Er hat manches von einem Phantom an sich: Walter Benjamin, der Berliner Philosoph, der im September 1940 an der spanischen Grenze seinem Leben auf der Flucht vor den deutschen Besatzern Frankreichs ein Ende setzte und dessen Denken erst lange nach dem Krieg hierzulande wiederentdeckt wurde. Ein Phantom ist er auch in der Ausstellung "Walter Benjamins Archive", die in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz heute eröffnet wird: zu sehen ist in ihr nur ein einziges Konterfei des Philosophen mit dem dichten schwarzen Haarschopf und der runden Brille, der seit den sechziger Jahren eine Ikone der aufmüpfigen intellektuellen Jugend wurde.
In dieser Ausstellung sind sein Bildnis und auch seine Biographie weitgehend zurückgetreten hinter die Bilder, Texte und Zeichen, die aus dem Nachlass des Sammlers und akribischen Archivars seines Denkens in engbeschriebenen Notizbüchern, Registern, Karteien und Manuskripten gezeigt werden - jedenfalls soweit sie erhalten sind und nicht auf den Fluchtwegen des Exils verlorengingen wie seine bis in die Kinderzeit zurückreichende Ansichtskartensammlung oder die 1933 in Berlin zurückgelassene Bibliothek.
Immerhin hat dieser unamtliche, aber sorgfältige Archivar seiner selbst in einem Notizbuch sogar die Bücher verzeichnet, die er gelesen hat, so dass sich 22 Jahre lang bis 1939 verfolgen läßt, welche geistigen Landschaften der reiselustige Philosoph lesend durchquert hat. Dem Glücksfall von Benjamins verzettelten Strategien, viele seiner Manuskripte schon frühzeitig an Freunde im Ausland zu schicken, verdankt diese Ausstellung im übrigen etliche Exponate, die sonst womöglich ebenso verschollen wären wie etwa der Inhalt der berühmten Aktentasche, die er am Ende seines Lebens in den Pyrenäen mit sich geführt haben soll.
Oft hat aber auch nur der Zufall dafür gesorgt, dass Ausstellungsstücke erhalten blieben wie etwa sechzehn aus einem Heft gerissene Seiten, die einen außergewöhnlich privaten Eindruck von ihm geben. Darauf hatte er notiert, wie sein Sohn Stefan beim Spielen langsam in die Welt der Sprache vordrang, und diese Notizen spiegeln oft auch das Benjamin' sche Familienleben und ihn selbst auf mitunter höchst witzige Weise.
Viele Stücke aus Benjamins Nachlass sind in der Akademie der Künste zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zu sehen. In 13 thematisch gegliederten Abschnitten, die von seiner mikrographischen Schrift bis zu seinem letzten großen Werk über die Passagen und das 19. Jahrhundert die Archivierungs-Techniken seines Denkkosmos aus verschiedensten Perspektiven beleuchten, läßt sich ein gutes Bild gewinnen, wie produktiv solche Verzettelungsstrategien für einen Philosophen wie Benjamin waren.
Nicht zufällig hatte er bei seiner jahrelangen Beschäftigung mit den Pariser Passagen in den Fähigkeiten von Sammlern und sogar Lumpensammlern, entlegensten und scheinbar nutzlosesten Gegenständen überraschende Bedeutung abzugewinnen, stets ein Vorbild für fruchtbares philosophisches Denken gesehen.
Zweierlei leistet diese Berliner Ausstellung allerdings nicht: Benjamins intellektuelle Biographie mit ihren von Berlin nach Paris führenden äußeren Stationen zeichnet sie allenfalls beiläufig und fragmentarisch nach, und das ist 66 Jahre nach seinem Tod als eine verpasste Gelegenheit zu bedauern, den ohnehin eher hermetischen und inzwischen nur noch unter geisteswissenschaftlichen Insidern nachwirkenden Denker wirkungsvoll einem größeren Publikum vorzustellen.
Und ebensowenig zeigt diese zu ausschließlich auf den Archivar Benjamin fixierte Ausstellung, auf welchen Denkfeldern sich der Zeit seines Lebens zwischen Politik und Theologie hin- und hergerissene Philosoph eigentlich bewegt hat, worüber die Besucher eher schon allerlei Vorwissen mitbringen müßen, um dort etwas von der Aura seines Denkens zu spüren.
Wie aktuell dieses Denken eigentlich noch ist, läßt sich auf diese Weise jedenfalls nicht ausmessen, und so bleibt Walter Benjamin hier weiterhin ein Phantom. Allerdings gibt es bis zum Ende der Ausstellung am 19. November in Berlin eine Fülle begleitender Veranstaltungen wie szenische Lesungen, Kunst- und Musiktheater-Performances sowie vom 17. bis zum 22. Oktober ein "Benjamin-Festival" in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, wo dem Phantom vielleicht weiter auf die Spur gekommen wird.
