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Nahrungsmittel
"Brauchen Gesamtstrategie, um zu besserer Ernährung zu kommen"

Bundesernährungsministerin Klöckner hat ihren Plan zur Reduktion von Zucker, Salz und Fett in Fertigprodukten auf freiwilliger Basis verteidigt. Sie gehe davon aus, dass sich die Lebensmittelindustrie an die Selbstverpflichtung halte, sagte Klöckner im Dlf. Zudem gebe es engmaschiges Monitoring von Experten.

Julia Klöckner im Gespräch mit Sarah Zerback | 20.12.2018
    Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) bei der Vorstellung des Ernteberichts
    Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) bei der Vorstellung des Ernteberichts (dpa-Bildfunk / Wolfgang Kumm)
    Sarah Zerback: Zucker macht nicht nur dick, die Zähne kaputt, sondern im schlimmsten Fall auch richtig krank. Auch Salz und Fett sollten wohl dosiert sein. Ist aber oft gar nicht so einfach, denn in vielen Lebensmitteln, vor allem in Fertiggerichten steckt davon jede Menge. Um das zu reduzieren, hat die zuständige Ministerin jetzt mit den Herstellern vereinbart, den Gehalt schrittweise bis zum Jahr 2025 zu reduzieren, je nach Produkt die Rezepturen zu ändern. So soll dann zum Beispiel zehn Prozent weniger Zucker in Kinder-Joghurts landen oder 20 Prozent weniger in Frühstücksflocken.
    Gesetzlich geregelt ist das aber nicht, sondern da baut die Ministerin für Ernährung und Landwirtschaft auf Freiwilligkeit über eine Selbstverpflichtung der Industrie. Die Ministerin ist jetzt am Telefon, Julia Klöckner. Stellvertretende Vorsitzende der CDU ist sie auch. Guten Morgen, Frau Klöckner!
    Julia Klöckner: Hallo! – Guten Morgen, Frau Zerback.
    Zerback: Eine freiwillige Selbstverpflichtung – ist das Ihr verfrühtes Weihnachtsgeschenk an die Lebensmittelkonzerne?
    Klöckner: Das ist jetzt natürlich rhetorisch von Ihnen und wäre jetzt sicherlich auch zu platt, denn wir haben uns relativ lange damit beschäftigt. Denn weder Sie als Journalist, noch wir als Politiker sind Lebensmittelhersteller und können Rezepte vorschreiben, denn die Rechnung können wir nicht ohne den Geschmack des Verbrauchers machen.
    Schrittweise die Gesamt-Kalorienzahl reduzieren
    Zerback: Ist übrigens ein Zitat der Grünen Renate Künast, wenn ich das noch hinterherschicken darf.
    Klöckner: Ja gut. Das verwundert einen ja nicht. Frau Künast selbst war mal Ernährungsministerin und ich finde keinerlei Initiativen oder Erfolge dahingehend. Insofern glaube ich, ist es wichtig, nicht nur zu trommeln als Opposition, sondern wirklich Schritte zu vereinbaren. Was wir gemacht haben, und das ist europaweit wirklich erstmalig und es wird auch vorbildhaft sein, dass wir mit der Ernährungsindustrie - nur mit ihr geht es ja -, die ja die Fertiglebensmittel produziert, wir haben ja eine Vereinbarung getroffen -, dass die sich schriftlich dazu erklärt hat, schrittweise die Gesamt-Kalorienzahl in Fertignahrungsmitteln zu reduzieren.
    Sie können natürlich nicht pauschale Prozentangaben über die ganzen Branchen hinweg machen, weil das auch lebensmitteltechnologisch und am Ende auch praktisch natürlich scheitert. Insofern haben wir unser Max-Bruckner-Institut. Das ist unser Wissenschaftsinstitut, das zum Beispiel auch kleine Handwerksbetriebe begleitet und mit ihnen auch erforscht und ausprobiert, wie stark man Salz reduzieren kann, ohne dass es hygienische und Haltbarkeitsprobleme und Konsistenzprobleme gibt. Genauso geht es mit Zucker und mit Fetten.
    Letzter Punkt: Es bringt auch recht wenig, wenn wir sagen, wir reduzieren nur Zucker und dafür wird dann Fett erhöht, oder es wird Fett reduziert und dafür wird Zucker eingesetzt oder Ersatzstoffe, die nachher für die Gesamt-Nährwertaufnahme nicht besser sind. Es ist ein sehr komplexes Problemfeld.
