Denn auch er weiß: Serbien ist ein nahes, dennoch aber fernes Land. Mindestens so weit weg wie Slobodan Milosevic von der Realität als er als Angeklagter vor dem Haager Kriegsverbrecher-Tribunal seine Liste der vorzuladenden Zeugen präsentierte. Volker Wagener beginnt denn auch seine Rezension der Geschichte Serbiens mit eben diesem Originalton von Milosevic:
"Ich werde verlangen, das Bill Clinton, Madeleine Albright, Jaques Chirac, Tony Blair, Gerhard Schröder, Joschka Fischer, Klaus Kinkel, Hubert Vedrine, Robin Cook, Lord Owen, Thorvald Stoltenberg, Jasushi Akashi, Lamberto Dini, Kofi Annan und andere hier vor mir erscheinen und sich von mir befragen lassen."
Die Vorstellungen über Serbien in der Ära Milosevic und danach sind imagebildend in der westlichen Welt. Das Ansehen Serbiens und der Serben ist nach mehreren Kriegen innerhalb des alten Jugoslawien gering, das Wissen um deren geschichtlichen Werdegang allerdings auch. Allein schon diese Bestandsaufnahme macht die Herausgabe des umfangreichen Werkes des Berliner Osteuropa-Historikers so wertvoll. Es gibt eine Vielzahl von Publikationen über Serbien. Die meisten sind in der ersten Hälfte der 1990er Jahre erschienen. Überwiegend Schnellschüsse, hervorgegangen unter dem Druck der Ereignisse, der Kriege in Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina. Nicht alle waren schlecht, der darin präsentierte historische Unterbau zum Verständnis der Aktualität war zumeist begrenzt auf die Tito-Zeit.
Holm Sundhaussen gräbt tiefer. Das 19. Jahrhundert, das, was in der seinerzeitigen Begleitliteratur zur grausamen und irritierenden Aktualität bestenfalls knapp, meistens aber gar nicht dargestellt wurde, nimmt im vorliegenden Werk breiten Raum ein. Sundhaussen spricht vom "langen" 19. Jahrhundert. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Voraussetzungen für flächendeckende Aufstände der Serben gegen die türkische Herrschaft auf dem Balkan gegeben. Es war keine Revolution im Sinne der Zielsetzungen der Französischen Revolution, schreibt Sundhaussen, erst recht keine bürgerliche Revolution, denn weder die Anführer, noch die Gefolgsleute waren Bürger. Vom Charakter her handelte es sich um bäuerliche Rebellionen.
Schon hier wird deutlich, wie verschieden die gesellschaftliche Ausgangsbasis bei den östlichen Serben im Vergleich zu westeuropäischen Gesellschaften war. Analphabetismus war noch ein halbes Jahrhundert nach Beendigung der Befreiungsaufstände ein endemisches Grundübel, konstatiert Sundhaussen. Kennzeichnend für das Serbien des 19. Jahrhunderts ist auch die Technikfeindlichkeit und Globalisierungsangst.
Auf 1000 Quadratkilometer entfielen ganze zwei Kilometer Eisenbahnstrecke. Weniger Kilometer wurden in anderen europäischen Ländern zu diesem Zeitpunkt kaum verlegt. Nur 13 Briefe pro Jahr entfielen auf jeden Serben um 1910. Nur Russland konnte weniger vorweisen. Und mit 1,6 Telefongesprächen pro Einwohner und Jahr fiel Serbien sogar hinter den russischen Standard zurück. Überhaupt: Es mangelte an einem Blick nach vorne. Handwerker lehnten Neuerungen in der Herstellung weitgehend ab, lernen wie bei Sundhaussen. Sie arbeiteten noch vorwiegend mit den Werkzeugen, die ihre Großväter benutzten.
Kurz: In dieser Ausführlichkeit und Verständlichkeit sind Details über die Wirtschafts-, Sozial- und Alltagsgeschichte Serbiens im langen 19. Jahrhundert bestenfalls in schwer zugänglichen Fachpublikationen zu finden.
Der Beschreibung des langen 19. Jahrhunderts folgt die Darstellung des kurzen 20. Jahrhunderts. Den geschichtlichen Weg Serbiens und der Serben im ersten Jugoslawien sieht Sundhaussen als von Anfang an problematisch an. Er fragt:
Handelte es sich um eine `jugoslawische Vereinigung` oder um einen Zusammenschluss mehrerer südslawischer Nationen oder um ein vergrößertes Serbien? Die Antwort auf diese Frage wurde schon dadurch erschwert, dass die Nationsbildungsprozesse bei den im neuen Staat vertretenen Großgruppen unterschiedliche Zielprojektionen und Verläufe aufwiesen. Einer jugoslawischen Vision standen verschiedene serbische, kroatische, slowenische etc. Gemeinschaftskonzepte gegenüber.
