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Nachruf

Mit Julien Green ist, wie ihn Reinhard Baumgart einmal charakterisiert hat, ein Doyen der gegenwärtigen Weltilteratur gestorben. Er ist sehr alt geworden, 97 Jahre, und hat dieses lange Leben großenteils schreibend verbracht. Die Fotos zeigten einen gelassen-ruhig-souveränen Gentleman, der wie ein Privat-Gelehrter zurückgezogen lebte und arbeitete. Aber diese nach außenn so still wirkende Person hat ein Werk geschaffen mit vulikanischen Ausbrüchen an Emotionalität, Leidenschaft, Gewalt und Mord. Seine Bücher seien die eines Gefangenen, der von der Freiheit träume, hat Green einmal gesagt. Manchmal kam es ihm aber auch vor, als seien diese Bücher "von einem Fremden geschrieben, den ich nicht kenne". Man mag diese Selbst-Kommentierung deuten als Hinweis auf die bunt schillernde Person Julien Greens, auf die Selbstkonfrontation, die dieser Autor immer gesucht hat, auf die Abgründe seiner Person, angesichts derer es Green selbst oft schwindlig geworden ist und er sich nur durch eine lebenslange Schreib-Arbeit in einer kunstvollen Balance halte konnte.

Christian Linder |
    Das Leben Julien Greens ist für spätere Biographen genau rekonstruierbar. Da gibt es die vielen Tagebuch-Bände, in denen er detailliert-intim sein Verhältnis zur Welt und zu den Menschen beschrieben hat. Er selber aber meinte, daß seine wahre Biographie wahrscheinlich am ehesten aus seinen Romanen herauszulesen sei. In diesen Romanen wie "Leviathan" oder "Mont-Cinere" hat er seine finsteren Obsessionen herausgeschrien, seine Roman-Personen in zumeist tödliche Konflikte hineingetrieben. In "Leviathan" zum Beispiel verwandelt sich ein harmloser, etwas spiessiger, biederer Ehemann in eine rasende Bestie, einen Mann, der aus eingebildeter Liebe zu einer Frau, die für andere Männer käuflich zu erwerben ist, den Tod der anderen wie den eigenen Tod riskiert und auch exerziert. Der Mensch als ein Verlorener und Verdammter, der unausweichlich auf den Weg der eigenen allmählichen Selbstzerstörung gerät - das ist ein immer wiederkehrendes Motiv Julien Greens gewesen. Die Beschwörung aller Schrecken, um sich für das eigene Leben zu bannen - darum ist es Green dabei auch gegangen. Dem entspricht sein Hinweis, daß man gar nicht ahne, wie glücklich er gewesen sei, als er diese "unerklärlich düsteren Bücher" schrieb, "so glücklich, daß ich vor lauter Glück nicht schlafen konnte und vor Freude weinte". Das Glück, das Green im Schreibe dieser Bücher für sich gefunden hatte, erkennt man übrigens auch daran, wie diese düsteren Roman-Landschaften gearbeitet sind: sie sind ganz kalt-beherrscht geschrieben, sozusagen klassisch-modern, man spürt stets die Genugtuung des Autors, so souverän mit diesem düsteren Material umgehen zu können. Die alte europäische Erzähl-Kunst hatte sich in Greens Büchern noch einmal in vollem Glanz ausgebreitet.

