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Nackt und sendungsbewusst

Der Filmjournalist Christian Keßler hat sich in seinem Buch mit dem amerikanischen Pornofilm von 1970 bis 1985 beschäftigt: Es ist nicht für Voyeuristen gedacht, sondern bietet eine detaillierte, oft komische Schilderung und Dokumentation der 70er- und 80er-Jahre-Pornografie.

Von Anja Reinhardt |
    "Expliziter Sex auf der Leinwand war damals eine völlig neue Sache. Was die Regisseure dann damals darum herumstrickten, das war relativ frei gestaltet. Die konnten da irgendwelche genreartigen Sachen wir Krimis, oder es gab Westernpornos, Piratenpornos und alles Mögliche. Dazu kam auch noch, dass die Leute, die damals mit Film gearbeitet haben, 16 Milimeter war das in der Regel damals, das erforderte ein Mindestmaß an handwerklichem Geschick, die arbeiteten da Wochen oder sogar Monate an diesen Filmen, bis die dann herauskamen."

    Das muss man sich tatsächlich mal vorstellen: Während es heute im Geschäft der Erwachsenenfilme fast nur noch darum geht, mit schnellen und billigen Produktionen möglichst viel Geld zu verdienen, gab es in der sogenannten Goldenen Ära des Pornofilms Anspruchsdenken! Zu sehen zum Beispiel in dem weniger erotischen als zum Schreien komischen Streifen "Flesh Gordon", in dem die Erde von Sexstrahlen aus dem All bedroht wird. Der Film verschlang die für das Genre unfassbar Summe von einer halben Million Dollar und war als Parodie auf den Science-Fiction-Knaller Flash Gordon gedacht.

    "Die alten Flash Gordon, mit A, waren ja an sich bereits so Pappmaché Geschichten darauf eine Parodie herzustellen ist eigentlich nicht einfach, weil die sind aus heutiger Sicht betrachtet fast schon Parodien in sich selbst. Aber das mit einer gewissen Liebe zu machen, gerade in diesem Genre, das ja normalerweise einfach nur von zuckenden Leibern handelt, worauf sich das heute meistens auch leider konzentriert, dass da eine gewisse Liebe mit hinein floss, sowohl für die Filmgeschichte als auch für das Handwerk der Spezialeffekte-Erzeugung – das war eine besondere Sache, die den Siebzigern eigen war. Dass die Leute noch andere Interessen hatten als den blanken Sex."

    Sie interessierten sich nämlich tatsächlich dafür, die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse ihrer Zeit widerzuspiegeln.

    "Jede Art von Genrekino reflektiert ja sowohl den jeweiligen Reifezustand einer Gesellschaft, als auch die vielen spannenden Sachen, die in ihr passieren. Da die 70er in der Tat eine äußerst bewegte Zeit gewesen sind, findet sich das alles in diesen Filmen wieder, beispielsweise Watergate. Es gibt ganz viele Filme, die eindeutig Bezug nehmen auf die Watergate Geschichte. Wobei natürlich auch interessant ist, dass Watergate selbst, bzw. die Aufklärung der ganzen Angelegenheit, Bezug auf die Pornofilme nahm. Denn Bernstein und Woodward, die beiden Journalisten, die damals damit im Mittelpunkt standen die hatten ihre Quelle ins Weiße Haus Deep Throat genannt, nach diesem berühmten Film."

    Mit "Deep Throat" erreichte Pornografie erstmals die breite Masse. Ganze Warteschlangen bildeten sich vor amerikanischen Kinos – wohlgemerkt keine Rotlicht-Kinos. Und hier warteten keineswegs lüsterne Männer in der Midlife-Crisis sondern brave amerikanische Hausfrauen. Sogar Ex-First Lady Jackie Kennedy sah sich das an. "Deep Throat" wurde zudem als Film über die sexuelle Befreiung der Frauen gefeiert. Und das in einem Porno!

    "Genauso wie der Freiheitskampf der Schwarzen, der Afro-Amerikaner auch Niederschlag fand. Es gibt einen Blaxploitation Porno namens 'Tongue', das war alles eine hochpolitische Angelegenheit. Das verlor sich dann in den Achtziger Jahren als der Kommerz den Idealismus überwucherte."

    Viele Filmschaffende, die in der Pornoindustrie angefangen hatten, ob als Regisseur, Drehbuchautor, Trickfilmspezialist oder Kameramann, machten nun in Hollywood Karriere. Mit dem Pornogeschäft wollten sie nun nichts mehr zu tun haben, was natürlich auch an den in Hollywood herrschenden Strukturen liegt.