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Nachhaltigkeitsziele
Umweltrat fordert Gesetzesinitiativrecht für Umweltministerium

Maßnahmen gegen versiegelte Flächen, Nitrat im Grundwasser und Schadstoffe in der Luft: "Deutschland ist gut bei Strategien, aber es hapert bei der Umsetzung", sagte der Umweltsachverständige Christian Callies im Dlf. Umweltpolitiker bräuchten bei mehr Mitspracherecht, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Christian Callies im Gespräch mit Britta Fecke |
Ein Trecker düngt ein Feld mit Gärresten aus einer Biogasanlage
Weniger Nitrateintrag nur auf dem Papier reicht nicht, die Umsetzung eines Nachhaltigkeitsziels muss auch vorangetrieben werden. (dpa/Patrick Pleul)
Britta Fecke: Wissenschaftler aus den Bereichen Naturschutz, Klima, Energie, Abfallwirtschaft, Wirtschaftsforschung und Rechtswissenschaft haben sich über 18 Monate mit der Frage beschäftigt, wie sich die, auch von der Bevölkerung immer stärker eingeforderten Umwelt- und Klimaziele politisch umsetzen lassen, so dass zum Beispiel die vom Umweltministerium geforderten Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität in Innenstädten nicht am Votum des Verkehrsministers scheitern – Stichwort Dieselgate. Heute übergibt der Sachverständigenrat für Umweltfragen sein Gutachten an Bundesumweltministerin Svenja Schulze mit dem Titel "Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen. Uhr Legitimation von Umweltpolitik."
Über die Forderungen und Vorschläge des Umweltrates möchte ich nun mit einem der Autoren sprechen. Ich bin verbunden mit Professor Christian Calliess. Er ist Rechtswissenschaftler von der Freien Universität Berlin. – Herr Calliess, in dem Gutachten heißt es, dass ein Großteil aller Umweltziele der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie voraussichtlich verfehlt werden. Wie steht es denn um die Neuversiegelung von Flächen oder die Nitratbelastung von Gewässern, oder wie steht es um die Einhaltung der Luftreinhaltepläne in Großstädten?
Christian Calliess: Ja, guten Tag! – In der Tat: Das ist ein bisschen das Problem. Wir sind gut bei Strategien und Plänen. Da wird die Regierung auch zurecht viel gelobt. Aber bei der Umsetzung hapert es und in der Tat: Da verfehlen wir genau in diesen Bereichen, die Sie gerade genannt haben, die Ziele unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Daraus schließen wir, dass tatsächlich die Umweltpolitik im Entscheidungsprozess gestärkt werden muss.
Umweltbelange haben es schwer sich durchzusetzen
Fecke: Bei der Europawahl offenbarte sich ja auch ein großes an der Klima- und Umweltpolitik. Doch kurz nach der Wahl konnte sich auch die EU nicht auf ambitionierte Klimaziele einigen. Wenn wir das nun runterbrechen auf die nationale Ebene – woran scheitern solche Prozesse in Deutschland? Was verhindert das?
Calliess: Ich denke, dass eine große Herausforderung darin liegt, jetzt mal abgesehen von der besonderen Konstellation auf der europäischen Ebene, dass im nationalen Bereich tatsächlich solche Ziele dann vereinbart werden, Strategien auch auf den Weg gebracht werden, aber dann im politischen Prozess, im Gesetzgebungsprozess, aber auch im administrativen Entscheidungsprozess, wenn dann diese Entscheidungen im Einzelfall umgesetzt werden müssen, Umweltbelange es sehr schwer haben, sich gegen andere Interessen durchzusetzen – und das, obwohl wir eigentlich in unserer Verfassung, im Grundgesetz ein Staatsziel Umweltschutz haben, das hier, ähnlich wie das Sozialstaatsprinzip, dem Umweltschutz eigentlich als eines unserer Verfassungsprinzipien eine starke Rolle zuweist.
Fecke: Mein Eindruck war jetzt auch in Bezug auf die Luftreinhaltepläne in Innenstädten, dass es eher die Gerichte sind, die die Interessen der Bürger durchsetzen, und eben nicht mehr die Politik. Welche institutionellen Veränderungen wären denn nötig, damit auch die Politik in der Hinsicht wieder besser agieren kann?
Calliess: Ja, das ist eine Entwicklung, die ich auch ein bisschen mit Sorge sehe. In der Tat ist ja in einer Demokratie die Politik in der Verantwortung, solche Entscheidungen umzusetzen und durchzusetzen, und wir müssen die ökologische Nachhaltigkeit integrieren in alle Entscheidungen entlang zum Beispiel zunächst einmal des Gesetzgebungsprozesses. Das heißt, wenn ein Gesetz entworfen wird, brauchen wir schon in dem Ministerium, was für den Entwurf zuständig ist, einen Nachhaltigkeitsbeauftragten, der die Möglichkeit hat, wenn dieses Gesetz nicht mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung in Übereinstimmung steht, hier das zu monieren, ein Veto einzulegen. Das ist nur ein aufschiebendes Veto, aber dass dann gesagt wird, aha, hier besteht noch Diskussionsbedarf. Damit könnte man zunächst erst mal anfangen und wenn das Gesetz dann ins Parlament kommt, da gibt es eine Institution, den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung, der auch entsprechend gestärkt werden müsste, hier praktisch das Einhalten der Nachhaltigkeitsstrategie, die ja die Bundesregierung beschlossen hat, anzumahnen und die Bundesregierung insoweit auch zu befragen. Das haben wir bisher nicht. Wir nutzen die Institutionen zu wenig, die wir haben.
Ein Vetorecht, das eine Befassungs- und Diskussionspflicht auslöst
Fecke: Was meinen Sie mit gestärkt? Wie könnte so was gestärkt werden?
Calliess: Ja, auch dadurch, dass man dann praktisch ein Vetorecht wiederum einführt, das eine Befassungs- und Diskussionspflicht auslöst und damit auch die Problematik, dass hier die Nachhaltigkeitsstrategie nicht hinreichend berücksichtigt wird in einem konkreten Gesetzesvorhaben, dass man dann darüber noch mal eine öffentliche Debatte führen muss und der Gesetzgebungsprozess nicht einfach die Nachhaltigkeitsstrategie ignorierend weiterläuft.
Fecke: Sie fordern auch ein Gesetzesinitiativrecht für das Bundesumweltministerium. Gibt es andere Ministerien, die das haben?
Calliess: Ja, das gibt es. Das Familienministerium hat ein solches Initiativrecht zum Beispiel und das wäre in der Tat sinnvoll, dass das Umweltministerium in Bereichen wie Verkehr oder Landwirtschaft tatsächlich auch Vorschläge anstoßen kann in den Ressorts und damit Impulse setzen kann in Umsetzung der von der Bundesregierung beschlossenen Nachhaltigkeitsstrategie.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.