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Nahrung sei deine Medizin

Bier trinken gegen das Alter, Margarine zum Schutz vor Herzinfarkt; mit solchen Versprechen werben Lebensmittelhersteller für eine neue Art von Produkten: Produkte, die bioaktive Pflanzenstoffe enthalten. Pflanzen schützen sich mit diesen Substanzen vor schädlichen Umwelteinflüssen, etwa vor UV-Strahlung, Kälte, Trockenheit oder Parasiten.

Von William Vorsatz | 13.05.2007
    Gleich neben dem Kloster von Neuzelle liegt die alte Brauerei. Hier wird immer noch nach traditionellen Rezepten gebraut, wie in alten Zeiten. Doch dann passiert es - kurz bevor das Bier in die Flaschen kommt.

    " Das ist jetzt die Anlage, wo wir unsere ganzen Rezepturen mit beimischen, wir haben den Grundstoff Bier, und dort geben wir unsere ganzen gesunden Produkte noch mit hinzu. Eigentlich ganz einfach, nur man muss wissen wie. "

    Aus dem Traditionsgebräu wird ein - "Anti-Aging-Bier". Bestimmte Pflanzenextrakte sorgen angeblich dafür, dass die Trinker langsamer altern.

    Mit ihrem so genannten "Anti-Aging-Bier" liegt die Neuzeller Klosterbrauerei voll im Trend. Nahrung soll nicht mehr nur satt machen, sondern auch jung, schön und fit. Dabei setzen die Produzenten mehr und mehr auf bioaktive Pflanzenstoffe. Diese Substanzen prägen Farbe und Geschmack der Pflanzen und sind unverzichtbar für ihr Überleben. Über die Nahrung aufgenommen, können sie aber auch den Menschen vor zahlreichen Krankheiten und raschem Altern schützen.

    : Bioaktive Pflanzenstoffe gegen Krebs? Gegen Infektionen? Gegen Thrombosen? Gegen hohen Blutzucker? Gegen Bluthochdruck? Gegen zuviel Cholesterin? Gegen Knochenschwund? Gegen Falten?

    "Nahrungsmittel seien eure Heilmittel und Heilmittel seien eure Nahrungsmittel."

    Das forderte schon der griechische Arzt Hippokrates, vor mehr als 2.000 Jahren. Die Worte bekommen heute, angesichts der aktuellen Entwicklungen, eine ganz neue Bedeutung. Es gibt wahrscheinlich bis zu hunderttausend verschiedene bioaktive Pflanzenstoffe. Davon sind erst fünf Prozent genauer erforscht. Immer mehr werden allerdings aus den Pflanzen isoliert und als Extrakte angeboten. In Apotheken, Drogerien und im Internet wächst die Zahl der Präparate. Und auch die Lebensmittelhersteller rüsten auf und haben angefangen, ihren Produkten bioaktive Pflanzenstoffe beizumischen. Ob beim Bier oder Brot, bei Maultaschen oder Margarine.

    Der Naturpark Westhavelland: Wiesen und Äcker, soweit das Auge reicht. Udo Schäfer ist Mitte 40, schlank und hat ein wettergegerbtes Gesicht. Aufmerksam streift der Gärtnermeister durch die Felder seiner "Kreuterey". Rund 200 Sorten verschiedener Heil- und Gewürzpflanzen hat er hier angebaut. Und die duften. So intensiv, dass dem Besucher fast schwindelig wird. Doch die Idylle trügt:


    " Jede Pflanze hat an ihrem natürlichen Standort mit ganz verschiedenen Problemen zu kämpfen. Also das heißt, sie muss sich schützen vor Fraßfeinden, sie muss sich schützen vor Verdunstung, sie muss sich schützen vor Wind, vor Wetter, vor Frost, vor Hitze, also alle Wetterunbilden, damit muss sie zurechtkommen. Und deswegen baut jede Pflanze Schutzmechanismen auf. "

