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Nachts in Rothenburg

Nach vielen Jahrzehnten Unterbrechung leistet sich eine kleine fränkische Stadt heute wieder einen Nachtwächter. Der ist im Unterschied zu früher gleichzeitig auch Stadtführer. Jeden Abend wartet Hans Georg Baumgartner am Marktplatz von Rothenburg ob der Tauber auf Nachtschwärmer.

Von Marion Trutter | 25.05.2008
    "Ja, willkommen Ihr Leut', zum Nachtwächter-Rundgang, pünktlich zur Stund kann es losgehen, und am Anfang möchte ich kurz berichten, wie das früher war im Mittelalter mit dem Nachtwächter. Es war ein schlechter Posten, Nachtwächter galten nicht viel, ihr Ansehen war gering und ihr Lohn ebenso. Man bekam nur 52 Gulden im Jahr - einen Gulden in der Woche - und das hat vorn und hinten nicht gereicht. "

    Dabei war der Nachtwächter im Mittelalter ein wichtiger Mann. Er zündete abends die Laternen der Stadt an, er prüfte, ob Tür und Tor verriegelt waren. Er fungierte als Wachmann, Polizist und - Feuermelder.

    Und heute gibt es ihn wieder. Jeden Abend wartet Hans Georg Baumgartner am Marktplatz von Rothenburg ob der Tauber auf Nachtschwärmer.

    Ausgestattet ist er - wie seine Vorgänger - mit dunklem Cape, Krempenhut und Laterne, dazu bewaffnet wie vor 500 Jahren:

    "Weil es gefährlich war, brauchte man eine Waffe: Eine Hellebarde hatte man dabei, eine Hieb- und Stichwaffe, die man vielfältig einsetzen konnte - und kann. Es liegt bei Euch."

    Der Nachtwächter führt seine Besucher mitten hinein in die Stadtgeschichte - und er verbindet die Historie mit den Sehenswürdigkeiten von heute:

    "Schaut einmal zurück. So könnt Ihr sehen, wie der Marktplatz umgeben wird von stattlichen Patrizierhäusern. Die stammen zum Teil aus dem 14. Jahrhundert und wurden nie zerstört. Das stattliche Gebäude gegenüber ist das Rothenburger Rathaus, und habt Ihr schon die Jakobskirche, das ist mehr eine Kathedrale als eine Kirche. All diese Rede soll heißen: Dies war eine reiche Stadt, und die Gebäude, die ich gerade erwähnt hab, künden noch heute von dem Wohlstand, den es hier früher einmal gab. "

    Mit viel Witz und Wissen erzählt der Nachtwächter vom Goldenen Zeitalter Rothenburgs, das reich geworden war durch die Kreuzung zweier Handelsstraßen, aber auch durch Wolle und Tuche und durch sein fruchtbares Land. Man erfährt vom Besuch des Königs, von der Duckmäuserei reicher Bürger und von der Völlerei der Ratsleute. Dann allerdings geht es auch um harte Arbeit, um Pest und Cholera, um Dreck und Gestank.

    Schließlich führt der Nachtwächter seine Gäste zur Burggasse. Von dort hat man einen herrlichen Blick auf die Lichter der Südstadt und hinunter ins steile Taubertal. Klar, dass von dieser Seite niemals ein Angriff möglich war. Viele Male wurde Rothenburg im Mittelalter belagert, aber nie eingenommen. Bis im 30-jährigen Krieg Graf von Tilly kam, der Kampfgefährte Wallensteins.

    Drei Tage und Nächte wehrten sich die Rothenburger nach Kräften: 6000 Protestanten in der Stadt gegen 40.000 katholische Söldner unter Waffen. Dann ging in Rothenburg die Munition zur Neige, man hatte nur noch eine kleine Reserve:

    "Und dann geschah was ganz Blödes, man mag es bald nicht erzählen. Einer aus der eigenen Stadt hat dann die Dinge noch beschleunigt, und das war derjenige, dessen Aufgabe es war Sorge dafür zu tragen, dass keiner Zutritt bekam zu dem Pulver in dem Pulverturm. Bloß ging der Bewacher selbst da hinein, allerdings mit einer brennenden Fackel. Vielleicht weil es so dunkel war. Also man konnte ihn später dazu auch gar nicht mehr befragen."

    Ein paar heftige Explosionen, und eine Bresche war in die Mauer gerissen. Tillys Truppen drangen in die Stadt ein und blieben drei Monate. Sie brachten Mord und Totschlag, Plünderungen, Seuchen und Krankheiten.

    Nach dem 30-jährigen Krieg versank Rothenburg in die Bedeutungslosigkeit. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Stadt an der Tauber wieder neu entdeckt:

    "Erst kamen die Maler und Dichter in der Romantik: Spitzweg, Mörike, Ludwig Richter, die waren von Rothenburg begeistert und veröffentlichten sehr positive Dinge in Zeitungen und Zeitschriften. Davon angelockt kamen die Besucher. Um 1900 ging es los und heutzutage ist Rothenburg weltbekannt und wieder eine reiche Stadt - dank euch. Und den Japanern. "