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Nachwelt

Kramatscheck: L.A. - das ist wie schon in "Lisa´s Liebe" auch in Ihrem soeben erschienenen Roman "Nachwelt" die Endstation Sehnsucht der wiederum weiblichen Protagonistin. Eigentlich aber gibt es in diesem Roman zwei Protagonistinnen: Da ist zum einen die Hauptfigur Margarete Doblinger; die weil für 10 Tage in Los Angeles, um dort für eine Biographie über die historische Frauenfigur Anna Mahler, die Tochter von Gustav und Alma Mahler und tätig als Bildhauerin, zu recherchieren. Das geschieht in Interviews mit früheren Ehemännern, Freunden und Freundinnen. Für Doblinger aber wird diese biographische Recherche zum autobiographischen Seelentrip in ihre eigenen Abgründe. Wir haben nun zum ersten Mal eine historische Frauenfigur in Ihrem Werk. Was ist für Sie der Reiz an Anna Mahler gewesen?

Claudia Kramatscheck |
    Streeruwitz: Die Figur, die unter Ihren Eltern wegbricht ersteinmal, also die über Literatur wie Canetti bekannte Person Anna Mahler, die dann aber trotz allem nicht bekannt ist und immer in den Biographien ihrer Mutter als Figur eher schattig auftritt und der Versuch von ihr, mit Kunst eine Position in der Nachwelt zu erringen, was ja dann nicht gelungen ist. Und warum es nicht gelungen ist, Ist Gegenstand dieses Buchs."

    Kramatscheck: Das Buch enthält ja reichlich biographisches Material eben in diesen Interviews: Wo verläuft da die Grenze zwischen Fiktion und Fakten?

    Streeruwitz: Ich gehe davon aus, daß alle Geschichten, die mit der Shoa zu tun haben, nicht neu erfunden werden dürfen und daß hier überhaupt nur auf dokumentarisches oder autobiographisches Material zurückgegriffen werden darf. Insofern sind das Originalbeiträge, die von Personen abgegeben wurden, die diese Zeit betreffen und beschreiben, also O-Ton Material, das sich mit dieser bestimmten Zeit befasst, die für mich als Phantasieraum tabu ist.

    Kramatscheck: Wer hat diese O-Töne gemacht?

    Streeruwitz: Das sind Recherchen, die ich selbst gemacht habe. Die Geschichte von Margarete ist sehr entfernt eine, die ich selber kenne. Ich habe eineinhalb Jahre für die Biographie von Ama Mahler recherchiert und bin an ein Ende gekommen, weil die Tochter Marina Mahler das Material nicht freigeben wollte oder überhaupt kein Material an Biographen weitergeben wollte, beziehungsweise ich bin an eine Grenze gestoßen, die ich für die Romanfigur entwerfe: die Frage, wie weit auch Literatur ein Urteil über andere Personen oder über eine Zeit sein darf.

    Kramatscheck: Doblinger bricht das Unterfangen der Biographie ab. Hat das Genre abgedankt in Ihren Augen?

    Streeruwitz: Ich glaube, daß schon allein die Vielzahl der Biographien, die erscheinen, im Grunde genommen zu denken geben müsste, dass hier eine Form von umwegiger Lüge betrieben wird, daß man, daß Leser und die Leserin akzeptieren, daß sie Vorgefertigtes vorgesetzt bekommen, also Entschiedenes, für sie Entschiedenes. Eine Biographie ist immer ein Urteil über das Leben einer Person.

    Kramatscheck: In Ihrem Buch ist die Biographie von Anna Mahler eine Art Spiegel für Magarete Doblinger. Könnte man nicht auch sagen.- Anna Mahler wird reduziert als Aufhänger für die eigene Geschichte Doblingers?

    Streeruwitz: Anna Mahler ist in dem Fall eine Hohlfigur, die nur von außen beleuchtet wird. Der Leser und die Leserin müssen ihre eigenen Schlüsse aus den vorgelegten Material ziehen. Das ist unumgänglich. Wir müssen für uns selbst entscheiden. Ich denke, daß Literatur die Möglichkeit hat, das nun wirklich jeder und jedem selbst zu überlassen, und das wäre ja nun auch das, was immer noch im Sinn der Moderne zu leisten ist, nämlich die Rückführung der Person auf sich selbst.