    Zerback: Vielleicht bräuchte es dann eine komplexe Antwort auf dieses Problem und nicht pauschal, wie Sie sagen. Und vor allem bräuchte es doch vielleicht auch eine Überprüfbarkeit. Was passiert denn, wenn die Hersteller sich nun nicht an diese freiwillige Verpflichtung halten?
    Klöckner: Richtig, zwischen dem machen oder nicht machen gibt es ja die Überprüfbarkeit, und die Prozesse, die geben wir vor. Wir haben jetzt erstens identifiziert, wie ist das Ernährungsverhalten unserer Bevölkerung. Wir sehen, aufgrund auch eines veränderten Alltagslebens ist der Griff nach Fertignahrungsmitteln immer stärker geworden. In Fertignahrungsmitteln, nicht in allen, aber in vielen, haben wir zu viel Fett, zu viel Zucker, zu viel Salz.
    "Wir haben ein engmaschiges Monitoring"
    Zerback: Wenn sich das nicht ändert, wie wollen Sie dann die Industrie sanktionieren? Das war ja meine Frage.
    Klöckner: Ja. Aber ich glaube, es ist auch ganz gut, wenn man es herleitet, um dem Zuhörer auch zu erläutern, wie komplex das System ist und wie ernsthaft wir auch herangehen. Deshalb haben wir uns die verschiedenen Produktgruppen angeschaut, und da kann ich Ihnen auch sagen, wie wir es überprüfen. Wir haben nämlich ein Begleitgremium gegründet. Da sind Verbraucherschützer, da sind Kinderärzte, da sind Wissenschaftler, da ist auch Wirtschaft drin, die die einzelnen Schritte jetzt der Vereinbarungen überprüfen.
    Ein Beispiel: Wir haben festgestellt, dass in Frühstücks-Cerealien, die direkt an Kinder gerichtet sind, 20 Prozent mehr Zucker drin ist, was überhaupt nicht geht, mehr Zucker als in an Erwachsene gerichtete Cerealien. Diesen Abbau, diese Schritte werden wir überprüfen. Das wird im Internet schrittweise dokumentiert. Erste Überprüfung und Veröffentlichung wird 2019 im Herbst sein. Es wird einen Zwischenbericht 2020 geben. Wir haben ein Begleitgremium, wir haben ein engmaschiges Monitoring.
    Vor allen Dingen haben wir eine dritte Säule, und das ist das Thema Innovation. Da können wir sogar ambitionierter sein, als ein Gesetzgeber es je sein kann. Ein Beispiel: Wir forschen gerade an neuartigen kalorienarmen Zuckern aus der Zuckerrübe. Da geht es etwa um Cellobiose. Wenn wir da den Durchbruch haben - und da bin ich sehr zuversichtlich -, könnten wir sogar ambitionierter sein als das, was wir gerade gesetzlich angedacht haben.
    "Ich gehe davon aus, dass man sich daran hält"
    Zerback: Frau Klöckner, entschuldigen Sie bitte die Unterbrechung. Ich habe Ihnen jetzt geduldig zugehört, aber ich habe immer noch nicht verstanden, was denn nun passiert, wenn die Hersteller sich nicht daran halten. Ich habe den Überprüfungsprozess verstanden, aber bis jetzt hatten die Hersteller ja auch kein Interesse, das freiwillig zu machen. Hätten sie ja machen können. Warum sollten sie das in Zukunft haben?
    Klöckner: Erst mal hat es das noch nie gegeben, was wir jetzt gemacht haben. Ich habe erstmalig alle Beteiligten inklusive Kinderärzte, Verbraucherschützer et cetera an einen Tisch geholt. Wir haben eine Vereinbarung abgeschlossen, mit Unterschriften uns dazu verpflichtet, diese Schritte zu gehen. Ich gehe davon aus - sonst wäre ja unser aller Lebenszeit zu schade -, dass man sich daran hält. Wenn ich jetzt schon sage, es scheitert, ja dann können wir gleich aufhören.
    2019 haben wir die erste Überprüfung. Das gibt es auch selten. Bei einem Gesetz können Sie so schnell ja gar nicht reagieren. Das hätten wir bis 2019 gar nicht. Das ist der Vorteil hieran. Wenn das Monitoring nicht funktionieren würde, dann werden wir natürlich weitere Schritte überlegen. Aber ich mache doch keine Drohung oder jetzt ein Gesetz, wenn wir hier auf einem sehr, sehr guten Weg sind und wir auch sehen, dass es Vorschläge gibt.
