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Nachkriegs-Bestseller auf der Bühne

Ganz aus seiner bilderreichen Sprache lebt Wolfgang Koeppens Roman "Das Treibhaus". Der 1953 erschienene Mittelteil einer Trilogie schildert in wild wuchernden Assoziationen und Reflexionen, die gebrochen werden von freien und phantastischen Imaginationen, ein Schuld verdrängendes restauratives politisches Klima von Adenauers Wiederaufbau-Republik, die sich in das westliche Militärbündnis einzugliedern sucht. Koeppens Text ist eine erzählende, reflektierende, phantasierende, aber auch analysierende atmosphärische Beschreibung mit suchendem Blick, die statt Monologen und Dialogen allenfalls kurze Gesprächs-Einsprengsel kennt.

Von Hartmut Krug |
    Ein kühnes Unterfangen, diesen Roman auf die Bühne zu bringen. Die Bühnenfassung von Michael Baumgarten, Chefdramaturg des Theaters Vorpommern, setzt an die Stelle von Koeppens Figurenschilderungen Menschen, die sich selbst erklären. Was Autor und Hauptfigur denken, von sich, von anderen, von und in Zeit und Gesellschaft, das wird hier in Ich-Form direkt vorgetragen. Damit verliert nicht nur ein wesentliches imaginatives Moment des Romans seine Wirkung, sondern manche Szene wirkt, wenn zum Beispiel die Ehefrau Elke des traurigen Romanhelden Keetenheuve selbst direkt von sich sagt, wie sinnlich sie sei, durchaus peinlich.

    Michael Baumgarten, der auch selbst die Regie übernommen hat, sie aber aus Krankheitsgründen eine Woche vor der Premiere an Oberspielleiter Mathias Nagatis abgeben musste, hat eine kleine Bühnenlösung gewählt. Gespielt wird auf der Probebühne unterm Dach, was zu realen Treibhaustemperaturen führte. Doch das Kammerspiel vermittelte das politische und intellektuelle Dampfklima der Restauration nur ansatzweise. Vor einen großen Bundesadler hat Bühnenbildnerin Marion Eiselé als Simultanbühne ein kaum stufenhohes kleines Podest mit Sofa, Schreibtisch und Radio gestellt: hier lebt und arbeitet der Abgeordnete Keetenheuve, während von beiden Seiten der sechsköpfige Chor seiner Mitspieler einzeln oder gemeinsam auf ihn eindringt, nachdem eine Originalrede von Konrad Adenauer drohend eingespielt wurde. Dieser Keetenheuve, vom Theater als "melancholischer Hamlet der frühen 50er Jahre" bezeichnet, ist ein politischer Außenseiter. Der Emigrant wurde Pazifist, der nun auf verlorenem politischen Posten steht bei seinem Kampf gegen die Eingliederung der Bundesrepublik in das westliche Militärbündnis. Ein Kritiker des Parlamentarismus und seiner leeren Erfolgsmechanismen, der, indem er "um der Sache willen" handelt, dilettantisch im guten Sinne erscheint. Dieser Politiker liest Cummings und übersetzt Baudelaire, - was in Greifswald wenig glaubhaft erscheint, kommt er hier doch eher wie ein Oberbuchhalter mit monotoner Mimik daher. Während er im Nibelungenexpress von der Beerdigung seiner Frau nach Bonn zurückfährt, durchlebt er, und die Aufführung erzählt es uns sehr klar mit eingeblendeten Szenen-Überschriften oder -Titeln, sein scheiterndes politisches Leben bis zum Selbstmord.

    Das wird alles schauspielerisch solide und dramaturgisch sehr sorgfältig ausgebreitet; - in einer phantastischen Traumszene werden Hitler, Chamberlain und Co auch einmal als Puppen vorgeführt. Insgesamt wirkt die Aufführung allerdings kaum je bewegt und spielerisch, sondern meist etwas steif und papieren.

    Die Aktualität von Koeppens Text, der ja eine politische Kaste in ihrem Scheitern zeigt, in einem durch rein an interessengeleitetem Verwertungsdenken orientierten Handeln selbst- und gesellschaftszerstörend wirkt, die erschließt sich dem Zuschauer in der Greifswalder Uraufführung nicht ohne weiteres.