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Nachgefragt: Zehn Jahre Babyklappe in Hamburg

Vor zehn Jahren wurde in Hamburg das erste Neugeborene in einer Babyklappe abgelegt. Hamburg war Vorreiter - inzwischen gibt es bundesweit fast 100 solcher Angebote. Das Ziel: Müttern, die ungewollt schwanger geworden sind, einen Ausweg zu bieten, ihre Kinder anonym abzugeben. Doch auch zehn Jahre nach der Eröffnung der ersten Babyklappe ist die Idee umstritten.

Von Verena Herb | 08.04.2010
    Zoe und ihre Freundin rücken ihre Stühle zurecht, näher ran an den kleinen Holztisch. Die Kleinen nehmen die Buntstifte zur Hand und malen. Zoes Mutter, Tina, setzt sich in einen blau gemusterten Sessel in der Ecke des Spielzimmers. Sie beobachtet die Mädchen und erzählt über ihre Ängste vor vier Jahren, als sie mit Zoe schwanger wurde:

    "Dass es nicht der richtige Zeitpunkt wäre, ein Kind in die Welt zu setzen. Kurz vor der Prüfung, Freund weg, alleine. Zuhause wohnen. Ne, das hat alles nicht gepasst in dem Moment."

    Sie kapselt sich ab.

    "Von Freunden, die dann in die Disco gefahren sind. Man selber ist zu Hause geblieben. Also, zum Wohle des Kindes zu Hause geblieben, aber haben wollte ich es dann doch nicht."

    Tina trägt nur noch weite Kleidung. Sie versteckt ihre Schwangerschaft - und niemand merkt etwas. Weder Freunde noch ihre Familie. Dann setzen die Wehen ein. Im ersten Moment weiß Tina nicht, was sie tun soll. Sie hat von einer Babyklappe in Hamburg gehört.

    Ein weiß getünchtes Haus in der Goethestraße, Hamburg-Altona. Drei Stufen führen hinunter: Dann steht man vor einem Fenster: In der Mitte ist eine Klappe aus Aluminium eingelassen.

    "Wenn die Mutter das Kind in die Babyklappe legt, dann ertönt ein Signal. Und sofort weiß eine Mitarbeiterin, dass hier ein Kind abgegeben worden ist. Innerhalb von fünf bis zehn Minuten ist sie hier vor Ort und nimmt das Kind in Empfang und raus. Dann wird das Kind medizinisch versorgt und kommt dann für den Zeitraum von acht Wochen in eine Pflegefamilie. Und die Mutter hat die Möglichkeit, sich jederzeit zu melden und das Kind wieder anzunehmen","

    ...erklärt Layla Moysich, Geschäftsführerin des Vereins Sternipark. Sie hat vor zehn Jahren die erste Babyklappe Deutschlands initiiert. Der Grund: Ein kleiner Junge, nur wenige Tage alt, wird im Dezember 1999 in einem Schuhkarton in einer Papier-Recyclinganlage in Hamburg gefunden. Der Säugling ist tot. Der Fall rüttelt auf: Damit das möglichst nicht noch einmal passiert, ruft der Verein Sternipark, den es schon seit 1990 in Hamburg gibt, das Projekt Findelbaby ins Leben: Zunächst wird eine Notruftelefonnummer für Mütter eingerichtet, wenige Monate später die Babyklappe in Altona.

    Seit April 2000 wurden 38 Babys in den Babyklappen von Findelbaby in Hamburg abgelegt. 14 der Mütter haben sich innerhalb der acht Wochen Frist bei Sternipark gemeldet. Sie haben sich doch für ein Zusammenleben mit dem Baby entschieden. Die anderen Kinder leben in Adoptionsfamilien.

