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Nachwuchsförderung
Funiño - Fußballrevolution für die Kleinsten

Fußball-Stars wie Xavi und Iniesta haben es in ihrer Jugend trainiert: Beim Funiño gibt es keine Abwehrspieler, Mittelfeldspieler, Stürmer oder Torhüter, sondern jeder darf alles. Auch in Deutschland findet das Konzept für den Nachwuchs immer mehr Befürworter. Vor allem Eltern sind überzeugt.

Von Patric Seibel | 24.11.2019
Fussball Trainer-Fortbildung beim FC St. Pauli mit Horst Wein im Nachwuchsleistungszentrum am Brummerskamp in Hamburg Der Fussballpädagoge Horst Wein bei der Trainer-Fortbildung vom FC St. Pauli Football team manager Training the FC St Pauli with Horst Wine in Junior power centre at Brummerskamp in Hamburg the Horst Wine at the team manager Training of FC St Pauli
Beim Funiño werden die Kleinsten ganzheitlich gefordert (imago sportfotodienst)
Ein Dienstagnachmittag in Hamburg. Fußballtraining auf einem Kunstrasenplatz im Stadtteil St. Pauli, direkt hinter dem Millerntor-Stadion. Hier treffen sich heute die Jüngsten: Kinder zwischen sechs und zehn Jahren – von der G-Jugend bis zur E-Jugend. "Ich heiße Luke und bin sieben. Ich spiele hier Fußball, aber halt drei gegen drei und wir haben vier Tore im ganzen Spielfeld." Funiño heißt die Fußballvariante, die hier gespielt wird - der Begriff setzt sich zusammen aus den Wörtern Fun für Spaß und Niño für Kind. "Also Funiño ist vier Tore und eine Schusszone. Da sind dann Leute drin, und die müssen ihre zwei Tore verteidigen und auf die anderen draufdribbeln."
Drei gegen drei auf vier Minitore
Yul Wiegand ist der Koordinator für Funiño bei den FC St. Pauli Rabauken. Er erklärt die Regeln noch einmal ganz genau: "Die klassische Variante des Funiños besteht darin, dass drei gegen drei gespielt wird, auf vier Minitore, die ungefähr ein mal zwei Meter groß sind, ohne Torwart natürlich. Das Besondere ist, dass vor den Toren eine Schusszone installiert ist. Die kann man sich wie einen Strafraum vorstellen, und nur in dieser Schusszone dürfen die Tore erzielt werden. Das heißt, wir wollen verhindern, dass es einen guten Spieler gibt in der Mannschaft, der die Kugel kriegt und einfach von überall draufhaut. Sondern, Ziel ist es, dass die Jungs und Mädels sich durch Dribblings, Passkombinationen bis in die Torschusszone vorspielen und von da dann dass Tor erzielen."
Nachwuchs wird ganzheitlich am Ball gefordert
Die Grundidee von Funiño ist, dass jeder Akteur gleichstark in alle Aktionen eingebunden wird, erklärt Felix Beyer, Trainer bei den Kleinsten: "Das Beste finde ich, dass auf dem Spielfeld weniger Spieler sind, dass es deutlich kleiner ist, sodass mehr Aktionen sind. Das Kind hat mehr Erfahrung mit dem Ball, muss mehr tun mit dem Ball." Beim Funiño werden die Kleinsten ganzheitlich gefordert- es gibt keine Abwehrspieler, Mittelfeldspieler, Stürmer oder Torhüter, sondern jeder darf alles. "Das ist auch der Grundgedanke von Funiño: die Spieler möglichst dazu anzuhalten, die Spielsituation selber zu erkennen, zu verstehen zu analysieren und selbst Entscheidungen zu treffen", sagt Yul Wiegand.
Keiner ist Außenseiter auf dem Platz
Eigenverantwortlich und selbstständig zu handeln soll die jungen Spielerinnen und Spieler nicht nur fußballerisch besser machen. Funiño versteht sich auch als soziales Konzept. Hier soll niemand Außenseiter sein. Das Leistungsprinzip steht nicht an erster Stelle. Beim klassischen Kinderfußball im Siebener- oder Neunerfeld auf zwei große Tore dominieren in aller Regel wenige Akteure, die körperlich oder technisch weiter sind, als der Rest. Für viele Kinder bedeutet das: Sie bekommen kaum den Ball und bleiben beim Spiel oder Training außen vor.