Eine integrative Funktion, so der Autor, konnte eigentlich nur vom Begriff des Südslawismus ausgehen, denn die jugo, also südslawische Idee, geht von besonders engen sprachlichen, kulturellen und verwandtschaftlichen Beziehungen aus. Eine sehr theoretische Grundlage für einen Staat, denn wie sich zeigte, ergaben Untersuchungen von Schulbüchern aller jugoslawischen Nationen vor 1914, dass der Begriff des Jugoslawismus vor allem durch Abwesenheit glänzte.
Identitätsstiftender für die südslawischen Nationen war da schon die Erfahrung im Zweiten Weltkrieg. Jugoslawien war das einzige Land unter den neuen "Volksdemokratien" in Ostmittel- und Südosteuropa nach 1945, das sich weitgehend aus eigener Kraft befreit und den Systemwechsel ohne Mitwirkung Stalins beziehungsweise gegen dessen Fahrplan durchgeführt hatte. Mehr noch: Jugoslawien hatte früher als andere begonnen bewaffneten Widerstand zu leisten. Aus einer Volksbefreiungsbewegung wurde recht schnell eine Volksbefreiungsarmee. Umso mehr erschütterten die Vorgänge um den Komintern-Rauschmiss 1948 Teile der jugoslawischen Gesellschaft. Tito reagierte schon einen Tag nach der Ankündigung aus Moskau vor dem Zentralkommitee der KPJ.
"Genossen, dies ist nicht nur ein Angriff auf die Parteiführung, dies ist ein Angriff auf die Einheit unserer Partei. Dies ist ein Angriff auf die mit Blut bezahlte Einheit unserer Völker. Dies ist eine Aufforderung an alle destruktiven Elemente, all das zu zerstören, was wir bisher zum Wohle unserer Völker aufgebaut haben. Dies ist eine Aufforderung zum Bürgerkrieg, eine Aufforderung zur Zerstörung unseres Landes."
Ein selbstbewusster Tito, der von Moskau für seine "Eigenmächtigkeiten" abgestraft wurde. Tausende überzeugte Moskau-Getreue verschwanden für Jahre hinter Gittern oder für immer. Ganz nach stalinistischer Rezeptur.
Die letzten 65 Seiten der Geschichte Serbiens umfassen den Zeitraum von 1987 bis etwa 2004. Es ist die Periode von Slobodan Milosevics ersten politischen Auftritten bis hin zu aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Serben und Albanern um das Amselfeld. Als eine Zäsur in der politischen Laufbahn Milosevics beschreibt Sundhaussen dessen Besuch in der Kosovo-Hauptstadt Pristina am 24. April 1987. Milosevic kam als damaliger serbischer KP-Chef um zwischen aufgebrachten Albanern und Serben zu vermitteln. 15.000 Serben demonstrierten vor dem Haus der Kultur. Sie riefen: "Sie prügeln uns!" Milosevic trat vor die Menge und sagte seinen berühmten Satz: "Niko eine sme da vas bije!" - "Niemand darf euch schlagen!" Zum erstenmal waren damals die Slobo-Slobo-Rufe zu hören. Serbische Analysten, so berichtet Holm Sundhaussen, waren damals überzeugt:
... dass die Episode das politische Agieren des bislang unscheinbaren Funktionärs grundlegend verändert habe: Aus einem vorsichtigen Apparatschik der Tito-Ära, der sich politisch stets bedeckt und weitgehend konform verhalten hatte, war nach dem Bad in der Menge ein 'anderer Mann' geworden, einer, der die Mobilisierungskraft des Nationalismus erkannt und verstanden hatte.
Seit Herbst 1987 setzte sich Milosevic das Ziel, die faktische Gleichberechtigung der Kosovo-Albaner abzuschaffen. Ab da herrschte eine explosive Mischung aus Mythen, Selbstmitleid und Aggressivität unter den Serben. Letzteres machte sich vor allem im Bosnienkrieg bemerkbar. Die Armeen taten einander kaum weh. Keine einzige Schlacht hat stattgefunden, stattdessen Vertreibungen und Massaker. Ziel der Angriffe waren nicht die Armee des anderen, sondern die Zivilbevölkerung. Als prominentestes Beispiel dafür wird die serbische Belagerung Sarajevos im Langzeitgedächtnis bleiben.