    Dazu gehört auch ein riesiges Arsenal an chemischen Kampfstoffen. Schäfer kennt sich da aus. Immerhin ist er gelernter Chemielaborant. Mit einem Hauch von Bewunderung zeigt er auf den Knoblauch. Der hat einen besonders hohen Gehalt an Schwefelverbindungen, um sich zu verteidigen:

    " Ja gegen Fraßfeinde. Ganz deutlich gegen Fraßfeinde. Gerade diese Pflanzen mit so hohen Gehalten an wirksamen Inhaltsstoffen werden kaum von Schädlingen befallen. Das ist ja eigentlich der Grund. Der Mensch hat entdeckt, dass diese bestimmten Pflanzen ihm gut tun, bzw. hat entdeckt: warum werden diese Pflanzen nicht von Schädlingen befallen. Und hat sich diese Pflanzen dann auch zu Nutze gemacht, weil, wenn die Pflanze sich selber schützt, dann hat sie also Inhaltsstoffe, ne kleine Apotheke produziert ja jede Pflanze, um sich gegen Witterungseinflüsse und gegen Schädlinge zu schützen, und dass nimmt der Mensch mit der Ernährung dann ja zu sich. "


    So wie die Pflanze nutzt auch der menschliche Körper die Sulfide des Knoblauchs, um damit krankmachende Bakterien und Mikroorganismen abzutöten. Bis zur breiten Einführung der Antibiotika in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts war Knoblauchsaft eine weit verbreitete Medizin gegen bakterielle Krankheiten. Und auch zur äußeren Anwendung wurde er häufig verschrieben: etwa gegen Fußpilz. Andere bioaktive Stoffe wiederum schützen die Pflanzen gegen Witterungseinflüsse wie extreme Temperaturen, Wind oder Sonne. Auch sie gelangen mit dem Essen in den menschlichen Organismus und wirken dort weiter. Etwa unter der Haut. Dies wird in Berlin erforscht, an der Charité:

    " Ja, hier bitte Platz nehmen. Wir messen am Handballen unten. "

    Professor Jürgen Lademann ist Dermatologe. Was ihn interessiert: Ob Obst und Gemüse den Alterungsprozess der Haut aufhalten können. Mit einem neu entwickelten Messgerät kann er einen Viertelmillimeter tief unter die Hautoberfläche sehen, ohne sie zu verletzten. Dazu scannt er sie einfach mit einem Laserstrahl ab, ähnlich wie die Kassiererin im Supermarkt die Preiscodes.
    " Innerhalb von Millisekunden haben wir Ihre Werte hier auf dem Bildschirm, und wenn ich die mir anschaue, dann ist interessanterweise zu sehen, dass ihre Konzentration an Lykopin deutlich erhöht ist gegenüber dem Betakarotin, d.h. sie haben in den letzten Tagen bestimmt Tomaten, Melone oder Paprika gegessen. "

    Lademann hat recht. Sein Laser erkennt die gelben und roten Farbstoffe unter der Haut und verrät dadurch einiges über den Speiseplan der vergangenen Tage. Seine Projektgruppe hatte zuvor hunderte Probanden gemessen. Dabei fiel auf: Jene Versuchspersonen, die sich überwiegend oder ausschließlich vegetarisch ernährten und hohe Werte an bioaktiven Pflanzenstoffen in der Haut hatten, sahen jünger aus. Ihre Haut war glatter. Doch das war ja erstmal nur der subjektive Eindruck. Konnten die Farbstoffe ein Viertelmillimeter unter der Hautoberfläche wirklich die Hautalterung aufhalten? Dies sollte nun eine weitere wissenschaftliche Studie klären. Dazu untersuchte das Team Probanden im Alter zwischen 40 und 50, alle schon mit ersten Falten im Gesicht. Die Wissenschaftler verglichen radikale Junkfood-Konsumenten mit Vegetariern. Die Pflanzen-Esser hatten bis zu viermal so viele pflanzliche Farbstoffe unter der Haut wie die Junkfood-Fraktion.