    Nach Angaben von Sternipark gibt es bundesweit etwa 98 dieser auch Babytür, Babyfenster, Babykorb oder Babynest genannten Einrichtungen in mehr als 80 Städten. Fünf alleine in Hamburg. Längst sind es nicht nur Mütter aus sozialen Randschichten, die ihr Neugeborenes in einer Babyklappe ablegen:

    ""Wir haben ganz viele Mütter zwischen 20 und 30, auch Studentinnen, die sehr wohl in sozial normalen Verhältnissen leben. Oft sind es natürlich junge Frauen, die das Gefühl haben, sie erfüllen nicht den Lebensplan, der erwartet wird von der Familie. Von Mann oder den Eltern. Es passt kein Kind in diese Welt hinein","

    ...erklärt Gesine Cukrowski, Vorsitzende der Stiftung Findelbaby. Zehn Jahre lang war es gängige Praxis, dass die Babys bis zu acht Wochen bei Sternipark bleiben, ohne dass eine staatliche Stelle vom Kind erfährt. Erst wenn die Mutter die Frist verstreichen lässt, werden die Behörden von der Existenz des Babys informiert. Ein Vorgehen, das zumindest in Hamburg seit fast einem Jahr umstritten ist: Mitarbeiter von Sternipark und anderer Institutionen wie etwa Kliniken, die Babyklappen unterhalten, agieren in einer juristischen Grauzone - behaupten die zuständigen Sozialbehörden. Der deutsche Ethikrat hat vergangenen November empfohlen, die vorhandenen Angebote der Babyklappen aufzugeben. In Hamburg wird darüber diskutiert. Christiane Woopen, stellvertretende Vorsitzende des Ethikrates:

    ""Der Ethikrat sieht das Recht auf Leben durch die Schließung von Babyklappen als nicht berührt an, als nicht eingeschränkt an. Weil er in der Vorhaltung von Angeboten anonymer Kindesabgabe kein Mittel sieht, um tatsächlich Leben zu retten."

    Nach Mehrheitsmeinung des Ethikrats gibt es keine Hinweise dafür, dass Babyklappen und auch anonyme Geburten Kinder tatsächlich retten. Im Gegenteil: Alle Untersuchungen würden belegen, dass Frauen, die ihr Neugeborenes töten wollen, durch diese Angebote nicht erreicht werden. Dieser Meinung ist auch Hamburgs Sozialsenator Dietrich Wersich. Geschlossen hat er bislang jedoch noch keine der Einrichtungen.

    Ein weiterer Kritikpunkt der Gegner: Babyklappen seien problematisch, da sie das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft und auf Beziehung zu seinen Eltern verletze. Der Ethikrat ist sich jedoch uneins. Sechs der 26 Mitglieder sind gegen die Abschaffung. Die Juristin Kristiane Weber-Hassemer:

    "Für uns kommt es entscheidend darauf an, dass die Datenlage eher flau ist. Um nicht zu sagen: nicht verlässlich. Wir können nach der kurzen Datenlage, die es bisher gibt, nicht ausschließen, dass im Einzelfall eben doch das Kind in einer solchen Weise ausgesetzt worden wäre, was zu einer gesundheitlichen Gefährdung geführt hätte."

    Zoe ist heute fast vier Jahre alt. Tina, ihre Mutter, ist nicht zur Babyklappe gefahren, um sie dort abzugeben. Allerdings sie hat damals die Notrufnummer von Findelbaby gewählt. Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin hat sie abgeholt, in ein Krankenhaus gebracht, wo Tina entbindet. Nur die Helferin kennt sie mit Namen. In der Klinik bleibt die Mutter anonym. Nach der Geburt fährt Tina nach Hause - ohne Zoe, die in die Obhut einer Pflegefamilie übergeben wird. Findelbaby hält aber Kontakt zur Mutter, ermöglicht Tina, ihre Tochter regelmäßig zu sehen. Tina entscheidet sich schließlich für das Kind. Heute lebt Zoe bei ihren leiblichen Eltern - in der Nähe von Hamburg.