In diesem bleiben auch die medialen Begleitungen der Kriege in Jugoslawien. Mehr als 200 Filme wurden allein bis 2000 über den gewaltsamen Zerfall des Staates gedreht. Öffentliche Anteilnahme zeigten auch Kulturschaffende. Eine zusätzliche Berühmtheit erreichte dabei der österreichische Literat Peter Handke, der sich sozusagen gegen den Strich als Versteher der serbischen Sache zeigte und den Sundhaussen der Blindheit zeiht. Als "wunderliches" Buch bezeichnet er Handkes "Gerechtigkeit für Serbien". Der Gescholtene lag vor allem mit den Medien über Kreuz.
"Ich hätte gern einmal Lust, dass die Kriegsberichterstatter nicht diesseits der Front sind, sondern jenseits der Front. Dass es ein paar Berichte von der serbischen Seite zum Ausgleich auch gäbe. Das hätte ich gerne, das ein paar neutrale Berichterstatter, Journalisten - ich würde gern auch dazu gehören - dahin kämen und Gelegenheit hätten, von der anderen Seite zu berichten."
Peter Handke nach dem Kroatien- und noch vor dem Bosnienkrieg. Er wollte vieles nicht hören und nicht sehen obwohl er doch so sensibel ist, urteilt Sundhaussen. Nicht hören wollte Slobodan Milosevic die Anklageschrift die das Haager Tribunal gegen ihn verfasst hatte. Seine Auslassungen gegenüber dem Gericht gehören zu den letzten Ton-Dokumenten des Mannes, der neben anderen zu den Hauptverantwortlichen gleich mehrerer Kriege zählt.
Milosevic: Ich betrachte diesen Prozess als einen falschen Prozess und die Anklage als eine falsche Anklage. Sie ist illegal.
Richter: Wollen Sie nun die Anklage vorgelesen bekommen oder nicht?
Milosevic: Das ist ihr Problem.
Die Geschichte Serbiens, das war eine Besprechung von Volker Wagener zu dem Band des Historikers Holm Sundhaussen, das Buch ist erschienen im Böhlau-Verlag in Wien, es hat 514 Seiten und kostet 59 Euro.
"Ich werde verlangen, das Bill Clinton, Madeleine Albright, Jaques Chirac, Tony Blair, Gerhard Schröder, Joschka Fischer, Klaus Kinkel, Hubert Vedrine, Robin Cook, Lord Owen, Thorvald Stoltenberg, Jasushi Akashi, Lamberto Dini, Kofi Annan und andere hier vor mir erscheinen und sich von mir befragen lassen."
Die Vorstellungen über Serbien in der Ära Milosevic und danach sind imagebildend in der westlichen Welt. Das Ansehen Serbiens und der Serben ist nach mehreren Kriegen innerhalb des alten Jugoslawien gering, das Wissen um deren geschichtlichen Werdegang allerdings auch. Allein schon diese Bestandsaufnahme macht die Herausgabe des umfangreichen Werkes des Berliner Osteuropa-Historikers so wertvoll. Es gibt eine Vielzahl von Publikationen über Serbien. Die meisten sind in der ersten Hälfte der 1990er Jahre erschienen. Überwiegend Schnellschüsse, hervorgegangen unter dem Druck der Ereignisse, der Kriege in Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina. Nicht alle waren schlecht, der darin präsentierte historische Unterbau zum Verständnis der Aktualität war zumeist begrenzt auf die Tito-Zeit.
Holm Sundhaussen gräbt tiefer. Das 19. Jahrhundert, das, was in der seinerzeitigen Begleitliteratur zur grausamen und irritierenden Aktualität bestenfalls knapp, meistens aber gar nicht dargestellt wurde, nimmt im vorliegenden Werk breiten Raum ein. Sundhaussen spricht vom "langen" 19. Jahrhundert. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Voraussetzungen für flächendeckende Aufstände der Serben gegen die türkische Herrschaft auf dem Balkan gegeben. Es war keine Revolution im Sinne der Zielsetzungen der Französischen Revolution, schreibt Sundhaussen, erst recht keine bürgerliche Revolution, denn weder die Anführer, noch die Gefolgsleute waren Bürger. Vom Charakter her handelte es sich um bäuerliche Rebellionen.
