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Naher Osten
Das Sykes-Picot-Abkommen im Ersten Weltkrieg

Nach der Zerschlagung des Osmanischen Reichs wurde eine geheime Übereinkunft zwischen den französischen und britischen Regierungen getroffen: das Sykes-Picot-Abkommen. Die Bevölkerung erfuhr nichts davon. Und die Kolonialherren waren nicht in der Lage, eine stabile Ordnung für die dort lebenden Völker zu etablieren.

Von Peter Philipp | 21.06.2014
    Undatiertes Archivbild des Hafens von Konstantinopel während des 1. Weltkriegs
    Konstantinopel war die Hauptstadt des Osmanischen Reiches. (dpa)
    Ein Hauptargument der Muslimbrüder in Ägypten und ihrer Anhänger in anderen Teilen der arabischen Welt lautete seit Beginn dieser Bewegung in den 20er-Jahren, dass die arabischen Führer insgesamt nicht repräsentativ seien für die arabische "Umma" - die Weltgemeinschaft der Muslime. Und dass die von ihnen gelenkten Staaten nichts anderes seien als künstliche Gebilde, das Produkt der europäischen Kolonialmächte, deren Ziel es sei, Muslime im Allgemeinen und Araber im Besonderen in ihrer Abhängigkeit zu halten.
    Diese Argumentation führte dazu, dass die Muslimbrüder und auch inzwischen entstandene radikalere Gruppen sich meist nicht am politischen Geschehen ihrer Länder beteiligten. Der Arabische Frühling schien dem ein Ende zu setzen, in Ägypten aber ist das gründlich gescheitert und in Syrien wie dem Irak haben die radikalen Anhänger von Isis ("Islamischer Staat im Irak und Syrien") begonnen, das von ihnen empfundene Übel an der Wurzel zu bekämpfen. Und die liegt in der Zeit des Ersten Weltkrieges, als in der Region ein Weltreich - zumindest in damaligen Kategorien - zusammenbrach:
    1913, ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, hatte das Osmanische Reich bereits weite Teile seines einstigen Herrschaftsbereichs eingebüßt, aber im Nahen und Mittleren Osten war es immer noch eine formidable, wenn auch regionale Großmacht. Was bald die Begehrlichkeit der verfeindeten Weltkriegsparteien auslöste. Besonders die Briten wollten ihren Einfluss in der Region sichern, weil diese auf dem wirtschaftlich und strategisch so wichtigen weg nach Indien liegt. Frankreich wiederum hatte in Syrien und dem Libanon historische Interessen und das deutsche Kaiserreich träumte davon, die Eisenbahnverbindung von Berlin bis Bagdad und dann bis an den Persischen Golf weiterzuführen - auch dies von wirtschaftlicher wie militärischer Bedeutung.
    Das Osmanische Reich wollte eigentlich neutral bleiben, schlug sich dann aber auf die Seite seines alten Verbündeten Deutschland. Als dessen Niederlage sich abzuzeichnen begann, wurde dies ein wichtiges Thema in London und Paris. Der Historiker Bernard Lewis:
    "Seitdem die Archive geöffnet wurden, wissen wir, dass es während des Krieges eine sehr intensive Diskussion in der britischen Regierung gab, was zu tun sei. Die Regierung setzte ein Komitee ein und dieses empfahl dringend, das Osmanische Reich nach seiner Niederlage zu erhalten. Weil alles andere verheerende Folgen haben und ernste Probleme im Nahen Osten auslösen würde."
    Die Empfehlung wurde nicht akzeptiert. Offenbar traute man Konstantinopel nicht oder aber man versprach sich mehr Einfluss in der Region, wenn man eine radikale Neuordnung würde herbeiführen können. Und genau so kam es:
    "Großbritannien und Frankreich - die beiden wichtigsten westeuropäischen Alliierten und die wichtigsten Großmächte jener Zeit erzielten eine Vereinbarung zwischen einem Engländer namens Sykes und einem Franzosen namens Picot über die Aufteilung der arabischen Provinzen des Osmanischen Reiches. Dies war die Grundlage - mit einigen Veränderungen - der Aufteilung des 'Fruchtbaren Halbmonds' die nach 1918 zwischen Großbritannien und Frankreich in Form sogenannter Mandate vorgenommen wurde."
    Es war ein Geheimabkommen und die Betroffenen, die arabische Bevölkerung der Region, erfuhren nichts davon. Deren Interessen waren Briten und Franzosen aber auch ziemlich gleichgültig. Das zeigt sich an der Nonchalance, mit der Sykes und Picot vorgingen: Der Brite zog eine Linie von Kirkuk (im heutigen Irak) nach Haifa im damaligen Palästina - nördlich davon sollte Frankreich das Sagen haben, südlich davon Großbritannien.
    Vermutlich war es Zufall, dass Sykes ziemlich genau den Verlauf der späteren Ölpipeline aus dem Irak nach Haifa zeichnete. Öl spielte 1916 noch keine so große Rolle. Und es war auch mehr Zufall, dass Frankreich das Mandat für Palästina ablehnte und den Briten diese zweifelhafte Ehre zufiel. Im Gegensatz auch zu Europa, wo nationale Grenzen meist das Ergebnis Jahrhunderte langer Entwicklungen waren, wurden die künftigen Grenzen des Nahen und Mittleren Ostens mit einem Federstrich gezogen. Ohne Rücksicht auf die Menschen dort.
    Uneingelöstes Versprechen an die Kurden
    Besonders krass war das im Fall der Kurden, die zwar für Sykes und Picot kein Thema waren, denen man aber später einen eigenen Staat versprach. Dieses Versprechen wurde nie eingelöst, weil dies mit den unterschiedlichen Interessen der Türkei, Syriens, des Irak und des Iran kollidiert wäre. Vor allem aber mit dem der Kolonialmächte. Denn sie hatten doch gerade erst beim Entstehen dieser Staaten auf dem Territorium des ehemaligen Osmanischen Reiches nachgeholfen:
    "Die meisten dieser Staaten oder Einheiten sind neu. Sie sind das Ergebnis der Aufstückelung durch die Großmächte im 19 Jahrhundert, die in dem Abkommen während, bzw. unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gipfelte".