    " Wir haben hier eine Kopfstütze, wo Sie bitte Ihren Kopf direkt fixieren, das ist deshalb notwendig, damit wir immer die gleiche Position bei allen Probanden messen können. Wir messen die Augenfalte bzw. die Stirn. In Ihrem Fall die Stirn jetzt hier. Ein lichtexponiertes Hautareal, sie sehen, dass mehrere Lichtstreifen sich auf ihrer Stirn herausbilden, diese Streifen werden von dem Gerät wieder erkannt, und geben Informationen über die Furchendichte und Furchentiefe. "

    Die Ergebnisse der Studie sind eindeutig. Die bioaktiven Substanzen bewirken bei den Pflanzenkost-Anhängern tatsächlich erkennbar glattere Haut. Aber warum? Immer, wenn wir Nahrung in körpereigene Stoffe umbauen, werden dabei auch freie Radikale gebildet. Das sind Moleküle, die zwar grundsätzlich notwendig sind, weil sie Signale übertragen. Diese Radikale reagieren jedoch gern mit anderen Elementen im Körper und schädigen das Gewebe dadurch. Bestimmte Faktoren führen zu einer besonders hohen Konzentration von freien Radikalen. Rauchen, Medikamente und gebratenes Fleisch beispielsweise. Dann greifen diese freien Radikale körpereigene Zellen an und zerstören Moleküle. Das Gewebe altert schneller. Möglicherweise entsteht sogar Krebs. Dagegen schützt sich der Körper mit so genannten Antioxidantien. Die kann er aber nur in geringem Maß selbst bilden. Er bezieht sie hauptsächlich aus der Pflanzennahrung, erklärt Jürgen Lademann:

    " Die Pflanzen haben ja Antioxidantien in ihren Früchten, aber auch in ihren Blättern, um sich selbst zu schützen. Und es ist interessant, dass speziell die Pflanzen, die unter extremen Witterungsbedingungen existieren müssen, sei es also Frost, sei es extreme UV-Strahlung, seien es große Witterungsschwankungen, dass die einen besonders hohen Gehalt an Antioxidantien, und zwar speziell in ihrer Schale haben. Und hier haben wir wieder die Analogie zum Menschen. Auch in unserer Haut ist die Konzentration der Antioxidantien besonders hoch. Und zwar deshalb, weil sie sich natürlich auch genau wie die Pflanze gegenüber Umwelteinflüssen zur Wehr setzen muss. "

    Der gelegentliche Verzehr von Obst und Gemüse ist allerdings noch kein Garant für jugendliches Aussehen. Abgase, Stress oder Schlaflosigkeit können die antioxidative Abwehr schon nach wenigen Stunden aushebeln.
    Im Havelland bei Gärtnermeister Udo Schäfer ist diese Gefahr allerdings gering. Hier ist es ruhig und die Luft sauber:

    " Hier habe ich ein Rosmarin, das ist eine neuere Sorte, der nennt sich "Barbecue", der sieht zwar schön aus, schön grün, macht auch große Stiele, aber wenn man dran riecht hier, der hat also wenig, ganz wenig ätherische Öle. Die gezüchteten Sorten, die sollen schön aussehen, die sollen einen großen Ertrag bringen, aber die Wildarten, die haben noch die ursprüngliche Zusammensetzung an Wirkstoffen in sich drin. 29 s Hier fällt auch mal einer aus, oder es gibt welche, die breitere Blätter haben, und schmalere Blätter haben, aber vom Wirkstoffgehalt ist dieser Rosmarin viel, viel besser. "

    Ursprüngliche Brokkolisorten haben gegenüber neuen Züchtungen bis zu zehnmal mehr Glycosinolate. Das sind schwefelhaltige Zuckerverbindungen. Dadurch schmecken die alten Sorten zwar etwas bitter. Umfangreiche epidemiologische Studien legen aber nahe, dass sie besonders das Risiko von Blasen- und Dickdarmkrebs verringern. Alte Apfelsorten haben es ebenfalls in sich. Ihre bioaktiven Pflanzenstoffe sollen Ablagerungen in den Blutgefäßen vermindern und damit der Arteriosklerose vorbeugen, sagt Bernhard Watzl, Leiter des Bundesinstituts für Ernährungsforschung und Lebensmittel in Karlsruhe:

    " Das, was wir heute an Konsumäpfeln haben, die modernen Sorten, die sind primär nur noch auf Süßigkeit und auf Säure gezüchtet, und haben einen ganz geringen, einen wesentlich geringeren Gehalt an diesen Flavonoiden und Polyphenolen. Und daraus könnten sie zum Beispiel auch kaum noch einen schmackhaften Apfelsaft oder Apfelwein herstellen. "

    Mitarbeiterin Corinna Rüfer sucht gezielt nach bestimmten bioaktiven Substanzen im Obst und Gemüse. Etwa nach Carotinoiden. Dazu zerkleinert sie Möhren:
    " Also das ist eine extrahierte Karotte, man sieht das an der gelb-orangenen Färbung, wie die Karotte auch selber aussieht, da sind quantitativ alle Carotinoide extrahiert worden, anschließend nimmt man das in Fließmittel auf, und analysiert es mit der HPLC. "

    HPLC bedeutet Hochleistungsflüssigkeits-Chromatographie. Das Gerät trennt Gemische auf und zeigt die Konzentration einzelner Substanzen. Momentan vergleichen die Wissenschaftler, wie viele Carotinoide in konventionell angebauten Karotten enthalten sind und wie viele im Vergleich dazu in ökologisch aufgezogenen. Die Öko-Karotten schneiden etwas besser ab. Entscheidend ist jedoch der Standort der Pflanzen. Von Ort zu Ort sind die Carotinoidunterschiede viel größer als generell zwischen konventionellen und ökologischen Möhren. Wie viel der Standort ausmacht, das weiß auch Udo Schäfer, der Kräutergärtner im brandenburgischen Havelland:

    " Ich hab am Anfang, als wir hier her kamen, diese windexponierte Lage verflucht. Weil mir ständig die Töpfe umkippen. Mittlerweile merke ich, dass der Wind ganz, ganz wichtig ist, weil er viel Wasser verdunstet und die Pflanzen immer hin und her schüttelt, und die Pflanzen müssen sich auch wieder vor Verdunstung schützen und erzeugen wieder mehr an ätherischen Ölen, um das auszugleichen. Das merk ich einfach an den Pflanzen, weil, die Pflanzen, die von draußen kommen, haben ein ganz anderes Aroma als die, die aus dem Folienzelt kommen, die windgeschützt stehen. 28 s Klar fallen die Pflanzen mal um, bei dem Wind hier, aber der Wind, die Luftveränderung, die hohe Sonneneinstrahlung, die UV-Intensität, ist maßgeblich für die Wirkstoffbildung verantwortlich. "

    Das Campusgelände Buch im Nordosten von Berlin ist weitläufig. Hier befinden sich Biotech-Unternehmen, Kliniken und Forschungsinstitute. So auch das Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin. Als Dagmar Ehrenhoefer dort vor ein paar Jahren mit ihren Forschungen zu Nervenkrankheiten begann, hatte sie von ihren Vorgängern eine Liste bekommen: mit besonders interessanten Pflanzenstoffen, die vielleicht heilen könnten. Darunter war auch eine Substanz mit dem Namen Epigallocatechingallat, kurz EGCG. Hierbei handelt es sich um einen Gerbstoff, der in Grünem Tee vorkommt. Ehrenhoefer testete dieses EGCG auch gegen Chorea Huntington. Das ist eine unaufhaltsam fortschreitende Nervenkrankheit. Zunächst haben die Betroffenen keine Kontrolle mehr über ihre Bewegungen und schneiden unfreiwillig Grimassen. Daher wurde Chorea Huntington früher auch Veitstanz genannt. Langsam gehen die Gehirnareale für Bewegungen, Gefühle und Gedächtnis zu Grunde. Die Krankheit endet tödlich. Schuld daran sind schwer lösliche Eiweißablagerungen in den Zellen. Und genau gegen die hilft EGCG. Zumindest bei Zellkulturen:

    " Es kam im Prinzip der Effekt, dass wir erstmal sahen, die Aggregate sind weg. Das ist schon sehr erstaunlich, weil, diese Aggregate sind sehr stabil. Also die kann man kochen, die kann man mit Enzymen behandeln, die lassen sich nicht so einfach klein kriegen, und es ist schon erstaunlich, dass so eine Substanz, die von einer Pflanze produziert wird, das dann schafft, die Bildung von diesen Klumpen wirklich zu verhindern. "

    Ehrenhoefers Team hat das Experiment viele Male wiederholt und die Bedingungen variiert. Das Ergebnis blieb gleich. Dann wollten die Forscher wissen, wann und wie die Teesubstanz verhindert, dass sich die Eiweiße in den Nervenzellen verklumpen: Offenbar sehr früh, gleich am Anfang der Klumpenbildung. So verhindert EGCG schon die ersten falschen Faltungen der Proteine, bei denen ansonsten Ansammlungen entstehen, um die herum sich später immer größere Klumpen anlagern. Aber nicht nur das. Ein Blick durch das Mikroskop verrät noch mehr:

    " Was man hier so ein bisschen sieht, sind zwar immer noch dicke Klumpen, aber hier sehen Sie zum Beispiel, da wird so ein dicker Klotz aufgelöst in mehrere kleine, d. h., das Protein wird löslicher. Es klumpt nicht mehr zusammen, sondern es verteilt sich gleichmäßig in der Zelle, und das ist dann eigentlich der Zustand, den wir erreichen wollen. "

    Dann sterben die Nervenzellen nämlich nicht mehr ab. EGCG könnte in neuen Medikamenten gegen Chorea Huntington eingesetzt werden. Allerdings müssen vorher noch einige wichtige Fragen geklärt werden. Beispielsweise, wie die Substanz am besten in möglichst hoher Konzentration an der Blut-Hirnschranke vorbei direkt zu den kranken Nervenzellen im Gehirn gelangen kann. Teekonsumenten muss Ehrenhoefer daher enttäuschen. Denn Teetrinken allein reicht nicht:

    " Wenn man Grünen Tee trinkt, landet der Tee ja erstmal im Verdauungstrakt, die Substanzen werden dann über den Darm aufgenommen, und der Weg bis zum Gehirn ist ein langer. Und ich glaube jetzt nicht, dass nur durch den Konsum von Grünem Tee man Chorea Huntington verhindern kann. "

    Zurück ins Havelland, in den kleinen Ort Wolsier. Hier wohnen die Schäfers, gleich neben ihrer "Kreuterey". In einem umgebauten Stall. Die neu eingezogenen Zwischenwände sind wie in alter Zeit mit Lehm verputzt. Sie verbreiten ein angenehmes Raumklima, auch im weitläufigen Wohnzimmer. Dort sitzt die Familie zum Mittagessen an einem alten Holztisch. Mutter, Vater, und der vierjährige Sohn. Es gibt vor allem pflanzliches aus eigener Zucht. Gerade geerntet und frisch auf den Tisch.

    " So, na komm, kannst du dir auch ein paar blaue Kartoffeln nehmen. "

    Die Schäfers ernähren sich überwiegend pflanzlich. Niemand in der Familie hat Probleme mit Cholesterin. Statistisch gesehen sind sie damit eine positive Ausnahme. Dreiviertel aller Deutschen haben zu hohe Cholesterinwerte. Sie essen zu viel tierisches Fett. Die Folge: ihre Arterien verkalken, es kann zum Herzinfarkt kommen. Eine neuartige Diätmargarine soll davor schützen. Durch Phytostyrole. Diese bioaktiven Stoffe aus pflanzlichem Fett blockieren die Aufnahme des schädlichen LDL-Cholesterins bei der Verdauung. Natürliche Nahrungsmittel wie beispielsweise Brokkoli enthalten ebenfalls Phytosterole, die Konzentration ist allerdings gering. Daher kommt es kaum zur Cholesterinsenkung. Anders bei "Becel activ-pro", einer neuartigen Margarine des Nahrungsmittelherstellers Unilever. Die wirkt tatsächlich, bestätigt der Ernährungsmediziner Rolf Großklaus vom Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin. Manchmal sogar mehr als gewollt:

