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Nächste Invasion rollt

Umwelt. - Die nächste durchsetzungsstarke Pflanze aus fernen Erdteilen hat deutschen Boden erreicht. Die Amerikanische Kermesbeere, vor allem im Nordosten der USA heimisch, hat es in den Südwesten Deutschlands geschafft und breitet sich in den dortigen Wäldern explosionsartig aus.

Von Volker Mrasek | 11.10.2013
    Bis vor kurzem hatte Constanze Buhk auch noch nicht viel von der Amerikanischen Kermesbeere gehört. Inzwischen kennt die Geoökologin von der Universität Koblenz-Landau den Steckbrief der Pflanze aber sehr genau:

    "Das Charakteristischste ist, wenn sie Früchte trägt. Sie hat pinkfarbene Stängel von so traubenartigen Fruchtständen. Und die Früchte selbst, die Beeren, die werden dunkellila. Das ist eine Staude, also keine verholzte Pflanze, aber eine langlebige Pflanze. Das wird dann so landläufig Staude genannt."

    An den poppigen Farben kann sich die Forscherin aber gar nicht so recht erfreuen, im Gegenteil: Mit großem Argwohn beobachtet sie, daß die fremde Art, die aus Nordamerika stammt und den lateinischen Namen Phytolacca americana trägt, sich auch hierzulande ausbreitet. Und zwar...

    "... haben wir jetzt von Förstern den Tipp, daß sie offensichtlich große Probleme in Teilen von Rheinland-Pfalz bereitet, aus Sturmflächen hervorgehend plötzlich wirklich über viele, viele Meter die gestörten Bereiche im Wald zuwuchert. Insofern befürchten wir, daß wir hier einen Neubeginn einer Pest finden. Die beginnt sich also extrem auszubreiten. In der Schweiz macht sie an manchen Stellen schon Schwierigkeiten. Auch in China ist sie schon invasiv sehr negativ aufgefallen."

    Invasiv, das heißt: Die Art wurde eingeschleppt und gehört hier eigentlich gar nicht hin. Massiv auf dem Vormarsch ist die Kermesbeere vor allem im heute noch sehr naturnahen Bienwald nördlich von Karlsruhe sowie in Teilen des Pfälzer Waldes. Buhk:

    "Und wir sehen, wenn die Pflanze sehr üppig wächst irgendwo, daß sie dann selbst in die gestandenen, dunklen Buchenwälder reingeht, wo eigentlich überhaupt kein Unterwuchs ist."

    Offenbar genügt der Kermesbeere das wenige Licht, das in diesen Hallenwäldern bis zum Boden vordringt. Bedenklich aus Sicht der Landauer Geoökologin ist vor allem, daß der Neueinwanderer ...

    "... auch chemische Waffen mitbringt. Wir haben jetzt Studien dazu, daß also Buche auch Schwierigkeiten hat, auf dem Boden, der von Phytolacca belastet ist, überhaupt keimen zu können. Das macht sie dann entsprechend so konkurrenzstark und damit gefährlich, weil sie dann wirklich alles platt machen kann."

    Bei den genannten Chemiekeulen handelt es sich um Phenole. Diese Natursubstanzen werden von vielen Pflanzen zur Abwehr von Insekten und anderen Fressfeinden abgesondert. Die Kermesbeere produziert die Giftstoffe allerdings in ziemlich großen Mengen und gibt sie auch über ihre Wurzeln ab, um konkurrierende Pflanzen zu verdrängen. Constanze Buhk rechnet über kurz oder lang auch mit ökonomischen Schäden durch Phytolacca americana:

    "Daß Naturverjüngung nicht mehr in der Form stattfinden kann, wie wir das so inzwischen in der Forstwirtschaft sehr oft haben. Daß man also einfach die Buche wieder aufwachsen läßt. Das findet unter Umständen nicht mehr statt. Das zweite wäre, daß der Boden möglicherweise kontaminiert ist. Und man weiß noch nicht, wie lange so etwas anhält, so daß also auch eine Anpflanzung und das anschließende Wachstum unter Umständen gehemmt sein könnte."

    Es gibt noch etwas, was die Ausbreitung der Kermesbeere stark begünstigt: Vögel fressen ihre Samen und können sie später an ganz anderer Stelle wieder ausscheiden:

    "Also, in China gibt’s schon wissenschaftliche Studien dazu, daß also viele der einheimischen Vögel fast vollständig auf Phytolacca-Genuss umgestiegen sind. Und die Chinesen haben entdeckt, daß da also über 20 Samen in einem Vogelklecks drin sind."

    Hat die fremde Pflanze also am Ende das Zeug, ganz Deutschland zu erobern? Constanze Bukh kann sich mehr als nur das vorstellen:

    "Ich denke, nicht nur ganz Deutschland. Vielleicht sogar ganz Zentraleuropa. Wir haben sie an Standorten, die sehr warm sind. Die geht bis 500 Meter im Pfälzer Wald hoch. Wir haben sehr saure, wir haben basische Standorte. Es spricht eigentlich alles dafür, daß sie da keine Grenzen kennt. Man steckt nicht drin, aber das Potenzial würde ich ihr absolut zutrauen. Sie hat den ersten wichtigen Schritt einer Invasion genommen. Diese Explosion erleben wir also gerade im Süden, Südosten von Rheinland-Pfalz."

    Constanze Buhk würde es begrüßen, wenn sich auch noch andere Forscher in Deutschland um die Kermesbeere kümmerten. Um zu sehen, wo sie schon überall verbreitet ist. Bisher, sagt die Geoökologin, sei sie die Einzige, die sich mit dem bedrohlichen Neueinwanderer in unseren Wäldern befasse.