Archiv


Nachruf auf eine Hitler-Freundin

Als Leni Riefenstahl, die Filmemacherin selbst das Thema eines Films wurde und Gelegenheit bekam, sich und ihre Geschichte über eine Stunde lang darzustellen, war das eine Stunde, auf die viele sehr neugierig waren. Einen Satz sagte sich, den ich immer noch im Ohr habe, denn er war zweifellos bezeichnend. Vor den Bildern ihres Films "Triumph des Willens" rief Leni Riefenstahl sich in Erinnerung, welche innovative technische Idee ihr diese oder jene Einstellung möglich gemacht hatte, und beim Erinnern, beim leidenschaftlichen Erklären sowie beim verzückten Betrachten der wirkungsvollen Ergebnisse rief sie öfter aus: "Das ist doch interessant!" "Wieso, das ist doch interessant" - das war die Antwort auf alle Fragen, die Leni Riefenstahl so gut kannte, die sie erwartete und bis zum Schluss unwandelbar an sich abprallen ließ: die Fragen nach ihrem Einsatz für die nationalsozialistische Propaganda - nach ihrer Mitschuld.

Ein Nachruf von Beatrix Novy | 09.09.2003
    Leni Riefenstahl reagierte darauf, von etlichen Änderungen im Detail abgesehen, immer gleich: Über die Verbrechen der Nazis wusste sie nicht Bescheid. Sie selbst war unpolitisch gewesen und hatte sich - jung wie sie war - von den Falschen begeistern lassen. Im übrigen reklamierte sie die Naivität des Künstlers für sich, der nur im Dienst des inneren Auftrags lebt; und sie verkörperte das Anliegen der Technokraten, den Fortschritt jenseits von politischen Positionen suchen und der Menschheit darbringen zu können: "Das ist doch interessant!"

    Solche gab es viele. Was ihren Fall zu einem Fall machte, war einmal, dass die Faszination ihrer für die Nazis gedrehten Filme über den Nürnberger Reichsparteitag und die Olympischen Spiele wegen ihrer fraglos künstlerischen Bedeutung die Frage nach einer faschistischen Ästhetik aufwarf - und ob Leni Riefenstahl sie für den Film erfunden habe. Zweitens verteidigte Leni Riefenstahl in ihrem zeitlebens schussfesten Verdrängungspanzer dieselbe Lebenslüge wie die Mehrheit der anderen Deutschen; man kann es als tragische Ironie auffassen, dass gerade das sie zum Sündenbock machte in der ersten Nachkriegszeit, als sie sich häufig gerichtlich gegen Unterstellungen wehrte, die sie zur astreinen Nazisse, zu Hitlers Geliebter oder seiner privaten Nackttänzerin machten. Es war einfach, auf Leni Riefenstahl abzuladen, womit andere in Ruhe gelassen wurden. Und umso einfacher, als sie eine Frau war. Denn das hob sie heraus in ihrem Metier.

    Ohne eine Knieverletzung wäre sie, geboren am 22. August 1902, wohl bei ihrer ersten, klassischen Frauenkarriere geblieben. Doch sie boxte gegen den Willen des tyrannischen Vaters ihren Tanzunterricht durch, unter anderem bei Mary Wigman. Ihr Debüt 1923 in der Münchner Tonhalle war ein Erfolg, wenngleich nicht ganz so durchschlagend wie in ihren Memoiren geschildert: Das kam häufig vor, dass ihr immenses Selbstbewusstsein sozusagen mit ihr durchging, dass Situationen ihres Lebens in der Erinnerung immer ein bisschen aufregender, positiver erscheinen als die nüchterne Recherche es bestätigte. Mit diesem Selbstbewusstsein kam sie zum Film; einfach weil sie es sich vornahm, wurde sie Hauptdarstellerin in Arnold Francks populären Bergfilmen.

    Ihr erster eigener Spielfilm war "Das blaue Licht", ihr letzter, schon 1934 begonnen, hieß "Tiefland", nach Eugene d'Alberts Oper. Mit diesen Filmen, die einen märchenhaften antimodernistischen Inhalt mit einer magischen, eindringlichen Bildersprache verbinden, hätte Leni Riefenstahl sich einen Platz in der Filmgeschichte errungen, aber es wäre bei einem lexikalischen Eintrag geblieben. Das blaue Licht - für das Drehbuch sah Bela Balacz übrigens kein Geld von Riefenstahl, sie zog es vor, die leidige Forderung des Emigranten an Julius Streicher zur Erledigung weiterzuleiten - Das blaue Licht also gehört nicht zu den zeitlosen Werken. Nein, Riefenstahls Schicksal waren und blieben die Filme für Hitler, den sie schon 1932 angehimmelt und mit bewährter Chuzpe kontaktiert hatte. Die Nürnberger Parteitage von 1933 und 1934 und die Olympischen Spiele von 1936 schuf sie mit den Mitteln des Spielfilms und vor allem in monatelanger Arbeit am Schneidetisch zu Inszenierungen um.

    Glaubte man der Leni Riefenstahl der Nachkriegszeit, so war ihre professionelle Begeisterung nie ungetrübt: Parteitagsfilme machte sie weil sie "musste", keines ihrer Nazi-Projekte kam ihr aus dem Herzen. Aber dass "Tiefland", ihr ureigenes Projekt, bei der Uraufführung, die schließlich 1953, nur mäßiges Interesse fand, lag nicht nur am Boykott. Leni Riefenstahl konnte oder musste nach dem Krieg nicht beweisen, was sie unter ganz normalen Produktionsbedingungen zustandegebracht hätte, ohne die großzügige Finanzierung ihrer aufwendigen Arbeitsweise durch die Partei, ohne einen Goebbels, der ihr laut Tagebuchvermerk, mal eben 100.000 Mark schenkte und der sie angeblich - Riefenstahl-Version - doch immer so gehasst hatte.

    Also keine Filme mehr - dafür die langen Fotoreisen in den Sudan zum Volk der Nuba, einem für europäische Augen wunderschönen Menschenschlag; Siegfried Kracauer, der in den Riefenstahl-Filmen die Verbindung vom Gebirgskult zum Hitlerkult herstellte, hätte die stilisierten Körperposen der herrlichen Schwarzen sicher direkt auf die Olympia-Bilder in Fest der Schönheit bezogen. Riefenstahls Wille zur Ästhetik war frei vom Widerspruch des Unschönen, damit stand sie durchaus in der abendländischen Tradition, aber diese Einseitigkeit wäre ihr womöglich zum langweiligen Verhängnis geworden, wenn sie weitergefilmt hätte. So erlebte und überlebte sie vor allem die Rezeptionsphasen ihrer NS-Filme, deren Einfluss auf die Werbung, die Debatten um faschistische Ästhetik, ihre eigene postmoderne Wendung zu einer Art Kultfigur. Denn so ist es nun mal: Wer seine eigene Historisierung als über 90jährige Taucherin erlebt, dem wird alles verziehen.

    Link: mehr ...

    1858.html