Impulse zu nutzen. Pauschal kann man das aber nicht beantworten. Da muss man wirklich von Bundesland zu Bundesland gucken: Gibt es Menschen, die das wollen? Wenn sie wollen, finde ich, dass man ihnen das Format auch einräumen sollte. Wenn sie nicht wollen, dann muss man da anders drüber sprechen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.