Schon hier wird deutlich, wie verschieden die gesellschaftliche Ausgangsbasis bei den östlichen Serben im Vergleich zu westeuropäischen Gesellschaften war. Analphabetismus war noch ein halbes Jahrhundert nach Beendigung der Befreiungsaufstände ein endemisches Grundübel, konstatiert Sundhaussen. Kennzeichnend für das Serbien des 19. Jahrhunderts ist auch die Technikfeindlichkeit und Globalisierungsangst.
Auf 1000 Quadratkilometer entfielen ganze zwei Kilometer Eisenbahnstrecke. Weniger Kilometer wurden in anderen europäischen Ländern zu diesem Zeitpunkt kaum verlegt. Nur 13 Briefe pro Jahr entfielen auf jeden Serben um 1910. Nur Russland konnte weniger vorweisen. Und mit 1,6 Telefongesprächen pro Einwohner und Jahr fiel Serbien sogar hinter den russischen Standard zurück. Überhaupt: Es mangelte an einem Blick nach vorne. Handwerker lehnten Neuerungen in der Herstellung weitgehend ab, lernen wie bei Sundhaussen. Sie arbeiteten noch vorwiegend mit den Werkzeugen, die ihre Großväter benutzten.
Kurz: In dieser Ausführlichkeit und Verständlichkeit sind Details über die Wirtschafts-, Sozial- und Alltagsgeschichte Serbiens im langen 19. Jahrhundert bestenfalls in schwer zugänglichen Fachpublikationen zu finden.
Der Beschreibung des langen 19. Jahrhunderts folgt die Darstellung des kurzen 20. Jahrhunderts. Den geschichtlichen Weg Serbiens und der Serben im ersten Jugoslawien sieht Sundhaussen als von Anfang an problematisch an. Er fragt:
Handelte es sich um eine `jugoslawische Vereinigung` oder um einen Zusammenschluss mehrerer südslawischer Nationen oder um ein vergrößertes Serbien? Die Antwort auf diese Frage wurde schon dadurch erschwert, dass die Nationsbildungsprozesse bei den im neuen Staat vertretenen Großgruppen unterschiedliche Zielprojektionen und Verläufe aufwiesen. Einer jugoslawischen Vision standen verschiedene serbische, kroatische, slowenische etc. Gemeinschaftskonzepte gegenüber.
Eine integrative Funktion, so der Autor, konnte eigentlich nur vom Begriff des Südslawismus ausgehen, denn die jugo, also südslawische Idee, geht von besonders engen sprachlichen, kulturellen und verwandtschaftlichen Beziehungen aus. Eine sehr theoretische Grundlage für einen Staat, denn wie sich zeigte, ergaben Untersuchungen von Schulbüchern aller jugoslawischen Nationen vor 1914, dass der Begriff des Jugoslawismus vor allem durch Abwesenheit glänzte.
Identitätsstiftender für die südslawischen Nationen war da schon die Erfahrung im Zweiten Weltkrieg. Jugoslawien war das einzige Land unter den neuen "Volksdemokratien" in Ostmittel- und Südosteuropa nach 1945, das sich weitgehend aus eigener Kraft befreit und den Systemwechsel ohne Mitwirkung Stalins beziehungsweise gegen dessen Fahrplan durchgeführt hatte. Mehr noch: Jugoslawien hatte früher als andere begonnen bewaffneten Widerstand zu leisten. Aus einer Volksbefreiungsbewegung wurde recht schnell eine Volksbefreiungsarmee. Umso mehr erschütterten die Vorgänge um den Komintern-Rauschmiss 1948 Teile der jugoslawischen Gesellschaft. Tito reagierte schon einen Tag nach der Ankündigung aus Moskau vor dem Zentralkommitee der KPJ.
"Genossen, dies ist nicht nur ein Angriff auf die Parteiführung, dies ist ein Angriff auf die Einheit unserer Partei. Dies ist ein Angriff auf die mit Blut bezahlte Einheit unserer Völker. Dies ist eine Aufforderung an alle destruktiven Elemente, all das zu zerstören, was wir bisher zum Wohle unserer Völker aufgebaut haben. Dies ist eine Aufforderung zum Bürgerkrieg, eine Aufforderung zur Zerstörung unseres Landes."
