Donnerstag, 02. Mai 2024

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Nachruf
André Schiffrin zwischen Literaturrendite und Geschichtserfahrung

Als André Schiffrin als Chef des amerikanischen Verlags Pantheon 1990 rausgeworfen wurde, protestierten dagegen weltberühmte Schriftsteller. Denn Schriffrin stand für Bücher mit Herzblut, für schwierige Literatur. Michael Naumann würdigt den Verstorbenen als "klassischen Intellektuellen".

Michael Naumann im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 02.12.2013
    Burkhard Müller-Ullrich: Einen der einflussreichsten Büchermacher Amerikas nennt ihn die "New York Times" in ihrem heute veröffentlichten Nachruf. Die Rede ist von André Schiffrin, der im Alter von 78 Jahren gestorben ist und der naturgemäß bei uns nicht so bekannt ist, der aber mit Deutschland und der deutschen Literatur sehr viel zu tun hatte, wenn auch – immerhin musste seine Familie vor den Nazis fliehen – nicht nur im positiven Sinne.
    - Am Telefon ist Michael Naumann, der sowohl in Deutschland als auch in den USA als Verleger tätig war. Herr Naumann, lassen Sie uns bei der Betrachtung von André Schiffrins Karriere mit dem Jahr 1990 beginnen. Da gab es nämlich in der amerikanischen Verlagswelt einen Aufruhr, der bloß mit den großen Auseinandersetzungen bei Gallimard vor 30 Jahren oder bei Suhrkamp heute zu vergleichen ist, da gab es in New York Protestmärsche von weltberühmten Schriftstellern und die Zeitungen waren voll von Artikeln über eine Sache: nämlich Schiffrins Rauswurf als Chef des Verlags Pantheon. Viele glaubten, jetzt könne man überhaupt nicht mehr Bücher mit Herzblut machen, schwierige Literatur, die keinen sofortigen Erfolg verspricht.
    - Kann man das wirklich nicht mehr?
    Michael Naumann: Doch, das kann man. Erstens hat André Schiffrin gezeigt, dass es sehr wohl geht, aber allerdings nur in Amerika. Man kann also einen Verlag gründen mit Hilfe von den sehr opulent ausgestatteten Stiftungen der Vereinigten Staaten. Sein Verlag hat dann eigentlich so weiter gemacht programmatisch, wie er das vorher bei Pantheon gemacht hat. Aber interessant ist eigentlich der Grund, warum er Pantheon verlassen musste. Der Verlag ist ja weitergeführt worden. Er kam auf jährliche Defizite von angeblich bis zu zwei Millionen Dollar. Das ist aber in einer Riesenmaschine wie Random House, später dann gekauft von Bertelsmann, eigentlich ein Kleckerbetrag. Es muss also einen anderen Grund gegeben haben. Und diesen Grund kann man relativ schnell benennen. Er war in einer Phase, in der Amerika auch intellektuell konservativer wurde, gewissermaßen aus der Zeit gefallen. Er war der Verleger nicht nur von Sartre, Studs Terkel, Foucault, Simone de Beauvoir, übrigens auch Grass, sondern von Gunnar Myrdal und vielen anderen, Noam Chomsky vor allem, die alle eher am linken Flügel der amerikanischen Intellektualität standen. Das war das eine. Das wird dem Besitzer S.I. Newhouse nicht sehr gefallen haben. Das ist der Besitzer unter anderem damals von Random House, aber auch von Vanity Fair und anderen publikumsorientierten Verlagen. – Punkt eins.
    Punkt zwei: Sein Chef, der eigentliche Verlagsleiter, war ein ehemaliger Manager von Olivetti: Alberto Vitale, der stolz von sich behauptete, öffentlich einmal bei Gelegenheit, dass er nie ein Buch gelesen habe. Er war gewissermaßen hineingeraten in eine Verlagskultur, die nicht unbedingt spezifisch für das Verlagswesen als solches ist, sondern da stand an der Spitze ein Mann, der wollte ganz einfach Rendite machen. Aber es gibt viele Verlage auch heute noch in Amerika, die geleitet werden und auch finanziert werden von geradezu mäzenatisch gestimmten Besitzern. Und hin und wieder schaffen die das dann auch, einen Bestseller zu landen. Und der macht dann 80 bis 90 Prozent des Umsatzes aus.
    Müller-Ullrich: Und er, der da hineingeraten war, wie Sie sagen, dieser André Schiffrin, über den wir uns jetzt noch ein bisschen unterhalten wollen, er kam ja aus einer Bücherwelt par excellence. Sein Vater war schon in Paris Verleger gewesen, jüdische Emigrantenfamilie, in Paris zunächst gelandet ...
    Naumann: Er hat die ganz berühmte Reihe der "Pléiade" gegründet und musste dann vor den Nazis fliehen nach Amerika. Und dort stieß er, wenn ich mich richtig erinnere, auf den deutschen Emigranten und Verleger Kurt Wolf und zusammen haben die dann Pantheon aufgebaut, bis dann Wolf, glaube ich, 1962 nach Deutschland zurückkehrte, oder in die Schweiz – das weiß ich nicht genau – und starb. Aber er war seinerzeit dann eben auch der Verleger in Deutschland von Kafka und Pantheon hat dann auch Kafka weiter gedruckt in Amerika.
    Müller-Ullrich: Was war André Schriffrin denn für ein Typ? Sie kannten ihn ja auch persönlich.
    Naumann: Ein bisschen kauzig, aber ein klassischer Intellektueller, eigentlich mehr ein Europäer. Das muss man schon sagen.
    Müller-Ullrich: Er lebte ja ständig zwischen diesen beiden Welten, ist ja auch in Paris jetzt gestorben.
    Naumann: Er ist in Paris gestorben, leider. Da hatte er eine Wohnung. Seine Eltern waren wie gesagt französischer Herkunft. Kurz und gut: Er war ein Europäer in New York, das muss man so sagen, und machte dort auch einen europäischen Verlag, vergleichbar allenfalls mit Roger Straus, der Farrar, Straus and Giroux leitete, und das gehörte ihm auch. Auch dieser Verlag war eigentlich defizitär und wurde finanziert in erster Linie durch die Ehefrau von Roger Straus, die eine reiche Erbin war.
    Müller-Ullrich: Sie hatten schon über seine politische Gesinnung gesprochen. Seine Autobiografie heißt ja auch "A Political Education". Das heißt, er war zwar Antikommunist, sicherlich, aber eben Sozialist.
    Naumann: Wie jeder guter Linke war er Antikommunist. Also in anderen Worten: Die Orthodoxie des kommunistischen Totalitarismus, die hat er nicht nur durchschaut, sondern publizierte ja gerade aus dieser Ecke, die intellektuell in Amerika in den 50er-Jahren unter anderem auch von ehemaligen Trotzkisten bevölkert waren, die gewissermaßen die Wahrheit des Marxismus-Leninismus erkannt hatten und gleichwohl ihre sozialpolitisch gestimmte Grundauffassung nicht aufgaben und gewissermaßen kritisch gegenüber dem kapitalistischen System Amerikas weiterschrieben.
    Müller-Ullrich: Michael Naumann, vielen Dank für dieses Zeugnis über Ihren Verlegerkollegen André Schiffrin, der im Alter von 78 Jahren gestorben ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.