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Bulimielernen im Abi-Crash-Kurs

Noch wenige Tage bis zu den Abiturprüfungen: Eine Zeit, in der viele Schüler unruhig schlafen - und kräftig lernen. Viele von ihnen tun das in Nachhilfe-Instituten. Das Ziel ist natürlich, gute Noten zu schreiben. Doch das kurzfristige, intensiv betreute Lernen hat auch Nachteile.

Von Stephan Beuting | 07.04.2018
    Schülerinnen und Schüler sitzen in einer Turnhalle an Einzeltischen und machen Abiturprüfungen. Vor ihnen liegen Englisch-Wörterbücher.
    Intensive Vorbereitung auf das Abitur: Etwa jeder siebte Schüler bekommt Nachhilfe (Jens Wolf / dpa)
    "Hat irgendjemand eine Zahl raus?"
    Das ist Simon Kuhlmann
    "O.K. damit ihr Euer Abitur erfolgreich besteht, fangen wir mit dem nächsten Themengebiet, kommen wir zur Kosten-Leistungsrechnung und machen da noch mal, wie die Herstellkosten und die Selbstkosten gerechnet werden. Das wird eine Prüfungsaufgabe sein, die euch noch einige Punkte einbringen wird.
    Den Stoff wiederkäuen
    Simon Kuhlmann ist Nachhilfelehrer bei Teachback, einem großen deutschen Nachhilfe-Anbieter. Kuhlmann redet, die Gruppe hört zu, vielleicht liegt es an den einfachen Sätzen, die er macht, vielleicht auch an diesem kleinen, verschmitzten Lächeln.
    "Und wenn ihr das Thema auswendig lernt und wisst, wie ihr die Sachen auszurechnen habt, werdet ihr da einfach die Punkte sammeln und ganz erfolgreich eine erfolgreiche Note schreiben."
    Das Fach: BWL. Das Ziel: Eine gute Note schreiben.
    "Eigentlich stehe ich auf einer guten Drei und ich versuche das deutlich zu halten und nicht abzurutschen, weil man sagt ja immer, die Abschlussprüfungen sind vielleicht etwas schwerer, einfach, dass ich mein Level halte."
    Sagt Céline Jansen, sie geht auf ein Gymnasium mit Wirtschaftsschwerpunkt, genau wie Till, Lisa, Clara-Jasmin, Lina und: Jemima.
    "Für mich ist einfach das Ziel, den Abschluss in der Hand zu halten."
    Auf dem Tisch stehen Wasserflaschen, eine kleine Schale mit Gummibären für den Unterzucker-Notfall. Die Stimmung ist entspannt-konzentriert. Und es macht den Eindruck als könnten die das alles längst. Also warum dann noch Nachhilfe, vier Tage für immerhin 184 Euro? Till Maerschank:
    "Einfach, dass wir den Stoff noch einmal wiederkäuen, das ist das Prinzip dahinter, wir haben den Stoff ja in der Schule bereits durchgenommen und dadurch Barrieren verschwinden lassen, die sind halt in der Schule immer da, weil, wie meine Mitschülerin sagte, man traut sich in der Schule nicht, zu fragen zwei, drei Mal und hier kann man sooft fragen, wie man möchte."
    Trend: Bulimielernen
    Ob sie das toll fänden, während andere die Osterferien genießen, hier zu sitzen und zu lernen? An Tag zwei ihres Kurses scheint das hier keiner zu bereuen. Sie wüssten, wofür sie das tun und Till wolle sich abends was Gutes tun und mit seiner Freundin auf die Kirmes. Aber, wäre so ein Crash-Kurs nicht völlig unnötig, wenn man kontinuierlich lernen würde?
    "Also ich bin eigentlich eher so derjenige, der dann sagt, kontinuierlich und vor allem strukturiert und das halt immer wiederholt. Weil kurz vorher lernen bringt nicht immer was, weil dann ist die Chance auf einen Blackout ziemlich hoch."
    Dieses Bulimielernen findet auf Nachfrage niemand sinnvoll. Aber eigentlich läuft diese Crash-Kurs-Konstruktion ja genau darauf hinaus. Nachhilfelehrer Simon Kuhlmann bestätigt, dass der Trend genau dahin geht, zum Bulimielernen. Besonders, was die Abiturprüfung angeht.
    "Ja, da hätte man gut ein halbes Jahr vorher anfangen müssen, um den Stoff aus Mathe und BWL gut zu können und dann vielleicht noch mal intensiv die zwei Wochen vorher. Aber was ich höre, als Feedback von anderen Schülern jetzt, ist es, dass die jetzt dieses Bulimielernen machen."
    Kurzfristiges Lernen auf Dauer ineffektiv
    G8, sagt Simon Kuhlmann, sei daran nicht ganz unschuldig. Wer dann trotz verdichtetem Lehrplan noch Zeit für sein Hobby haben will, der muss an der Lernzeit sparen und dann eben kurz und heftig pauken. Dass der Stoff aber so nicht ins Langzeitgedächtnis kommt, dass das auf Dauer ineffektiv ist und Stress erzeugt, das mit seiner Gruppe in aller Ruhe zu besprechen, dafür ist jetzt keine Zeit mehr.
    "Aktiv bei diesem Kurs präge ich das den Leuten nicht mehr ein. Aber gerade bei den Schülern die jetzt fünfte, sechste, siebte Klasse sind, da haben wir viele Schüler, die wir im Gruppenunterricht betreuen und da versuchen wir ihnen schon die Lerntechnik beizubringen, dass sie das Langfristige machen."
    Druck geht auch von Eltern aus
    Karteikartensysteme, Lernpläne, langfristige dauerhafte Techniken, um sich Wissen ohne zu großen Druck anzueignen. Denn dieser Druck steigt erfahrungsgemäß vor der Klausur, von innen und bei manchen auch von außen, so Kuhlmann.
    "Oftmals geht der Leistungsdruck von den Eltern aus. Dass die sagen, ihr müsste das und das studieren, das erwarten wir von euch, wir haben so viel in euch gefördert und da ist schon der Druck von den Schülern enorm hoch."
    Bei der aktuellen Lerngruppe ist das auf Nachfrage nicht so. Alle seien gerne hier und vor allem auf eigene Initiative hier. Wie auch Clara Yasmin Niño Silva.
    "Da ich persönlich vor ein paar Jahren mit meiner Mutter einen Vertrag abgeschlossen habe. Ich habe gesagt: Mama, ich bringe das Abitur nach Hause, auch für mich bringe ich es nach Hause, und sie sagte: gut, mach es. Wenn du es schaffst gut, aber wenn nicht, du hast es wenigstens versucht."