Ausstellung "Walter Benjamins Archive", Akademie der Künste Berlin, Pariser Platz 4, 2. Oktober bis 19. November. Der Ausstellungskatalog erscheint bei Suhrkamp zum Preis von 24,80 Euro.
In dieser Ausstellung sind sein Bildnis und auch seine Biographie weitgehend zurückgetreten hinter die Bilder, Texte und Zeichen, die aus dem Nachlass des Sammlers und akribischen Archivars seines Denkens in engbeschriebenen Notizbüchern, Registern, Karteien und Manuskripten gezeigt werden - jedenfalls soweit sie erhalten sind und nicht auf den Fluchtwegen des Exils verlorengingen wie seine bis in die Kinderzeit zurückreichende Ansichtskartensammlung oder die 1933 in Berlin zurückgelassene Bibliothek.
Immerhin hat dieser unamtliche, aber sorgfältige Archivar seiner selbst in einem Notizbuch sogar die Bücher verzeichnet, die er gelesen hat, so dass sich 22 Jahre lang bis 1939 verfolgen läßt, welche geistigen Landschaften der reiselustige Philosoph lesend durchquert hat. Dem Glücksfall von Benjamins verzettelten Strategien, viele seiner Manuskripte schon frühzeitig an Freunde im Ausland zu schicken, verdankt diese Ausstellung im übrigen etliche Exponate, die sonst womöglich ebenso verschollen wären wie etwa der Inhalt der berühmten Aktentasche, die er am Ende seines Lebens in den Pyrenäen mit sich geführt haben soll.
Oft hat aber auch nur der Zufall dafür gesorgt, dass Ausstellungsstücke erhalten blieben wie etwa sechzehn aus einem Heft gerissene Seiten, die einen außergewöhnlich privaten Eindruck von ihm geben. Darauf hatte er notiert, wie sein Sohn Stefan beim Spielen langsam in die Welt der Sprache vordrang, und diese Notizen spiegeln oft auch das Benjamin' sche Familienleben und ihn selbst auf mitunter höchst witzige Weise.
Viele Stücke aus Benjamins Nachlass sind in der Akademie der Künste zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zu sehen. In 13 thematisch gegliederten Abschnitten, die von seiner mikrographischen Schrift bis zu seinem letzten großen Werk über die Passagen und das 19. Jahrhundert die Archivierungs-Techniken seines Denkkosmos aus verschiedensten Perspektiven beleuchten, läßt sich ein gutes Bild gewinnen, wie produktiv solche Verzettelungsstrategien für einen Philosophen wie Benjamin waren.
Nicht zufällig hatte er bei seiner jahrelangen Beschäftigung mit den Pariser Passagen in den Fähigkeiten von Sammlern und sogar Lumpensammlern, entlegensten und scheinbar nutzlosesten Gegenständen überraschende Bedeutung abzugewinnen, stets ein Vorbild für fruchtbares philosophisches Denken gesehen.
Zweierlei leistet diese Berliner Ausstellung allerdings nicht: Benjamins intellektuelle Biographie mit ihren von Berlin nach Paris führenden äußeren Stationen zeichnet sie allenfalls beiläufig und fragmentarisch nach, und das ist 66 Jahre nach seinem Tod als eine verpasste Gelegenheit zu bedauern, den ohnehin eher hermetischen und inzwischen nur noch unter geisteswissenschaftlichen Insidern nachwirkenden Denker wirkungsvoll einem größeren Publikum vorzustellen.
Und ebensowenig zeigt diese zu ausschließlich auf den Archivar Benjamin fixierte Ausstellung, auf welchen Denkfeldern sich der Zeit seines Lebens zwischen Politik und Theologie hin- und hergerissene Philosoph eigentlich bewegt hat, worüber die Besucher eher schon allerlei Vorwissen mitbringen müßen, um dort etwas von der Aura seines Denkens zu spüren.
Wie aktuell dieses Denken eigentlich noch ist, läßt sich auf diese Weise jedenfalls nicht ausmessen, und so bleibt Walter Benjamin hier weiterhin ein Phantom. Allerdings gibt es bis zum Ende der Ausstellung am 19. November in Berlin eine Fülle begleitender Veranstaltungen wie szenische Lesungen, Kunst- und Musiktheater-Performances sowie vom 17. bis zum 22. Oktober ein "Benjamin-Festival" in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, wo dem Phantom vielleicht weiter auf die Spur gekommen wird.
Ausstellung "Walter Benjamins Archive", Akademie der Künste Berlin, Pariser Platz 4, 2. Oktober bis 19. November. Der Ausstellungskatalog erscheint bei Suhrkamp zum Preis von 24,80 Euro.