    " Das BfR hat hier umfangreiche Risikoabschätzungen durchgeführt, das heißt, dass eine optimale Wirkung schon mit 1,5 Gramm Tagesverzehr erreicht wird, und auch gesagt wurde, dass man insgesamt nicht mehr als drei Gramm aufnehmen sollte, weil dann auch Nebenwirkungen zu erwarten sind. Dass dann bestimmte fettlösliche Vitamine, Beta-Carotin, entsprechend nicht resorbiert werden, und insofern ist es auch nicht sinnvoll, wenn man sozusagen unkontrolliert aus verschiedenen Lebensmitteln über drei Gramm hinaus aufnimmt, dann würde der Verbraucher sich nicht unbedingt etwas Gutes antun. "

    Die maximalen drei Gramm an Phytosterolen entsprechen etwa so viel Margarine, wie auf sechs Scheiben Brot geht. Solange es bei dem Streichfett bleibt, ist kaum jemand gefährdet. Denn wer isst schon töpfeweise Margarine? Anders wäre es, wenn bald weitere Cholesterin blockierende Nahrungsmittel dazu kämen. Deshalb empfehlen die Risikobewerter, EU-weit maximal fünf neue Produkte zuzulassen, die mit Phytosterolen angereichert sind.

    " Denn Grundsätzlich vertreten wir die Auffassung, dass, wenn solche Stoffe isoliert werden, und in Mengen verzehrt werden, die über die üblichen Verzehrsmengen, von Obst und Gemüse hinausgehen, besteht keine Sicherheit, dass diese Stoffe unbedenklich sind. "

    Wer sich vorn herein bewusst ernährt und wenig schädliches LDL-Cholesterin zu sich nimmt, braucht allerdings auch keinen Cholesterinblocker. Wie wäre es mit Tofu statt Fleisch? Garantiert ohne tierisches Fett. Und reich an pflanzlichen Eiweißen.

    Aber Sojabohnen bewirken noch mehr. Sie haben einen hohen Anteil an ganz bestimmten bioaktiven Substanzen, den so genannten Isoflavonen. Weil diese Isoflavone ähnlich wie Östrogene wirken, werden sie auch als Phytoöstrogene bezeichnet. Sie docken im Körper an die gleichen Rezeptoren an wie die körpereigenen weiblichen Geschlechtshormone. Deshalb sollen sie beispielsweise für Frauen in den Wechseljahren gut sein. An der Potsdamer Universität analysiert Professorin Sabine Kulling Nahrungsergänzungs-mittel mit Isoflavonen und untersucht ihre Wirkung. Die Präparate werden von den Herstellern als natürliche, ungefährliche Alternativen zu den umstrittenen Hormonersatz-Therapien angepriesen:

    " Es ist bisher wissenschaftlich nicht bewiesen, dass diese Präparate überhaupt gegen Wechseljahre-Beschwerden helfen, und dann, ein ganz wichtiger Punkt ist, dass all diese Präparate, die Sie hier sehen, sind Nahrungsergänzungsmittel, also keine Arzneimittel, und von daher kann jeder Hersteller so ein bisschen machen, was er möchte. Und die Präparate sind sehr, sehr unterschiedlich. Also die empfohlene Dosis von den Herstellern reicht von 12, 13 Milligramm pro Tag bis zu 150 Milligramm an Isoflavonen. "

    Der Begriff "Isoflavone" steht für eine Vielzahl von chemischen Verbindungen. Selbst kleine Variationen an den Molekülen sorgen dafür, dass diese Substanzen ganz unterschiedlich wirken. Viele Isoflavone sind aber noch nicht untersucht und niemand weiß, wie der menschliche Körper darauf reagiert. Und ob er sie überhaupt aufnimmt.

