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Nahost-Problem "an der Wurzel angehen"

Nach Ansicht von Karl Kaiser, Politikwissenschaftler an der Harvard Universität, kann Israel die libanesische Hisbollah-Miliz nicht besiegen. Deshalb werde in den USA die Entsendung einer internationalen Truppe in die Region unterstützt. Allerdings müsse durch eine Friedenstruppe nicht nur ein Waffenstillstand sondern eine politische Lösung erreicht werden, so Kaiser.

Moderation: Michael Köhler | 06.08.2006
    Michael Köhler: Die UN-Resolution für den Libanon, sie steht. Frankreich hat im UN-Sicherheitsrat eine Resolution eingebracht, die Israel und die radikal-islamische Hisbollah zur Beendigung ihrer Kämpfe auffordert. Der Text war zuvor in tagelangen Verhandlungen mit den USA abgestimmt worden.

    Ungeachtet der diplomatischen Bemühungen gingen die kriegerischen Auseinandersetzungen indes weiter. Die israelische Luftwaffe bombardierte Brücken in der Nähe der nordlibanesischen Stadt Tripoli. Israel will also, oder ist dabei, eine Sicherheitszone einzurichten, ein Sperrgebiet zur Sicherung des Landes an der Nordgrenze. Dies geschieht, weil sich der jüdische Staat gegen den Raketenbeschuss durch die militante Hisbollah zur Wehr setzt.

    Die internationale Staatengemeinschaft hat sich bislang auf Appelle beschränkt; jetzt ist die Resolution also da. Regierungschef Olmert in Israel wünscht sich eine internationale Friedenstruppe mit deutscher Beteiligung. Das ist umstritten, nicht nur bei der Bundeswehr, sondern auch bei den Parlamentariern und der deutschen Bundesregierung.

    Ich habe darüber gesprochen mit Karl Kaiser. Er war lange Jahre Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, er lehrt jetzt am Weatherhead Center für International and Strategic Affairs an der Harvard Universität in Cambridge, wo auch die John-F.-Kennedy-Government-School ist. Und ich habe ihn gefragt, wie sich das Problem aus amerikanischer Sicht darstellt.

    Karl Kaiser: Die Vereinigten Staaten haben die israelische Forderung bisher unterstützt. Und dafür gibt es auch sehr viel innenpolitische Unterstützung hier in den USA, dass, wenn eine internationale Friedenstruppe kommt, eine größere Lösung erzielt werden muss. Man muss auch sehen, dass hier durch die Reihen der Politiker und strategischen Experten eine erschrockene Realisierung läuft, dass Israel eben nicht mehr der stärkste Staat in der Region ist. Dass die asymmetrische Kriegsführung von Hisbollah offenkundig macht, dass Israel seine Kriegsziele nicht erreichen kann. Denn die vollständige Besiegung von Hisbollah ist nicht möglich, und dies führt zu einer strategischen Veränderung in diesem Raum.

    Um so mehr bemüht sich jetzt die amerikanische Regierung, dass Pflöcke eingezogen werden, um zu verhindern, dass die Hisbollah-Seite am Ende eines solchen Prozesses der Internationalisierung dann doch sehr gut wegkommt. Und von daher gesehen ist die Lage jetzt so, dass von amerikanischer Seite die Idee der internationalen Truppe gestützt wird, aber es gibt eben auch sehr viele Stimmen, die sagen, es kann nicht nur die USA sein. Und gestern kam sogar eine sehr prominente Stimme, nämlich der stellvertretende Generalsekretär der Vereinten Nationen, der sagte, eigentlich können die USA, insbesondere in Kombination mit Großbritannien, nicht die Führungsmacht sein bei dieser Regelung. Und das bedeutet letztlich, dass andere Mächte, insbesondere die Europäer, eine große Rolle spielen müssen, wenn es zu einer solchen Streitmacht kommt.

    Köhler: Ich wollte gerade sagen, das ist vielleicht keine Schwächung, aber eine realistische Einschätzung der Situation. Was erwartet man sich in Amerika von Deutschland, oder von der EU?

