"Wellness" heißt die Performance der Wienerin Florentina Holzinger und des niederländischen Choreografen Vincent Riebeek, die am Düsseldorfer Forum Freies Theater zum ersten Mal gezeigt wurde.
Vier von fünf Performern sind schnell komplett nackt und räkeln sich unter der fünften Performerin, die in zwei Schlaufen unter dem Bühnenhimmel schwebt und außen, auf dem Körper, getragene Brustimplantate mit einem Messer öffnet. Woraufhin sich Flüssigkeit ergießt über die am Boden sternförmig liegenden, nackten, schwer atmenden Leiber, die nun übereinander rutschen und flitschen, die ein oder andere Kopulation andeuten, bevor es schnell weitergeht zum nächsten Partner, alle vier zusammen ein einziger Leib aus vielen kaum auseinander zu haltenden Einzelgliedern, eine rot beleuchtete Skulptur in ständiger Bewegung auf blau angeleuchtetem Boden.
Auch zwei einzelne Leiber sind als Körper kaum mehr erkennbar, wie sie jeweils in sich selbst eng verknotet in rasende Rotation gebracht werden.
Die lustvolle Folter, in der Körper-Identitäten in ständiger Bewegung des Fleisches und in dauerndem Bezug zueinander sind, passt wie Faust aufs Auge zum Vortrag von Peta Hinton.
"Materiality now is no less than the world in its self-differentiating, in its becoming."
Peta Hinton ist Soziologin aus Australien und Research Fellow am Berlin Institute for Cultural Inquiry. Ihr Vortrag eröffnet das Symposium zum Thema „Public Bodies“ und will die Anwendung eines neueren, feministisch-materialistischen Zugangs demonstrieren, an einem ganz aktuellen Beispiel. Australien, Januar dieses Jahres:
Eine stillende Mutter wird in einem öffentlichen Schwimmbad darauf hingewiesen, dass sie ihr Kind nicht so offen stillen möge. Was allerdings kein Gesetz verbietet.
In den australischen Medien hat das eine massive Debatte ausgelöst, erzählt Hinton, in der die Verfechter des öffentlichen Stillens den mütterlichen Körper und damit seine Identität gegen einen männlichen Blick verteidigen, der die weibliche Brust mit ihren sexuellen Reizen im Vordergrund sieht.
Aber um politisch aktiv zu werden, realisieren sie diesen männlichen Blick ja erst mal. Es geht um den problematischen Vorgang des Ausschließens, um Identität zu bilden. Der feministisch-materialistische Zugang, wie Peta Hinton ihn hier demonstriert, geht aber davon aus, dass sich Identitäten aus der immer währenden Bewegung einer umfassenden Materie ständig entwickeln (und auch wieder verwickeln), aus inneren Selbst-Differenzierungen dieser Materie; auch das Männliche und das Weibliche können nicht voneinander isoliert werden.
"Sexual differences, too, emerge within this fleshy worlding, which means you can’t cut out what’s masculine from what’s feminine. "
Feministischer Zugang, wie Hinton ihn vorführt, hat etwas sehr Unaufgeregtes und Untersuchendes. Die Frage nach den "Public Bodies" sticht zwar in die feministische Diskussion hinein, aber eher doch in eine allgemeinere, auch politische Debatte. Es geht um Leiblichkeit und Identität. Um die Frage der Repräsentation. Wie Claudia Bosse, frei, ohne festes Skript und viele Fragen ohne Antworten aufwühlend, unter anderem an den auch im europäischen Raum vielfach gezeigten Fotos von getöteten Diktatoren zeigt, der Dekonstruktion ihrer Körper.
Oder Billinger & Schulz, die in ihrer leisen Performance "First Life - ein Melodram" mit viel Feinsinn eine Paar-Biografie entwerfen und im gleichen Atemzug demontieren, für ein Publikum, das Spaß an dem Spiel mit Wiederholung und Differenz findet. Und das Spiel im Spiel entdeckt:
Beide Performances, sowohl "First Life" wie auch "Wellness", zitieren lustvoll spießig-blöde Choreografien, wie man sie aus sich anbiedernden Fernsehsendungen kennt. Auch öffentliche Vorbilder für Bewegungsmuster gehören zum Thema "Identität".
Aber so fantastische Szenen "Wellness" auch auf die Bühne bringt, so öde wird der Abend bei zu viel Anleihen aus den Bereichen Porno, Ironie und vermeintlicher Authentizität.
Das Spannungsfeld ist riesig und die Diskussion angeregt. Dass solche Debatten einen organischen Platz ausgerechnet im Theater haben, wird hier offensichtlich.