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Nachrichtenplattform "Politico"
Europas Washington im Visier

Die in Washington erfolgreiche US-Nachrichtenplattform "Politico" will ihren Erfolg in Europa wiederholen. Ab Frühjahr 2015 soll ein Team aus rund 30 Journalisten von Brüssel aus die europäische Politik durchleuchten. Mit dabei: ein großes deutsches Medienhaus.

Von Thomas Otto | 13.12.2014
    Vor dem Gebäude der EU-Kommission wehen blaue Europa-Flaggen.
    Das Gebäude der EU-Kommission in Brüssel (Emmanuel Dunand / AFP)
    Die politischen Debatten in Washington, exklusive Storys, ausführliche Hintergründe und zwischendrin auch etwas Klatsch und Tratsch aus der US-Politik-Blase: Politico ist innerhalb von knapp acht Jahren zu einem der wichtigsten Medien im politischen Washington geworden – als Tageszeitung, online oder als täglicher Newsletter zu allen möglichen Fachthemen. Zahlungskräftige Kunden aus Politik, Lobbyismus und Wirtschaft berappen dafür gern rund 9.000 Dollar Jahresgebühr. Und nicht nur dafür, erklärt Herausgeber Jim VandeHei:
    "Man bezahlt, damit es die Entscheider bei uns sehen. Kongressabgeordnete, Regierungsmitarbeiter – bei uns können sie die politische Debatte beeinflussen und müssen kein Produkt verkaufen."
    Für die einen Informationsquelle, für andere Sprachrohr. Und trotz der Kritik, manchmal mehr auf Schlagzeilen, als auf Recherche zu setzen, ein Erfolgsrezept. Das soll nun auch bald auf die andere Seite des Teiches kommen: Zusammen mit Axel Springer will Politico sein Konzept nach Brüssel holen. Der richtige Ort für so ein Projekt, findet Daniel Brössler, EU-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung.
    "Also das sind hier schon ein paar tausend, vielleicht sogar zehntausend Leute, die sich in diesem Brüsseler, in diesem europäischen Politikbetrieb tummeln. Es gibt da schon einen Resonanzboden dafür. Ich glaube schon, wenn das irgendwo funktionieren kann, dann wahrscheinlich hier in Brüssel."
    Politico will selbst die Agenda bestimmen und von anderen Medien zitiert werden. Oder wie es der neue Europa-Chefredakteur John F. Harris in einem Werbevideo auf den Punkt bringt:
    "Mit Politico wollen wir die wichtigste Nachrichtenorganisation für die EU-Politik schaffen. Wir werden in Brüssel sitzen, aber wir werden in allen großen Hauptstädten zu hören sein in dieser entscheidenden Zeit für die europäische Politikgestaltung."
    Wenn Politico Europe im Frühjahr kommenden Jahres startet, dann nicht im luftleeren Raum. Das Joint-Venture hat dafür die Wochenzeitung European Voice aufgekauft. Diese versteht sich als unabhängige Fachzeitung zu allen Themen des Brüsseler Politikbetriebes und genießt unter Kollegen einen guten Ruf, so auch bei Süddeutsche-Korrespondent Brössler:
    "Also ich persönlich halte es für ganz schlau, weil man nicht von Null anfangen muss. European Voice ist hier gut eingeführt, die haben eine Reihe sehr versierter und kundiger Journalisten. Du startest also nicht bei Null. Außerdem ganz nebenbei ist man ja einen Konkurrenten los."
    Denn der wäre European Voice mit rund 60.000 Lesern ganz bestimmt. Von einem zweistelligen Millionenbetrag ist die Rede, den Politico und Axel Springer in ihr gemeinsames Projekt stecken wollen. Dazu kommt noch der Kauf des französischen Event-Experte DII, mit dem teure Workshops und Seminare verkauft werden sollen. 30 Journalisten sollen sich um die Wochenzeitung, die Webseite und die Newsletter kümmern.
    "Ich glaube schon, dass wenn man mit 30 Journalisten hier in Brüssel an den Start geht und versucht, was zu bewegen, dass das schon spürbar sein wird. Also wenn Sie zum Vergleich nehmen: Wir als Süddeutsche Zeitung arbeiten hier mit drei Korrespondenten. Das verglichen mit 30, das ist schon was anderes", so Daniel Brössler.
    Springer-Mann Christoph Keese erhofft sich, den Brüsseler Politik-Betrieb so spannend darzustellen, dass endlich auch Filmemacher auf die Idee kämen, Filme und Serien über das politische Europa zu drehen. Immerhin gäbe es unzählige Hollywood-Blockbuster über Washington. Diese sehr amerikanische Vorstellung dürfte aber zumindest vorerst daran scheitern, dass auch in Brüssel für viele Leser die Politik ihrer Heimatländer wichtiger als die der EU ist.