    " Ja, wir stehen hier vor unserem Brutschrank im Zellkulturlabor, und was Sie hier sehen können, sind Zellkulturflaschen mit Modellzellen, verhalten sich in etwa wie unsere Dünndarm-Epithelzellen, und wir schauen uns dann an, welcher Anteil der Isoflavone von den Zellen aufgenommen wurde. "

    Wenn zu viele dieser pflanzlichen Östrogene in den Körper gelangen, müssen Frauen in den Wechseljahren mit genau demselben Risiko rechnen, wie bei einer herkömmlichen Hormonersatztherapie: mehr Brustkrebs. Dann passiert also genau das Gegenteil von dem, was beispielsweise die US-amerikanische Werbung verspricht: Die bioaktiven Substanzen der Sojabohnen könnten gegen Krebs schützen:

    " This is Kim Galeaz. Medical research has determined that foods rich in fiber, low in fat and high in phytochemicals may help reduce your risk of developing certain cancers. So it makes sense to add nutrient-dense soyfoods to your diet every day. "

    Täglich mehr davon, rät der Werbespot des Indiana Soybean Board, einer Vereinigung von Soja-Produzenten. Die Vereinigten Staaten produzieren viel Soja. Die Hersteller verdienen gut daran und investieren massiv in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung. Vor Muttermilch dagegen wird häufig gewarnt, weil Kleinkinder mit dem Stillen auch die Umweltgifte aufnehmen könnten. Ein großer Teil amerikanischer Säuglinge bekommt daher Soja- statt Muttermilch. Die Potsdamer Ernährungsforscherin Kulling kann davor nur warnen:

    " Bisher haben wir, muss ich sagen, eigentlich das größte Humanexperiment, denke ich, in der Geschichte in den USA laufen, weil, wir haben ungefähr vier Millionen Kleinkinder und Säuglinge, und 25 Prozent davon, also eine Millionen, wird mit dieser Sojanahrung ernährt, und man muss es leider so sagen, man wird sehen, zu was das dann letztendlich führt. "

    Die amerikanische Säuglingsnahrung aus Soja enthält nämlich auch Isoflavone, also bioaktive Pflanzenstoffe, ähnlich den weiblichen Geschlechtshormonen. Kullings Team hat daraufhin die in Deutschland erhältliche Säuglingsnahrung auf Sojabasis analysiert:

    " Die Dosis, die die Säuglinge bei einem Gebrauch, so wie es der Hersteller vorschreibt, abbekommen, die ist extrem hoch. Sie ist um ein vielfaches höher, wie die Dosis, also auf das Kilogramm Körpergewicht bezogen, die beispielsweise bei Frauen helfen soll, Menopausenbeschwerden zu reduzieren. "

    Sabine Kulling befürchtet, dass die Phytoöstrogene in der Säuglingsnahrung den Hormonhaushalt der Kinder durcheinander bringen. Mit dramatischen Folgen wie einem höheren Krebsrisiko. Deshalb fordert sie, dass die Hersteller die Isoflavone in einem zusätzlichen Verarbeitungsschritt aus der Babynahrung entfernen. Bis dahin sollten Kinder damit nur versorgt werden, wenn es unbedingt notwendig ist. Etwa, weil die Mutter nicht stillen kann und die Kinder beispielsweise keine Kuhmilch vertragen.

    Dass dieselben bioaktiven Pflanzenstoffe schaden und auch nutzen können, je nach Dosis, wussten schon unsere Vorfahren. Sie nutzen bestimmte Pflanzen auch als Psychodrogen. Beispielsweise im Mittelalter, erzählt Kräutergärtner Udo Schäfer:

    " Das Bilsenkraut wurde in großen Gärten vor der Stadt Pilsen angebaut, um dem Bier beigesetzt zu werden, und daher hat sowohl das Pilsener Bier als auch die Stadt Pilsen ihren Namen bekommnen, von dem Bilsenkraut. Und Bilsenkraut wurde auch früher in Badehäusern auf eisernen Blechen und auf Pfannen geröstet, um die Leute einfach stark zu euphorisieren und zu aphrodisieren. Und das waren also richtige Badeorgien, die dann im Mittelalter stattgefunden haben, die wirklich dann auch ekstatisch die Leute haben werden lassen. "

    Heute ist kein Bilsenkraut mehr im Bier. Nicht mal bei den Kloster-Brauern in Neuzelle. Denn schon ein bisschen zuviel von der Bio-Droge führt zu schweren Vergiftungen und kann tödlich sein.