Ein selbstbewusster Tito, der von Moskau für seine "Eigenmächtigkeiten" abgestraft wurde. Tausende überzeugte Moskau-Getreue verschwanden für Jahre hinter Gittern oder für immer. Ganz nach stalinistischer Rezeptur.
Die letzten 65 Seiten der Geschichte Serbiens umfassen den Zeitraum von 1987 bis etwa 2004. Es ist die Periode von Slobodan Milosevics ersten politischen Auftritten bis hin zu aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Serben und Albanern um das Amselfeld. Als eine Zäsur in der politischen Laufbahn Milosevics beschreibt Sundhaussen dessen Besuch in der Kosovo-Hauptstadt Pristina am 24. April 1987. Milosevic kam als damaliger serbischer KP-Chef um zwischen aufgebrachten Albanern und Serben zu vermitteln. 15.000 Serben demonstrierten vor dem Haus der Kultur. Sie riefen: "Sie prügeln uns!" Milosevic trat vor die Menge und sagte seinen berühmten Satz: "Niko eine sme da vas bije!" - "Niemand darf euch schlagen!" Zum erstenmal waren damals die Slobo-Slobo-Rufe zu hören. Serbische Analysten, so berichtet Holm Sundhaussen, waren damals überzeugt:
... dass die Episode das politische Agieren des bislang unscheinbaren Funktionärs grundlegend verändert habe: Aus einem vorsichtigen Apparatschik der Tito-Ära, der sich politisch stets bedeckt und weitgehend konform verhalten hatte, war nach dem Bad in der Menge ein 'anderer Mann' geworden, einer, der die Mobilisierungskraft des Nationalismus erkannt und verstanden hatte.
Seit Herbst 1987 setzte sich Milosevic das Ziel, die faktische Gleichberechtigung der Kosovo-Albaner abzuschaffen. Ab da herrschte eine explosive Mischung aus Mythen, Selbstmitleid und Aggressivität unter den Serben. Letzteres machte sich vor allem im Bosnienkrieg bemerkbar. Die Armeen taten einander kaum weh. Keine einzige Schlacht hat stattgefunden, stattdessen Vertreibungen und Massaker. Ziel der Angriffe waren nicht die Armee des anderen, sondern die Zivilbevölkerung. Als prominentestes Beispiel dafür wird die serbische Belagerung Sarajevos im Langzeitgedächtnis bleiben.
In diesem bleiben auch die medialen Begleitungen der Kriege in Jugoslawien. Mehr als 200 Filme wurden allein bis 2000 über den gewaltsamen Zerfall des Staates gedreht. Öffentliche Anteilnahme zeigten auch Kulturschaffende. Eine zusätzliche Berühmtheit erreichte dabei der österreichische Literat Peter Handke, der sich sozusagen gegen den Strich als Versteher der serbischen Sache zeigte und den Sundhaussen der Blindheit zeiht. Als "wunderliches" Buch bezeichnet er Handkes "Gerechtigkeit für Serbien". Der Gescholtene lag vor allem mit den Medien über Kreuz.
"Ich hätte gern einmal Lust, dass die Kriegsberichterstatter nicht diesseits der Front sind, sondern jenseits der Front. Dass es ein paar Berichte von der serbischen Seite zum Ausgleich auch gäbe. Das hätte ich gerne, das ein paar neutrale Berichterstatter, Journalisten - ich würde gern auch dazu gehören - dahin kämen und Gelegenheit hätten, von der anderen Seite zu berichten."
Peter Handke nach dem Kroatien- und noch vor dem Bosnienkrieg. Er wollte vieles nicht hören und nicht sehen obwohl er doch so sensibel ist, urteilt Sundhaussen. Nicht hören wollte Slobodan Milosevic die Anklageschrift die das Haager Tribunal gegen ihn verfasst hatte. Seine Auslassungen gegenüber dem Gericht gehören zu den letzten Ton-Dokumenten des Mannes, der neben anderen zu den Hauptverantwortlichen gleich mehrerer Kriege zählt.
Milosevic: Ich betrachte diesen Prozess als einen falschen Prozess und die Anklage als eine falsche Anklage. Sie ist illegal.
Richter: Wollen Sie nun die Anklage vorgelesen bekommen oder nicht?
Milosevic: Das ist ihr Problem.
Die Geschichte Serbiens, das war eine Besprechung von Volker Wagener zu dem Band des Historikers Holm Sundhaussen, das Buch ist erschienen im Böhlau-Verlag in Wien, es hat 514 Seiten und kostet 59 Euro.