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Nahost-Studien

An der Martin-Luther-Universität in Halle wird ab dem kommenden Wintersemester ein neuer Bachelor-Studiengang namens Nahost-Studien angeboten, der erstmals Islamwissenschaften und Judaistik miteinander verknüpfen wird. Damit sollen die Studenten sowohl die arabische als auch die israelische Sicht der Region begreifen lernen.

Von Eva-Maria Götz |
    Die Länder des Nahen Ostens kommen nicht aus den täglichen Schlagzeilen. Seit Jahrzehnten ist ihr Alltag geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen und dem Hoffen auf einen dauerhaften Frieden. Zumindest ist dies das Bild, dass sich in Europa vermittelt. Der neue Studiengang in Halle will sich nun mit der Geschichte der Region intensiv auseinandersetzen.

    "Der Inhalt ist neben den aktuellen Entwicklungen vor allem der historische Hintergrund, also die Entwicklung des Konflikts für die letzten 200 Jahre etwa, so dass wir also grade dem ausweichen wollen, der Aktualität hinterherzulaufen und auf jede neue Entwicklung neu reagieren zu müssen. Das kann man auch gar nicht in einem Studiengang. Wir gehen also in die historische Tiefe, wir behalten unseren Schwerpunkt in historisch- philologischer Ausrichtung und machen die Nah- Ost-Studien nicht zu einem solchen Schwerpunkt, dass wir hier Politikberatung machen,"
    sagt Professor Jürgen Paul, der Leiter des Instituts für Islamwissenschaften an der Universität Halle:

    "Die Grundidee ist, dass die Studierenden sowohl arabisch als auch hebräisch lernen, also mit beiden Perspektiven, sowohl der arabischen als auch der isrealischen dann vertraut werden durch Originaltexte."
    In Halle will man künftig Nah-Ost-Experten ausbilden. Der Erwerb der beiden so unterschiedlichen Sprachen bildet den Schwerpunkt des Studiums, das Beherrschen der englischen und mindestens einer weiteren modernen Fremdsprache wird vorausgesetzt, die Studierenden sollen sich in den Ländern des Nahen Ostens ohne Übersetzer bewegen, Recherchen und Analysen durchführen und Quellentexte selbständig interpretieren können. Dem Vorwurf, mit ihrem neuen Studienangebot auf die aktuelle politische Situation im Nahen Osten schnell und vielleicht ein wenig populärwissenschaftlich zu reagieren, will man sich in Halle erst gar nicht aussetzen. Im Gegenteil: Es ist eher die bis ins 19. Jahrhundert reichende Tradition des Instituts, auf die man sich hier besinnt:

    "Die Deutsche Morgenländische Gesellschaft, der maßgebliche Fachverband in dieser Fächergruppe ist Mitte des 19. Jahrhunderts hier gegründet worden in Halle und Leipzig, also wir sind hier mit tiefen historischen Wurzeln, was dieses Fach betrifft, und Kollege Veltri hat natürlich recht, dass zu Anfang diese Spezialisierung gar nicht bestand, sondern dass es vollkommen selbstverständlich war für einen Arabisten über das Hebräisch zu kommen, kaum ein Arabist konnte kein hebräisch,"

    meint Jürgen Paul. Kollege Guiseppe Veltri aus Italien leitet die Anfang der 90er Jahre wiedergründete Abteilung für jüdische Studien. Auch er konnte damit an eine lange Tradition wieder anknüpfen.

    "Die Universität Halle hat zwischen 1820 und 1890 mehr als 120 Rabbiner ausgebildet und deswegen wir blicken auf eine wunderbare Zusammenarbeit, die schon im 19. Jahrhundert zu verfolgen ist. Also Halle blickt auch auf eine historische Verantwortung zurück."
    Die Texte, auf die man sich in Halle bezieht, reichen bis in die Anfangszeiten der Religionen- die Konflikte sind sich oft gleich geblieben.