    Dagegen ist der bioaktive Pflanzenstoff im "Anti-Aging-Bier" der Klosterbrauerei harmlos. Quercetin heißt er - ein vor allem in Zwiebeln und Grünkohl vorkommender, hellgelber Farbstoff. Er soll die freien Radikale des Biertrinkers einfangen und damit seinen Alterungsprozess aufhalten. Haften will Geschäftsführer Stefan Fritsche dafür allerdings nicht:

    " Die Sicherheit dieses antioxidativen Effekts, die muss man dann wiederum in der Fachliteratur nachlesen. Denn wir sind nicht angetreten, um quasi den Nachweis zu erbringen, inwieweit sind Bioflavonoide quasi krebspräventiv, inwieweit verlängern sie das Leben, um wie viel Jahre, sondern wir haben uns zusammengesetzt mit Instituten, haben gesagt, gebt uns bitte die Informationen, was ist anerkannt gesund, und wenn wir das hinein geben, dann sind wir auf der sicheren Seite, dass damit unser Bier gesünder ist, als davor. "

    Der Charité-Professor Jürgen Lademann hat einige Studien zur Schutzwirkung von Flavonoiden im menschlichen Körper durchgeführt. Dabei schaute er sich auch an, wie Alkohol diesen Schutz beeinflusst:

    " Wir wissen zum Beispiel aus Untersuchungen, dass der Konsum von Alkohol schon innerhalb einer halben Stunde dazu führen kann, dass das antioxidative Potential signifikant reduziert wird, während es dann drei bis vier Tage wieder dauert, durch eine entsprechende Ernährung diese Konzentration wieder aufzubauen. "

    Viel Marketing und wenig Forschung, das gilt nicht nur fürs "Anti-Aging-Bier". Zusammen wirken die Pflanzenstoffe oft ganz anders als einzeln. Außerdem ist kaum ein bioaktiver Pflanzenstoff in seiner Langzeitwirkung erforscht. Niemand weiß so richtig, was eigentlich passiert, wenn die aufgenommenen Mengen weit über das natürliche Maß hinausgehen. Auf der anderen Seite können angereicherte Nahrungsmittel und Ergänzungspräparate eine vollwertige Ernährung sogar verhindern, weil die Verbraucher falschen Versprechen glauben, warnt Risiko-Bewerter Rolf Großklaus:

    " Hier wird der Verbraucher sozusagen getäuscht, dass man sagt, du kannst ja gar nicht fünf mal am Tag Obst und Gemüse essen, aber wir haben hier Lykopin aus der Tomate oder was auch immer für einen Extrakt isoliert und das gibt dir den gleichen Schutz. Also diese Behauptung ist verkürzt und auch wissenschaftlich nicht belegt, weil bis heute die Wissenschaft noch nicht sagen kann, welche Stoffe hier verantwortlich sind. "

    Obst und Gemüse bleiben auf absehbare Zeit unersetzlich. Allerdings hat bei vielen Ernährungsforschern und Züchtern schon ein Umdenken eingesetzt. Sie wollen wieder Pflanzen mit einem höheren Anteil an bioaktiven Stoffen haben. Bis dahin gibt es wenigstens noch ein paar alte Sorten. Wie auf dem Ökomarkt am Chamissoplatz in Berlin. Gärtnermeister Udo Schäfer rät den Besuchern an seinem Kräuterstand, sich nicht nur auf die Augen zu verlassen. Sondern zu riechen und zu kosten. Denn Pflanzen, die stark duften und intensiv schmecken, sind auch recht bioaktiv:

    " Hallo, ich hätte gerne Rosmarin, ist das Rosmarin auch? Ja. Das ist ein sehr aromatischer Rosmarin. Haben Sie schon mal dran gerochen? Ja? Der ist sehr aromatisch, sehr harzig. Ja. Das ist okay. Gut. Danke schön. "