Das Leistungsprinzip dominiere inzwischen selbst bei den Jüngsten und im Breitensport, so schildert es Yul Wiegand: "Der Stellenwert des Gewinnens und das Profilieren von Trainern, teilweise über die Erfolge ihrer Jugendspieler, das nimmt Ausmaße an, die gerade in der digitalen Welt über Facebook und Instagram nach außen getragen werden, und sich damit gerühmt wird, ein F-Jugendspiel gewonnen zu haben, wo der Gedanke der Ausbildung der Kinder und die Entwicklung der Kinder total in den Hintergrund gerät."
Fußballplatz: Im Vordergrund ein Mädchen mit einer artistischen Ballaktion. Im Hintergrund kommt ein kleiner Junge angesprintet.
Funiño versteht sich auch als soziales Konzept (augenklick/firo Sportphoto)
Fußball-Casting von Dreijährigen bei manchen Vereinen
Eltern in Ballungsgebieten wie Hamburg berichten immer häufiger von Auswüchsen des Leistungsgedankens. Weil die Vereine von interessierten Eltern und Kindern überrannt werden, müssen teilweise bereits Dreijährige ein Casting durchlaufen, schildert Michael Möller, Vater von zwei Söhnen seine Erfahrungen bei der Suche nach einem Verein für den Jüngeren, einen Dreijährigen. Er versuchte es bei einem alten Hamburger Traditionsverein, der seit Jahren nur noch unterklassig spielt.
"Es gibt 250 Dreijährige auf der Warteliste, davon wurden 40 Eltern zum Elternabend eingeladen und diese Kinder wurden dann auch zum Probetraining eingeladen. Jedes Kind musste jedes Mal da sein. Von diesen 40 Kindern haben sie sich die 15 besten ausgesucht - und das spiegelt ja schon, wenn bei Dreijährigen so eine Selektion stattfindet, was für eine angespannte Situation überhaupt in allen Hamburger Stadtteilen stattfindet mit dem Nachwuchs", sagt Michael Möller.
Kritiker: Funiño ist kein richtiger Fußball
Das Konzept Funiño könnte Abhilfe schaffen, sowohl bei den überfüllten Großstadtklubs, wie bei den Vereinen auf dem Land, die oft nicht genügend Kinder für eine Siebener- oder Neuner-Mannschaft zusammenbekommen, glaubt Yul Wiegand. Immer noch aber gibt es Skeptiker: Das sei doch kein richtiger Fußball, lautet das häufigste Gegenargument. Auch die Torwartausbildung bleibe auf der Strecke. Nur der bayerische Fußballverband lässt Funiño seit dieser Saison flächendeckend spielen. In den übrigen Verbänden organisieren die Vereine eigene Turniere. Die Funktionäre bleiben noch reserviert. Der Hamburgische Fußballverband lehnte eine schriftliche Interviewanfrage ab. In einer Mail heißt es: "Das ist im Moment noch ein laufender Prozess ohne eine Festlegung auf das eine oder andere. Es laufen Pilotprojekte und Abfragen bei den Vereinen. Insofern werden wir uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiter dazu äußern."
Viele Eltern sind vom Konzept überzeugt
Yul Wiegand glaubt, dass sich die Skepsis legen und Funiño in wenigen Jahren flächendeckend gespielt werden wird. Die meisten Eltern, die das Konzept kennen, sind bereits überzeugt. So wie dieser Vater: "Es geht nicht darum, dass der Stärkste gewinnt oder das Kind, was am weitesten schießen kann, im Gegenteil. Wenn ein Team mehr als drei Tore hinten liegt, dann darf es einen vierten Spieler reinbringen. Die Jungs spielen ohne Schiedsrichter, man regelt untereinander, wer rausgeschossen hat, wer gefoult hat, wer zu hart drangegangen ist: Es ist eine sehr soziale Art und Weise, Fußball spielen zu lernen und das ist toll."