    Vielleicht konnte das aber zum Teil nur deshalb gelingen, weil Julien Green diese alte europäische Erzähl-Tradition auch mit dem Blick eines Aussenstehenden hatte kennenlernen und studieren können. Geboren wurde er 1900 als Sohn amerikanischer Eltern in Paris, wo der Vater Repräsentant eines amerikanischen Öl-Konzerns war. In Paris verbrachte Green auch seine Kindheit und ging dort zur Schule. Eine glückliche Zeit, hat er später berichtet, glücklich vor allem auf Grund der engen Bindungen, die er zu seiner Mutter hatte. Diese Mutter war allerdings eine sehr puritanische Frau und erzog den Jungen entsprechend; wahrscheinlich, so lautet die gängige Interpretation, haben die meisten von Greens späteren inneren Konflikten hier ihren Ausgangspunkt. Als die Mutter früh starb, konvertierte der protestantisch erzogene Green zum Katholizismus. Das war 1916. Ein Echo dieser Entscheidung hallt durch das gesamte Werk Greens, das Problem der Reilgiösität findet sich überall reflektiert, wobei er sich allerdings stets gegen das Etikett "katholischer Romanschriftstelter" gewehrt hat, er sei vielmehr ein Katholik und schreibe Romane. Der Aufforderung eines Jesuiten, in ein Kloster zu gehen, weil er in seinem Leben in Gefahr gerate, wenn er das nicht tue, widerstand Green jedoch und zog sich statt dessen zurück in das Reich der Literatur.

    Wie recht der Jesuit hatte, als er Green ein gefährliches Leben prophezeit, davon zeugten dann allerdings die Bücher. Nach Greens eigenen Worten kam ihm "die gesamte Welt der Sinne wie eine Stätte des Grauens" vor. In dem Roman "Moirall, für Green selber sein bestes Buch, wird ein Student namens Joseph Day dieser Stätte des Grauens ausgesetzt. Ein Puritaner, der schon einen aufmerksamen Blick seiner Zimmerwirtin als Vergewaltigung erlebt. Als seine homoerotische Schmachterei keine Erfüllung findet, da nähert sich diesem jungfräulichen Mann just in diesem Moment mit den Mädchen Moira eine Verführerin, die nur auf sexuelle Befriedigung aus ist und sich diese auch beschafft - allerdings mit dem Preis, dafür von dem sich gedemütigt fehlenden Joseph Day hinterher ermordet zu werden. Sünde, Schuld, Verworfenheit, Puritanismus, Mystizismus und sexuelle Leidenschaft sind auch hier der Stoff, aus dem Green sich ein Bild des eigenen Lebens erarbeitet hatte. Hinter all den Liebeskriegen, die seine Bücher vorführen, stand immer der Wunsch nach einer Erlösung, Erinnerung an eine Zeit, wie Green in seinem Buch "Junge Jahre bekannte", als er "jene Tage des Glücks" durchlebte, "in denen der Leib noch nichts wußte, wovon er nichts wissen sollte, wo das unversehrte Fleisch noch ohne den geringsten Aufwand sich rein erhielt, die Leidenschaften das Herz noch nicht verwüstet hatten..."

    Gleichwohl: So heftig Julien Grenn in seinem Werk den Krieg des Menschen gegen sich selbst und gegen die anderen entfesselt und beschrieben hat, so leidenschaftlich war er auf der anderen Seite wie gesagt ein friedfertig-stiller Mensch, der für sich sogar die Bezeichnung "Pazifist" in Anspruch nahm. Nach dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima schrieb er: "Unser Meisterwerk, das Meisterwerk des 20. Jahrhunderts. Die Zerstörungswut hat Mittel und Wege gefunden, die Welt zu vernichten. Kann man auf so etwas stolz sein? Wo bleibt da das Christentum?" Green hat seinen Pazifismus dabei unter anderem damit begründet, daß er, als er während des 1. Weltkriegs den ersten Toten erblickte, sich gesagt hatte: "Niemals werde ich jemanden töten, noch nicht einmal, um mich zu verteidigen. Niemals. Das war so eine Art Schwur. So bin ich." Ja, so war er. Durch sein Leben und sein Arbeite wissen wir wieder ein wenig mehr über die Abgründe der menschlichen Seele, darüber, wie Menschen funktionieren und was in ihnen die Hoffnung wach hält auf Erlösung nach all dem Lebenskampf.

    Link: Kritik zu Julien Greens "Der verruchte Ort"