    "Wenn man zum Beispiel den Korankommentar als Textgattung nimmt, da kann man Aussagen zur jüdischen Religion und zu "den Juden" als Vorgängerreligion des Islam finden, die heute in Freitagspredigten vorkommen bei israelfeindlichen und antisemitischen Predigern. Das gibt es durchaus, man hat also in der islamischen Kultur eine Möglichkeit, die uns fremd geworden ist, direkt in das alte Schrifttum zurückzugreifen, und es in einen anderen Kontext zu stellen. Das wird dann natürlich aus dem Zusammenhang gerissen und diesen Zusammenhang zeigen wir dann den Studierenden, aber so etwas kommt vor und man ist im Grunde hilflos bei solchen Konflikten, wenn man solche Texte aus der Frühzeit des Islam nicht kennt."

    Veltri: "Zunächst mal muss man eine Idee, was die jüdische Religion auch ist, also von Alte Testament über die ersten Jahrhundert bis heute, das die Diaspora eine große Rolle spielt: Dass die Juden in arabische Länder gelebt haben ist nicht das erste Mal, dass das passiert, und auch Zusammenarbeit, was Philosophie betrifft, was Religion betrifft, was Kultur, was Medizin betrifft, das muss schon wissen."
    Für Guiseppe Veltri ist das die Kulturen verbindende Potential von Forschung und Lehre ein ganz wesentlicher Aspekt. Denn auch dies war immer ein besonderes Merkmal des Hallenser Instituts bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und schloss und schließt bis heute die Zusammenarbeit mit dem Institut für den Christlichen Orient mit ein.
    Wir vermissen in der Islamwissenschaft natürlich den jüdischen Blick auf den Islam, seit der Shoah gibt's das nicht mehr. Wir haben diese Beiträge aus jüdischer Sicht sehr stark gehabt in Deutschland und Kollege Veltri hat Recht, wenn er sagt, das die Arabistik in Deutschland nicht so geworden wäre wie sie ist ohne die jüdische Sicht. Das fehlt sehr schmerzlich, zum Beispiel, das man den Vergleich nicht macht zwischen Islam und Christentum, sondern zwischen Islam und Judentum. Grade Abraham Geiger mit seiner Schrift: "Was hat Mohammed aus dem Judenthume übernommen", einer der ersten islamwissenschaftlichen Texte überhaupt in deutscher Sprache, da beginnt das schon und Halle kann sich rühmen, da auch eine bestimmte Rolle übernommen zu haben in diesem Prozess.
    Drei Jahre dauert der neue Studiengang, der auch Praktika in Israel und in arabischen Ländern vorsieht. Dann rechnen die Professoren Veltri und Paul mit einer starken Nachfrage ihrer Absolventen aus den Berufsfeldern Medien oder Tourismus, Politikberatung, Sicherheitspolitik oder aus Nicht- Regierungs- Organisationen. Auf jeden Fall wird von ihnen erwartet werden, dass sie sich nicht nur in islamischer und jüdischer Religion und Geschichte auskennen, sondern auch zu einer Art Terrorismus- Experten geworden sind. Eine Hypothek, die wie Jürgen Paul sagt, inzwischen die Islamwissenschaften allgemein überschatten:

    "Es gibt in der Öffentlichkeit die Erwartung, dass wir das erklären können sollten müssten. Das können wir aber nicht, jedenfalls nicht allein. Zusammen mit anderen könnten wir ein paar Ideen entwickeln, so etwas dann in den historischen Zusammenhang zu stellen, für alle, die das dann für eine Erklärung halten, mag es denn eine sein. Aber die Islamwissenschaft alleine mag da wenig bewirken, weil eben der Terror nicht linear aus dem Islam zu erklären geht."

    Dann aber ist es so, dass bei den Studenten auch die Erwartung ist, wie der Dschihad eigentlich funktioniert, um zu begreifen, wie man zu dieser Lehre kommt, was das im Kontext des Islam in der Frühzeit bedeutet, und wie sich das entwickelt hat. Solche Sachen machen wir natürlich, das haben wir aber immer gemacht. Das ist aber nicht neu, weil ja auch die politische Militanz bei Muslimen nicht erst mit dem Beginn dieses Jahrtausends anfängt.