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Nachwehen der Wehrmachtszeit

In Berlin gibt es die Deutsche Dienststelle, genauer: die Wehrmachtsauskunftsstelle, gegründet vor fast genau 70 Jahren. Dort wird versucht, mehr über die Schicksale von gefallenen Soldaten im Zweiten Weltkrieg - und über Kriegsverbrecher herauszufinden.

Von Wolfram Stahl |
    Einfamilienhäuser mit Vorgärten säumen die Straße. Auf der anderen Straßenseite Hinterlassenschaften des 2. Weltkriegs. Die roten Backsteingebäude dienten als Munitionsfabrik. Seit Kriegsende lagern in den ehemaligen Werkshallen in Berlin-Reinickendorf sämtliche Unterlagen von Hitlers Armee.

    Schier endlose Flure durchziehen die Etagen. Hinter den Türen raumhohe Regale mit Kladden und Ordnern.

    "Die Wehrmacht umfasste rund 18 Millionen Soldaten, dann kommen noch die Verbände hinzu, die der Wehrmacht angegliedert waren, sodass wir mit Sicherheit etwas über 20 Millionen Personalnachweise hier haben."

    Peter Gerhardt war bis zur Pensionierung stellvertretender Amtsleiter der Deutschen Dienststelle.

    "Alle Unterlagen aneinander, dann hätten Sie vom Nordkap bis Sizilien eine Aktenstraße."

    Stellungsbefehle, Versetzungsmitteilungen, Erkennungsmarkenlisten, Feldpostbriefe, Orden und Auszeichnungen, Vermerke zur Kriegsgefangenschaft, Sterbeurkunden – fast jedes Detail über jeden Wehrmachtssoldaten ist in diesen Unterlagen vermerkt. Gut 64 Jahre nach Kriegsende arbeiten immer noch 300 Beschäftigte an den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs, sagt Olaf Jäger, der heute stellvertretender Amtsleiter ist.

    "Wir erhalten monatlich noch über 3000 Briefe von Angehörigen, die endlich Klarheit über das Schicksal ihrer noch immer als vermisst geltenden Angehörigen suchen und haben wollen. Wir helfen nach unseren Möglichkeiten, so gut wie wir das können."

    Der Computer zeigt Daten aus der Wehrmachtsakte meines Vaters.

    "Am 5. 12. 44 von der 3. Feld genesenen Abteilung zur Truppe versetzt. Und das ist die 11. Kompanie, Jägerregiment 749."

    Der erste Aktenvermerk datiert von Ende August 1939. Der Einzugsbefehl zur Wehrmacht. Alle verfügbaren Daten musste Karin Pirens an unterschiedlichsten Stellen des riesigen Archivs ermitteln.
    "Es ist viel Sucharbeit und es wird nach dem alten Muster gearbeitet, weil nicht alle Daten über den Computer erfasst sind. Wir müssen schon manchmal sehr viel blättern, suchen und in viele Listen rein gehen, um etwas ermitteln zu können."

    In mühseliger Kleinarbeit werden so Bescheinigungen für die Rentenversicherung und Kriegsopferverbände erstellt. Manchmal sind es auch Recherchen für Staatsanwaltschaften, die versuchen Kriegsverbrechen aufzuklären, erläutert Gerhardt.

    "Man nennt uns ein Datum, man nennt uns einen Ort und will von uns wissen, welche Einheiten zu diesem Zeitpunkt dort eingesetzt waren. Wenn wir das dann feststellen können, dann werden wir aufgefordert, Personen zu benennen, die diesen genannten Einheiten angehörten, um dann festzustellen, ob sie heute noch am Leben sind, um dann durch Kriminalbeamte verhört zu werden, beziehungsweise dem Gericht als Zeuge benannt werden zu können."
    Vor 70 Jahren, am 26. August 1939, nahm die Wehrmachtsauskunftsstelle ihre Arbeit auf. Sie gehörte damals zum Oberkommando der Wehrmacht, erklärt Olaf Jäger, der heute stellvertretender Amtsleiter ist.
    "Die Gründung der Deutschen Dienststelle ist zurückzuführen auf die Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen, die ja schon im Juli 1929 verabredet worden ist. Und man hat seinerzeit verabredet, dass die jeweils kriegsführenden Staaten eine Auskunftsstelle einrichten, um halt die jeweilig anderen Staaten über die Kriegsgefangenen zu unterrichten."

    Das Aufspüren vermisster Soldaten gehört noch immer zu den wesentlichen Aufgaben der Deutschen Dienststelle. In Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge sucht man verstärkt nach Gebeinen deutscher Soldaten auf den ehemaligen Schlachtfeldern und in den Massengräbern Osteuropas.

    "Wenn bei den Arbeiten des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge, egal was – Erkennungsmarken, aber auch Nachlass – gefunden werden, wird diese Fundstätte, werden die Fundgegenstände an die Deutsche Dienststelle WaSt abgegeben. Sie wird hier katalogisiert. Noch heute versuchen wir den nächsten Angehörigen diese persönlichen Nachlassgegenstände zuzustellen. Und anhand der Erkennungsmarken können wir dann halt auch die Person feststellen, die leider verstorben ist."

    Die Aufarbeitung menschlicher Schicksale des Zweiten Weltkrieg und der deutschen Wehrmacht werden die Deutsche Dienststelle in Berlin wohl noch bis 2018 beschäftigen. Danach sollen sämtliche Unterlagen ans Bundesarchiv übergeben werden.