Vielleicht konnte das aber zum Teil nur deshalb gelingen, weil Julien Green diese alte europäische Erzähl-Tradition auch mit dem Blick eines Aussenstehenden hatte kennenlernen und studieren können. Geboren wurde er 1900 als Sohn amerikanischer Eltern in Paris, wo der Vater Repräsentant eines amerikanischen Öl-Konzerns war. In Paris verbrachte Green auch seine Kindheit und ging dort zur Schule. Eine glückliche Zeit, hat er später berichtet, glücklich vor allem auf Grund der engen Bindungen, die er zu seiner Mutter hatte. Diese Mutter war allerdings eine sehr puritanische Frau und erzog den Jungen entsprechend; wahrscheinlich, so lautet die gängige Interpretation, haben die meisten von Greens späteren inneren Konflikten hier ihren Ausgangspunkt. Als die Mutter früh starb, konvertierte der protestantisch erzogene Green zum Katholizismus. Das war 1916. Ein Echo dieser Entscheidung hallt durch das gesamte Werk Greens, das Problem der Reilgiösität findet sich überall reflektiert, wobei er sich allerdings stets gegen das Etikett "katholischer Romanschriftstelter" gewehrt hat, er sei vielmehr ein Katholik und schreibe Romane. Der Aufforderung eines Jesuiten, in ein Kloster zu gehen, weil er in seinem Leben in Gefahr gerate, wenn er das nicht tue, widerstand Green jedoch und zog sich statt dessen zurück in das Reich der Literatur.
Wie recht der Jesuit hatte, als er Green ein gefährliches Leben prophezeit, davon zeugten dann allerdings die Bücher. Nach Greens eigenen Worten kam ihm "die gesamte Welt der Sinne wie eine Stätte des Grauens" vor. In dem Roman "Moirall, für Green selber sein bestes Buch, wird ein Student namens Joseph Day dieser Stätte des Grauens ausgesetzt. Ein Puritaner, der schon einen aufmerksamen Blick seiner Zimmerwirtin als Vergewaltigung erlebt. Als seine homoerotische Schmachterei keine Erfüllung findet, da nähert sich diesem jungfräulichen Mann just in diesem Moment mit den Mädchen Moira eine Verführerin, die nur auf sexuelle Befriedigung aus ist und sich diese auch beschafft - allerdings mit dem Preis, dafür von dem sich gedemütigt fehlenden Joseph Day hinterher ermordet zu werden. Sünde, Schuld, Verworfenheit, Puritanismus, Mystizismus und sexuelle Leidenschaft sind auch hier der Stoff, aus dem Green sich ein Bild des eigenen Lebens erarbeitet hatte. Hinter all den Liebeskriegen, die seine Bücher vorführen, stand immer der Wunsch nach einer Erlösung, Erinnerung an eine Zeit, wie Green in seinem Buch "Junge Jahre bekannte", als er "jene Tage des Glücks" durchlebte, "in denen der Leib noch nichts wußte, wovon er nichts wissen sollte, wo das unversehrte Fleisch noch ohne den geringsten Aufwand sich rein erhielt, die Leidenschaften das Herz noch nicht verwüstet hatten..."
Gleichwohl: So heftig Julien Grenn in seinem Werk den Krieg des Menschen gegen sich selbst und gegen die anderen entfesselt und beschrieben hat, so leidenschaftlich war er auf der anderen Seite wie gesagt ein friedfertig-stiller Mensch, der für sich sogar die Bezeichnung "Pazifist" in Anspruch nahm. Nach dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima schrieb er: "Unser Meisterwerk, das Meisterwerk des 20. Jahrhunderts. Die Zerstörungswut hat Mittel und Wege gefunden, die Welt zu vernichten. Kann man auf so etwas stolz sein? Wo bleibt da das Christentum?" Green hat seinen Pazifismus dabei unter anderem damit begründet, daß er, als er während des 1. Weltkriegs den ersten Toten erblickte, sich gesagt hatte: "Niemals werde ich jemanden töten, noch nicht einmal, um mich zu verteidigen. Niemals. Das war so eine Art Schwur. So bin ich." Ja, so war er. Durch sein Leben und sein Arbeite wissen wir wieder ein wenig mehr über die Abgründe der menschlichen Seele, darüber, wie Menschen funktionieren und was in ihnen die Hoffnung wach hält auf Erlösung nach all dem Lebenskampf.
Link: Kritik zu Julien Greens "Der verruchte Ort"