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Nachhaltig, fair und gerecht

Mit acht Milleniumszielen wollte die internationale Staatengemeinschaft die weltweite Armut bis zum Jahr 2015 reduzieren. Vorschläge für die Zeit danach formuliert die Post-2015-Agenda. Kirchlichen Entwicklungshilfe-Organisationen gehen sie nicht weit genug.

Von Monika Hoegen | 11.04.2013
    Für EU-Kommissar Andris Piebalgs gibt es keinen Zweifel: Entwicklungspolitik bedeutet mehr, als Hilfsgelder zu verteilen. Für ihn muss eine neue Entwicklungsagenda deshalb auch noch ganz andere Werte enthalten als die reine Armutsbekämpfung.

    "Ich rede von Gleichheit, Fairness, Zugang zu Gerechtigkeit", so Kommissar Piebalgs. Nur wenn es für die Armen nicht mehr um das reine Überleben, sondern um eine Teilhabe an einem würdigen Leben gehe, könne von wirklicher Entwicklung gesprochen werden. Doch dazu sei eine viel stärkere gemeinsame internationale Anstrengung nötig.

    Gute Vorsätze, doch die Wirklichkeit sieht anders aus. So lautet die Kritik von kirchlichen Verbänden wie CIDSE, ein Zusammenschluss von 16 katholischen Nichtregierungsorganisationen aus Europa und den USA, die Partnerorganisationen in vielen Entwicklungsländern haben. Zwar stehen in den Papieren, dass Politikkohärenz wichtig sei: Politikbereiche wie Wirtschaft und Handel dürfen der Entwicklungszusammenarbeit nicht zuwiderlaufen. Umgesetzt aber wurde davon bisher noch nichts, sagt der Finnländer Markus Drake, Sprecher von CIDSE:

    "Es ist nicht verständlich, dass die EU gleichzeitig Entwicklungsarbeit tut und gleichzeitig auch diese Entwicklungsarbeit zerstört, sabotiert – mit zum Beispiel destruktiven Zuschüssen zu Exportartikeln, die lokale Märkte wirklich zusammenbrechen lassen."

    Bei der EU-Kommission kennt man solche Vorwürfe. In Krisenzeiten sei es schwierig, eine offene Agenda durchzusetzen, weil die Menschen sich eher abschotten und keine offenen Handelsbeziehungen zulassen möchten, räumt Entwicklungskommissar Piebalgs ein. Doch er hofft, seine Kollegen aus anderen Direktionen der Kommission und die Politiker aus den Mitgliedsstaaten davon zu überzeugen, dass es Wohlstand in der EU nur geben kann, wenn es auch den Menschen im Süden gut geht.

    "Policy Coherence for Development makes EU stronger and more prosperous."

    Doch zivilgesellschaftliche Beobachter wie CIDSE und andere kirchliche Organisationen, darunter auch die Caritas und der evangelische Verband APRODEV, sind skeptisch, dass sich diese Überzeugung so bald politisch durchsetzt. Ein anderer Punkt ist die Finanzierung von Entwicklung. Angesichts der Finanzkrise ging die staatliche Entwicklungshilfe der Geberländer im vergangenen Jahr weiter zurück. Auch Deutschland gibt derzeit nur 0,4 Prozent seines Bruttosozialproduktes an Entwicklungshilfe aus statt wie versprochen 0,7 Prozent. Das kritisieren die Autoren des nun vorgelegten Europäischen Entwicklungsberichtes. Sie halten die Gelder der Geber nach wie vor für sehr wichtig. So finanziert ein Land wie Ruanda seinen Staatshaushalt zur Hälfte aus Entwicklungsgeldern. Gleichzeitig schlägt der Report vor, künftig mehr und breitere Instrumente zur Finanzierung von Entwicklung zu nutzen. Zum Beispiel Rücküberweisungen von Migranten und Steuereinnahmen in den Entwicklungsländern selbst. Stephan Klingebiel vom Deutschen Institut für Entwicklung ist einer der Autoren des Reports:

    "Die Eigeneinnahmen von Entwicklungsländern sind in aller Regel die wichtigste Finanzierungsquelle. Das gilt selbst für ärmste Entwicklungsländer. "

    Grundsätzlich zeigt man sich auch beim kirchlichen Verband CIDSE damit einverstanden, solche heimischen Ressourcen zu stärken. Kritisch jedoch steht CIDSE der Förderung ausländischer Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern gegenüber, wie sie derzeit vorangetrieben wird. Das könne nur im Einzelfall sinnvoll, aber keinesfalls ein Allheilmittel sein, sagt CIDSE-Sprecher Drake.

    "In Afrika jetzt gibt es einen Prozess, um große Bereiche Afrikas zu öffnen für ausländische Investition in Agrarbereich. Das heißt gleichzeitig: Ja, neue Möglichkeiten, aber auch ein Risiko des Zerstörens von lokale Agrikultur, lokale Märkte und so was."

    Mit Blick auf die neue Entwicklungsagenda und ihren Ansatz, mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu fördern, gibt es aber auch noch weitere Kritik. Und die kommt vorwiegend aus den Entwicklungsländern selbst – wie etwa von Debapriya Bhattacharya, dem Vertreter des Südens im Verhandlungsprozess um die Post-2015-Agenda.

    Die nachhaltige Entwicklung wird derzeit von der Umweltlobby dominiert, sagt Bhattacharya. Nur wenn sichergestellt wird, dass Umweltschutz nicht im Gegensatz zur Armutsbekämpfung steht, könnten sich die Entwicklungsländer damit einverstanden erklären. CIDSE kennt derlei Sorgen auch von seinen Partnerorganisationen im Süden. Auch lokale Konflikte können entstehen, wenn etwa kleinbäuerliche Entwicklung und Waldschutz miteinander konkurrieren, sagt Sprecher Markus Drake. Aber:

    "Da können Kirche, da können auch lokale Gemeinden, lokale Priester zum Beispiel eine große Rolle spielen als Vermittler."

    Bei aller Kritik: Der Europäische Entwicklungsbericht enthalte auch viele gute Ansätze, so Drake weiter. Es komme eben darauf an, sie auch wirklich in die Praxis umzusetzen. Daran wollen die kirchlichen Entwicklungsorganisationen mitarbeiten.

    "Wir wollen es unterstützen, wollen es auch kritisieren, wenn wir sehen, dass was falsch geht."