    Kaiser: Eine erhebliche, wichtige, aktive Rolle, denn man kann aus amerikanischer Sicht diese Friedenstruppe nicht Staaten überlassen, die sich bisher nicht bewährt haben, oder mit denen die USA nicht alliiert sind. Das ist wohl hier die überwiegende Meinung und das bedeutet, dass, wenn die EU, vielleicht sogar die NATO mit einem Mandat von den Vereinten Nationen - das ist ja möglich - wenn beide also involviert sind, dann bedeutet das, dass dann auch Deutschland aufgerufen ist, sich zu beteiligen. Auch wenn dies augenblicklich politisch und innenpolitisch schwierig sein mag, aber gerade jetzt ist es nötig, dass die Vereinigten Staaten eben nicht allein bleiben und westliche Verbündete dann sich beteiligen.

    Köhler: Wobei Inhalt und Umfang eines solchen Mandats ja noch vollkommen offen ist, und auch der naive Beobachter sieht, die deutsche Bundeswehr ist im Kongo engagiert, ist auf dem Balkan, ist in Afghanistan. Das sind Einsätze von einigen hundert Mann, damit ist es in Nahost nicht getan.

    Kaiser: Die jetzigen Einsätze sind natürlich alle sehr wichtig und unentbehrlich in den jeweiligen Zusammenhängen. Aber eine Beteiligung der Bundeswehr an einer solchen Friedenstruppe ist ebenfalls unentbehrlich. Man kann sich das nicht vorstellen, dass die EU sich beteiligt, oder die NATO, ohne dass die größte konventionelle Streitkraft in Europa, nämlich die deutsche, daran beteiligt ist.

    Köhler: Professor Kaiser, ich frage mal den früheren Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik: Was kann Außenpolitik eigentlich leisten? Denn mit der klassischen Diplomatie kommt man ja an ein Ende, wenn man sieht, dass rein faktisch die Hisbollah eigentlich die Regierung übernommen hat, zumindest das führt, was vom Staat Libanon noch übrig geblieben ist. Die Hoffnung auf eine demokratische Regierung, die einzige in der Region, ist ja mit der Ermordung Hariris auch begraben worden.

    Kaiser: Also die amerikanische Politik steht im Grunde genommen vor einem Scheiterhaufen. Das gilt für die Demokratisierung, sie hat bisher nirgendwo Erfolge gezeitigt. Da wo es demokratische Wahlen gab, im Gazastreifen, wurde Hamas gewählt. Im Libanon ist durch den jetzigen Krieg die Hisbollah die stärkste Kraft geworden. Israel ist reduziert worden in einer Weise, wie sie niemand vorhergesehen hat. Und von daher gesehen ergibt sich eine wirklich neue Lage.

    Die politische Lösung, die jetzt angestrebt werden muss, kann eigentlich nur darin bestehen, dass man eine Lösung findet, bei der Hisbollah eine politische Rolle spielt. Die Entwaffnung ist wahrscheinlich nicht durchsetzbar. Aber ein Kompromiss, wo ein Streifen, also eine Zone im Libanon eingerichtet wird, die dann einen Sicherheitspuffer für Israel bildet. Das kann Außenpolitik erzielen. Aber es wird ein sehr schwieriger Weg werden.

    Köhler: Herr Kaiser, Sie sind tätig am Weatherhead Center für Strategic International Affairs an der Harvard Universität. Wenn Sie so über den Flur gehen, oder mittags mit den Kollegen zusammensitzen, traut man sich auch schon einmal das Ungesagte zu sagen, dass es vielleicht ein Waffengang auf Probe ist, eine Art Stellvertreterkrieg zwischen Amerika und Iran, oder ist das so eine Art Horrorszenario?

    Kaiser: Also hier sieht man in den augenblicklichen Entwicklungen eher die nicht beabsichtigte Nebenwirkung des Irak-Abenteuers, der Bush-Politik, der zufolge jetzt Iran immer mehr die stärkste Macht in der Region wird. Durch die Beseitigung des Irak als Rivale ist Iran sehr stark geworden. Und durch diesen Krieg zusätzlich, ist die zweite schiitische radikale Gruppe, nämlich Hisbollah, praktisch zum Bannerträger des arabischen Nationalismus geworden. Das wird nicht so bleiben, denn die inneren Schwierigkeiten zwischen Sunniten und Schiiten, die werden auch wieder hochkommen. Aber dies hat eben noch einmal zu einer neuen Lage geführt. Und hier in der amerikanischen Community hält man einen Waffengang mit dem Iran vorerst für sehr unwahrscheinlich. Selbst diejenigen, die sehr kritisch gegenüber dem Iran sind, wissen, dass in dem Moment, wo ein Krieg ausbricht mit dem Iran, dann die politische Lösung noch schwieriger wird und die Mullahs ein Ausmaß an Unterstützung gewinnen. Und auch die Sunniten, also beispielsweise der amerikanische Verbündete Saudi-Arabien, würden dann, noch mehr als bisher, in das Lager der anderen Seite getrieben. Und das wollen auch die Konservativen in den USA nicht.

