Also wieder realistischer, erkennbarer, unterscheidbarer. Wie die Nackten von Mimmo Paladino und den anderen Künstlern der italienischen Transavanguadia. Eine italienische Kunstrichtung der 80er und 90er Jahre, die Peter Weiermeir in seine große Ausstellung zu 200 Jahren Aktgeschichte aufnahm:
Wir setzen ein mit dem Neoklassizismus und mit jener Periode, wo der Akt symbolische und allegorische Bedeutung hatte. Das war vor allem der männliche Akt, der diese Tugenden und symbolischen Haltungen verkörperte.
So beginnt die Bologneser Akt-Ausstellung mit einigeN großen nackten Heldenkörpern des Bildhauers Antonio Canova. Sein Schaffen ist der Ausgangspunkt einer Entwicklung, die in der heutigen zeitgenössischen Kunst ihr vorläufiges Ende findet:
In der zeitgenössischen Kunst haben wir bestimmte Positionen herausgefiltert. Auf der einen Seite spielt hier der Aktionismus der Performancekünstler, in der der nackte Mensch eine Rolle spielt, auch im Sinne einer elementaren, nicht an die Zeit gebundenen Menschlichkeit eine Rolle, aber vor allem haben wir hier zwei Generationen figurativer Malerei, Baselitz und Lüppertz beispielsweise, und dann die jüngere neoexpressive Position, wo auch die Italiener mit der Transavanguadia und die Deutschen eine Rolle spielen.
Corinth und Degas, Lucian Freud und Gauguin, Klimt, Maillol, Lehmbruck, Schiele, Rodin und viele andere zeigt Weiermeirs Nacktschau. Sicherlich eine der umfassendsten Ausstellungen zu diesem Thema seit Jahrzehnten. Weiermeirs Ausstellungskonzept will 200 Jahre Kunstgeschichte unter Bezug auf die Darstellung des nackten menschlichen Körpers ordnen. Nicht nur chronologisch. Dem Ausstellungsbesucher wird deutlich gemacht, dass im 19. Jahrhundert zwei Stilrichtungen in der künstlerischen Nacktdarstellung ihren Ausgang hatten. Malerei und Bildhauerei bevorzugten seit der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die nicht mehr realistischen Darstellungsformen: wie zum Beispiel im Impressionismus und Expressionismus. Mit der Entstehung der Fotografie hingegen setzte die Vorliebe für die exakte realistische Wiedergabe des nackten Menschen ein. Malerei und Bildhauerei auf der einen und die Fotografie auf der anderen Seite entwickelten sich diametral in ihren Darstellungsweisen des nackten Menschen. Seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts finden Malerei und Bildhauerei mit der Fotografie wieder zusammen. Beispielsweise in der Performance- und Bodyart-Kunst.
Zum Schluss der Ausstellung, das ist ja eine Entwicklung, die wir heute ganz stark erleben, haben wir eine neofigurative Position, wo natürlich auch Einzelgänger wie Lucien Freud und Erik Fischl eine Rolle spielen, aber dann vor allem eine ganze Reihe von internationalen chinesischen, russischen, amerikanischen Künstlern, die sich mit nackten Menschen auseinandersetzen, aber sehr stark zeigen wie wichtig die Fotografie hier ist und wie wichtig das Wechselspiel von Fotografie und Malerei ist.
Die Fotosektion von Weiermeirs Nacktausstellung nimmt großen Platz ein. Er scheut sich nicht, auch die Werbefotografie von großen Modehäusern in sein Konzept künstlerischer Entwicklung des Aktes aufzunehmen. Eine gerade für Italien wichtige Entscheidung: nirgendwo sonst in Europa und auch nicht in den USA nutzen Modemacher Fotokünstler, wie zum Beispiel der kürzlich verstorbene Herb Ritts, um ihre Produkte künstlerisch in Szene zu setzen. Dass viele dieser Fotografen, die in der Modebranche ihre Karriere begannen, durch diese zu Fotokünstlern wurden und heute auf dem Kunstmarkt hoch gehandelt werden, beweise Peter Weiermeir zufolge, wie fließend die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz geworden sind. Der Ausstellungsmacher ist auch davon überzeugt, dass der Akt, der nackte menschliche Körper, heute vor allem in der Werbung und in der Pornografie seine höchsten künstlerischen Ausdrucksformen findet.