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Nachrichten aus der wirklichen Welt

Circus World - der deutsche Verleihtitel lautete: "Held der Arena" -gehört zweifellos nicht zu den Meisterwerken des Kinos und markiert auch keinen Höhepunkt in John Waynes äußerst erfolgreicher, an schauspielerischen Höhepunkten aber nicht sonderlich reichet Karriere. Daran ändern auch die anderen Schauspieler nichts: die junge Claudia Cardinale ebensowenig wie die alternde Rita Hayworth. Der amerikanische Film entstand 1963 in Barcelona unter der Regie von Henry Hathaway und erhielt durchweg vernichtende Kritiken. Die vielleicht perfideste, gewiß aber auch geistreichste fand sich in der New York Times: "Im Kino zu sitzen und sich Circus World anzusehen", hieß es da, "gibt einem das Gefühl, zwei Stunden lang einen Elefanten auf den Knien zu haben."

Alain Claude Sulzer |
    Nicht anders ergeht es Gabriel Cabrera fast 40 Jahre später. Doch für ihn gibt es viele Gründe, sich Circus World immer mal wieder anzuschauen, obwohl er, der damals - ein "Zauberlehrling der Amerikaner" - als Produktionsassistent bei den Dreharbeiten dabei war, seine Hoffnungen, eines Tages in Hollywood zu reüssieren, längst begraben hat. Er ist einen anderen Weg gegangen, über den wir gegen Ende des Romans nicht viel, aber doch gerade das Nötigste erfahren. Über all die Jahre lebendig geblieben ist aber seine nicht nachlassende Begeisterung für (den alternden wie für den jungen) John Wayne, die wie jede echte Begeisterung im Lauf der Jahrzehnte unterschiedliche Stadien und Hitzegrade durchlaufen hat. Diese dauerhafte Verehrung ist eines von vielen Motiven, die ihn dazu bewegen, sich den misslungenen Streifen; mit "dickhäutiger Besessenheit" hin und wieder zu Gemüte zu führen, ein Film, der dem Ich-Erzähler in Juan Minanas Roman Nachrichten aus der wirklichen Welt zwar nicht gefällt, "aber dem eine letzte Chance zu geben" er nicht aufhören kann. Es ist, als gäbe er sie für die Dauer dieses Films auch sich selbst; etwas wehmütig vielleicht, aber nicht sentimental holt er sich mit diesem aus vielen Ingredienzen bestehenden Surrogat den Geschmack seiner 2o Jahre zurück, als es noch faszinierend war, frühmorgens aufzustehen und sich in einem Grandhotel einzufinden, um - wie Miana schreibt - "mit Gleichgesinnten in die epische und poetische Schlacht zu ziehen, wie sie Dreharbeiten zu einem großen Film immer sind." Die Zukunft war "so weit und grenzenlos wie die Wüsten von Hollywood ". Jetzt, da sie weit zurückliegt, bleibt nichts übrig als ein angestaubter Film mit einem Hauptdarsteller, der für Nachgeborene eine Menge Faszination eingebüßt hat.

    Nicht aber für ihn. Die Entstehungsgeschichte von Circus World ist aufs engste mit Gabriels Sozialisierung in der erstarrten Francodiktatur und mit seiner Suche nach jener Heldengestalt verbunden, die - jedenfalls für ihn -niemand so standhaft und gelassen verkörpert wie John Wayne; der in seine eine wenig lächerliche, aber unerschütterliche Rolle wie in ein Kostüm eingenähte Mann; Held für einen Jungen, dessen Vater während des Bürgerkriegs umgekommen ist, und an den nichts als ein leerer Koffer, eine schweigsame Mutter, ein sichals Vormund bemühender Freund der Familie und viel Geheimnis übrig blieb. Wenig, um sich daran festzuhalten, genug, um sich des Mangels ständig bewusst zu sein. Der Vater ist noch viel unwirklicher als John Wayne, der zu Beginn von Juan Minanas Roman wie vom Erdboden verschwunden ist. Dessen Verschwinden allerdings eröffnet Gabriel die einmalige Gelegenheit, einen Mann zu suchen (und vielleicht sogar zu finden), der - anders als der schmerzlich vermisste Vater - möglicherweise sogar in der "wirklichen Welt" existiert. Es muss - so sagt er sich - unter der Schminke, hinter der Leinwand noch einen zweiten, verwundbaren John Wayne geben, so wie es hinter den Grenzen Spaniens, über die gerade die ersten Touristenströme ins Land hereinbrechen, noch eine andere, weniger enge, freudvollere Welt gibt.

    Nachrichten aus der wirklichen Welt beginnt wie bereits erwähnt mit einem Theaterdonner: Der für seine Trinkfestigkeit berüchtigte John Wayne erscheint nach einer durchzechten Nacht nicht am Drehort. Und das ausgerechnet an dem Tag, an dem eine der wichtigsten Szenen - ein Schiffsuntergang - gedreht werden soll. 600 Komparsen, Artisten und Tiere warten in der brütenden Hitze, doch Wayne bleibt unauffindbar, was angesichts der Tatsache, dass ihn jedes Kind in Barcelona kennt, besonders befremdlich anmutet. Der Produzent beauftragt seine Leute, unauffällig nach Wayne zu suchen. Der junge Gabriel Cabrera ist überzeugt, erfolgreicher als die anderen zu sein, wenn er sich "von vornherein darauf einstellt, einen vollkommen Unbekannten zu suchen". Dass er ihn finden wird, ist sicher (wie und wo, sei hier nicht verraten; nur soviel: der Ort drängt sich auf); der Weg zu ihm bestimmt die Form des Romans: ein unangestrengt lockeres Nebeneinander von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.

    Ob sich die Geschichte dieses geheimnisvollen Verschwindens, bei dem eine fast stumme Rita Hayworth keine unwesentliche Rolle spielt, tatsächlich zugetragen hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Wie dem auch sei: Juan Minana gelingt es, ihr den überzeugenden Anschein von großer Wahrscheinlichkeit zu verleihen, was für sein Einfühlungsvermögen und seine Einbildungskraft spricht. Die Lichter, die uns :die darin auftretenden Filmstars aufstecken, verleihen dem Roman zwar ihren unverwechselbaren Glanz, doch lassen sie den Schattenseiten der eigentlichen Geschichte - der Suche eines Sohns nach dem für immer verlorenen, für immer unauffindbaren Vater - gebührend Raum, sich autonom zu entfalten. Juan Minana hat dieser oft erzählten Geschichte einen unverwechselbaren Akzent verliehen.