    Köhler: Herr Kaiser, Sie sind an einem Institut tätig, wo auch das John-F.-Kennedy-Institut für Government School beheimatet ist. Ich will auf etwas hinaus: Ist die Position des amerikanischen Präsidenten in Amerika selber unumstritten? Der nämlich sagt, ein Ende der Gewalt um des Endes willen alleine, bringe nichts. Stehen da alle dahinter?

    Kaiser: Also diese Position hat große Unterstützung. Selbst unter den Liberalen, wobei man sich jetzt darüber streitet, ob man einen Waffenstillstand haben kann und dann anschließend die politische Lösung, oder ob man erst die politische Lösung haben muss, bevor überhaupt ein Waffenstillstand zustande kommt. Aber diese Position hat Unterstützung, weil gerade dieser Krieg, der jetzt läuft, zeigt, dass, wenn nicht eine umfassendere Lösung gefunden wird, mit einem erneuten Waffengang in der Zukunft zu rechnen ist. Denn Hisbollah ist ein Zwischending zwischen einer Guerilla-Kampftruppe und einer klassischen Armee, bestens ausgerüstet, und mit einem Ausmaß an Raketen, die von Iran finanziert worden sind, das einen erneuten Krieg möglich macht. Und von daher gesehen hat man hier sehr viel Verständnis unter den strategischen Experten, für den Versuch, auch nun wirklich das Problem an der Wurzel anzugehen. Also Bush steht da insofern nicht allein, aber dennoch, jeder sieht auch, dass das Debakel der Außenpolitik Bush offenkundig wird. Und die Anhörung vor wenigen Tagen im amerikanischen Senat, wonach selbst jetzt die führenden Militärs der USA zugeben, dass der Irak immer mehr in einen Bürgerkrieg hineinschlittert, zeigen, dass auch in den USA die Stimmung umschlägt.

    Köhler: In Erinnerung - und damit meine letzte Frage - ist ja die Unterscheidung von Verteidigungsminister Rumsfeld in Alt- und Neu-Europa, womit er sich nicht Freunde unbedingt gemacht hat. Gleichwohl, wäre das jetzt eine Chance und Gelegenheit für Europa, zumindest auf dem diplomatischen Parkett zu zeigen, dass sie dann doch etwas mehr können, als nur zögerlich Appelle zu verfassen?

    Kaiser: Also die amerikanische Politik ist mittlerweile, nach einer Phase des Unilateralismus, zu der Einsicht gelangt, dass man die europäischen Verbündeten braucht. Das zeigt sich in der Kooperation mit den Europäern in der Iran-Frage. Jetzt, in der Frage des Nahen Ostens, und einer umfassenderen Lösung zum Libanon und zum Konflikt zwischen Israel und den arabischen Staaten, ist das noch offenkundiger: Eine Lösung ist völlig undenkbar ohne den Beitrag der Europäer und natürlich letztlich auch die Zustimmung Russlands und Chinas im Sicherheitsrat. Aber der faktische, materielle Beitrag der EU ist ganz entscheidend. Und das wird immer mehr auch in Washington gesehen. Insofern ist dies auch eine Herausforderung an die Europäische Union, auch an die deutsche Politik, denn Deutschland identifiziert sich insbesondere mit der Sicherheit Israels. Und wenn sogar der israelische Premier sagt, dass ein Beitrag Deutschlands wünschenswert ist, dann kann eigentlich die deutsche Politik daran nicht vorbeigehen.

    Köhler: Karl Kaiser, Politikwissenschaftler an der Harvard Universität im amerikanischen Cambridge an der Ostküste - er war tätig bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik - zu den Möglichkeiten und Grenzen von Außenpolitik.