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Nachhaltige Entwicklung

Zum Schluss standen sie auf der Treppe zum Gruppenfoto wie eine Runde von Staatspräsidenten, und vielleicht ist es ja tatsächlich so etwas wie ein historischer Moment gewesen, als sich am Wochenende etwa 100 Nachwuchswissenschaftler aus mehr als zehn verschiedenen Disziplinen zum Wissensaustausch über die Nachhaltigkeit trafen: Doktoranden und Diplomanden aus Architektur und Soziologie, Agrarwissenschaften und Biologie, Philosophen und Volkswirte. Die gängige Definition von Nachhaltigkeit lautet, dass eine Generation den folgenden nach dem Drei-Säulen-Modell von Ökologie, Ökonomie und sozialer Verantwortung nicht mehr wegnehmen soll als da ist. Mitveranstalter Karsten Schomacker von der Vereinigung für ökologische Wirtschaftsforschung nimmt dagegen die Erkenntnis mit nach Hause:

Von Jörn Breiholz | 23.06.2003
    ...dass Nachhaltigkeit ein Prozess ist. Nicht eine Definition oder eine Vision letztendlich mit diesen drei hehren Zielen sozusagen das zusammenzukriegen, sondern sagen: Wir fangen endlich mal an, wir reden nicht nur drüber, sondern handeln Bestimmtes und der Prozess an sich ist wichtig.

    Der Weg ist das Ziel also, und auf den wollen sich die wissenschaftlichen Nachwuchskräfte gemeinsam und mit viel Engagement begeben. Der Doktorand Jasper Grosskurth, 28 Jahre, ist da schon fast ein alter Hase. Er gründete bereits vor zwei Jahren in Rio de Janeiro das Netzwerk young human dimension researchers – ein weltweites Netzwerk junger Wissenschaftler mit Mitgliedern aus mehr als 50 Ländern. Ziel ist es, gerade auch die Sichtweisen junger Forscher aus Drittweltländern in den globalen Wissenstank einmünden zu lassen. Dort leben achtzig Prozent der Menschen. Ihnen müssen wir mehr zuhören, sagt Grosskurth – ohne kulturelle Indoktrination:

    Es geht um Emanzipation von Nachwuchswissenschaftlern in diesen Ländern, dass die sich auch selbstbewusst in diesen Netzwerken bewegen können und ihre Ideen reflektieren können. Es geht um Capacity building, dass in der ganzen Welt Leute Kompetenzen erwerben, die nötig sind, um eine Veränderung zu Wege zu bringen.

    Nachhaltigkeit, der Ansatz, um die globalen Probleme wie Umweltverschmutzung oder Hunger anzugehen, kann gar nicht in nur einer wissenschaftlichen Disziplin gedacht werden. Darüber waren sich am Wochenende alle einig: die Thematik ist einfach zu komplex, um auf die Erkenntnisse der anderen verzichten zu können. Nachhaltigkeit ist also das interdisziplinäre Thema schlechthin. Elke Baranek vom Zentrum für Technik und Gesellschaft an der Technischen Universität Berlin hat am Wochenende höchst konträre Ideen und Theorien gehört:

    Man begegnet Leuten aus unterschiedlichen Disziplinen und kann erst mal gucken: Wo steht man selbst? Gut, es gibt viele offene Fragen und man geht mit vielen offenen Fragen wieder nach Hause und man hat jetzt auch nicht unbedingt für alles Antworten, aber man hat viele interessante neue Gesprächspartner. (

    Und darin liege genau auch die Chance – die Ansätze unterschiedlicher Disziplinen miteinander zu verknüpfen. Doch dazu muss man sich auch verstehen können – eine Schwierigkeit sei es, dass die wissenschaftlichen Disziplinen nicht immer die gleichen Definitionen für die gleichen Begriffe verwenden, sagt Mitveranstalterin Annette Volkens:

    Eine endgültige Lösung kann es eigentlich nicht geben. Das geht nur, indem man immer wieder miteinander redet und dadurch dann feststellt, wie man das denn nun gemeint hat und dann einen Begriff findet, den alle gleich meinen, sozusagen.

    Der Politologe Tobias Düppe will eine stärkere Öffnung der Wissenschaft vom Elfenbeinturm in die Gesellschaft:

    Hier muss man wegkommen von einem pur akademischen Bild und genau diese hybriden Persönlichkeiten, die zwischen Wissenschaft und Praxis pendeln, gerade zwischen Wissenschaft und politischer Praxis, das viel mehr zu fördern.

    Der Kongress war ein Startschuss für mehr Zusammenarbeit unter den Netzwerken – das ist das Zeichen, das von den jungen Wissenschaftlern aus Hamburg ausgeht. Der nächste Schritt soll die Bildung von Meta-Netzwerken sein.