    Kramatscheck: Sie gehen so weit, in manchen Passagen den Opferstatus der Frau gleichzusetzen mit dem Opferstatus wie im Falle Anna Mahlers, jüdisch zu sein.

    Streeruwitz: Ich denke, daß der Frauenhass, der sozusagen das Haßpotential der Gesellschaft begründet, daß der so etwas wie ein Archiv für verschiedene andere Haßformen ist. Ich denke, daß noch nicht wirklich erforscht ist, wie weit Nationalismus sich z.B. über Frauenhaß definiert, indem die Frau als Objekt eingemeindet wird in den Nationalismus und ja oft auch der Grund für Kriege ist: Sozusagen die Verteidigung der Ftauen und die Reinheit des genetischen Materials, was wir ja jetzt gerade wieder im Kosovo erlebt haben.

    Kramatscheck: Sie kommen auch im Roman selbstverständlich auf die berühmte Mutter Alma Mahler zu sprechen. Die wird als Verantwortliche gezeichnet für das Schicksal der Tochter. Ist das nicht ein Bärendienst am Patriarchat?

    Streeruwitz: Frau Mm Mahler ist natürlich, wenn wir das spitz formulieren, eine Agentin des Patriatchats, Sie ist die Zusammenfassung aller Frauenvorstellungen, die die Jahrhundertwende, also die nationalistische Männerwelt, geprägt haben. Sie ist die Muse, mit der man reden kann. Gleichzeitig aber ist sie auch die Muse im Bett und bringt so die beiden Frauenvorstellungen der weisen schuldlosen Frau und der hurösen schuldigen Frau in eine Person. Ich denke, daß das auch die Faszination ist, die immer noch von dieser Person ausgeht.

    Kramatscheck: Anna Mahler wird ja hauptsächlich als Frau, und nicht als Künstlerin wahrgenommen.

    Streeruwitz: Anna Mahler war wahrscheinlich kein guter Künstler, und die einzige Möglichkeit, sie wahrzunehmen, ist dann eben als Frau, die sehr viele Männer gehabt hat und die (... ) als sehr schöne Person an der Musikwelt teilgenommen hat, selbst aber aus der herausgetreten ist, weil sie wegen des Vaters ihre musikalische Begabung nicht ausleben wollte. Deswegen hat sie sich die Bildhauerei als Betätigungsfeld ausgesucht. Aber sie verzichtet darauf, ihr Tätigkeitsfeld intellektuell zu durchdringen. Ich glaube, sie scheitert daran, daß sie sich selbst nur als Frau sieht.

    Kramatscheck: Kommen wir nochmals auf L.A. zu sprechen. Das L.A., das Sie entwerfen, möchte ich nicht besuchen. Es wirkt wie die literarische Variante von Mike Davis' "Ökologie der Angst".

    Streeruwitz: Los Angeles ist absolut eine Metapher für die Moderne. Es ist unbehaust, es ist einsam, es ist eine Welt des Paares. Obwohl siebzig Prozent der Bewohner von Los Angeles Singles sind, gibt es kaum eine Möglichkeit als Single da zu leben. Die Sicherheitsfragen in dieser so unglaublich weiten und wüsten Welt sind fast nicht zu lösen, die Bewegung ist immer von Gefahr begleitet, ein Verirren kann das Ende sein. Befreiung ist der Ausblick aufs Meer, das Entlanggehen am Strand, also diese Öffnung in diese unendliche Weite, die ja immer durch Dunst begrenzt ist. Für mich ist Los Angeles überhaupt kein Ort, den man besuchen möchte. An den verschlägt es einen, und dann muß man damit fertig werden. Im übrigen ist Los Angeles ja eine Stadt, die 1911 fast sozialistisch geworden, die sich in dem Jahr dafür entschieden hat, den kapitalistischen Weg zu gehen. Und Ich glaube, diese unglaubliche Suburban-Wüste ist ein Ergebnis der Entscheidung der Welt für diese Richtung, für diese politischökonomische Richtung und ist absolut der Endpunkt des Prozesses der Moderne.