    "Unser Ansatz ist viel breiter und viel weiter"
    Zerback: Frau Klöckner, da ist ja noch mal ein Unterschied zwischen Drohung und Gesetz. Den Unterschied wollte ich auch noch mal herausheben. Es geht ja um verbindliche Kriterien und vor allen Dingen darum, dass das Ganze dann auch umgesetzt wird. Warum war denn eine Zuckersteuer nicht der richtige Weg? Warum haben Sie die abgelehnt? Das wäre doch eine Maßnahme gewesen, um das verbindlich zu machen.
    Klöckner: Ja, das hört sich toll an, ist auch populistisch. Gucken wir uns genau an in den Ländern, wo zum Beispiel eine Zuckersteuer eingeführt worden ist, oder es gab mal eine Fettsteuer in Skandinavien. In Skandinavien wurde diese Fettsteuer abgeschafft. Warum? Weil mit Reduktion zum Beispiel des Fetts der Zuckergehalt erhöht worden ist, oder wenn Sie Zucker reduzieren, das Fett erhöht worden ist und andere Inhaltsstoffe, zum Beispiel Salz erhöht worden ist zur Stabilisierung.
    Ich will mehr! Ich möchte eine Gesamtstrategie, und deshalb gehen wir die Gesamtkalorienzahl in diesen Produkten an. Das mag komplexer klingen, aber ich bin mir sicher und ich bin auch dankbar, dass mich da der Bundesgesundheitsminister und auch Ärzte mit unterstützen, dass wir eine Gesamtstrategie brauchen, um zu einer besseren Ernährung zu kommen. Denn am Ende muss die gesunde Wahl zur leichten Wahl werden.
    Zerback: Trotzdem gibt es ja genug Ärzte, die genau eine solche Zuckersteuer fordern und die auf das Beispiel Großbritannien verweisen, wo eine ähnliche Steuer ja wirkt.
    Klöckner: Großbritannien geht es aber nicht gesamtkomplex an. Großbritannien fokussiert sich auf Getränke. Unser Ansatz ist ja viel breiter und auch viel weiter. Wir möchten am Ende, dass der Griff nach Fertignahrungsmitteln, den es ja gibt, bei uns in Deutschland immer stärker, dass dieser Griff ein einfacher Griff zu gesünderen Angeboten wird bei den Nahrungsmitteln. Wenn jemand sagt, wir wollen 50 Prozent weniger Fett, 50 Prozent weniger Zucker, dann haben Sie Ladenhüter nachher im Geschäft, und auch das müssen Sie bedenken. Denn am Ende machen weder Sie als Journalistin, noch ich als Politikerin das Produkt, wonach die Verbraucherinnen und Verbraucher greifen.
    Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel, was wirklich ein Durchbruch ist, so banal das klingt: Wenn Sie Pfannkuchen oder etwa Berliner machen, die schmecken gut. Dieses Gebäck hat aber unglaublich viel Fett. Wir haben jetzt mit unserer Forschung rausgefunden -und da begleiten wir auch kleine Handwerksbetriebe -, dass es auf das Weizenmehl ankommt. Wenn das Weizenmehl mehr Wasser aufnehmen kann, je nach Mahlung, nimmt dann dieser Pfannkuchen viel, viel weniger Fett beim Frittieren auf.
    "Friedrich Merz soll nicht leer ausgehen"
    Zerback: Frau Klöckner, wir haben das Beispiel, denke ich, jetzt verstanden. Wir haben verstanden, auf welchen Punkt Sie hinauskommen wollen. Aber lassen Sie uns an dieser Stelle mal einen Punkt machen. Es ist eine freiwillige Selbstverpflichtung, Sie werden es überprüfen und in einigen Monaten werden wir dann Ihre Ergebnisse haben. Da werden wir noch mal nachschauen, was tatsächlich dabei rausgekommen ist.
    Nun haben wir hier eine der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU am Telefon. Da müssen wir an einem Tag wie heute, nachdem Friedrich Merz doch noch mal seinen Hut in den Ring geworfen hat und doch gern ein Ministeramt hätte, auch auf dieses Thema noch mal zu sprechen kommen. Wie will Ihre Partei, die CDU denn da jetzt verfahren? Würden Sie jetzt Ihr Ministeramt zur Verfügung stellen, oder wie soll es beruflich für den Mann weitergehen?
    Klöckner: Wie wir damit verfahren wollen? Ich glaube, das ist eine Angelegenheit der Bundeskanzlerin. Sie entscheidet.
    Zerback: Und die hat jetzt gesagt, sie möchte ihm kein Amt zur Verfügung stellen. Finden Sie das klug bei jemandem, der ja doch die Basis Ihrer Partei gerade motiviert hat, die aber auch verärgert ist, dass er jetzt raus ist, es nicht geschafft hat beim Ringen um den Parteivorsitz, dass man den jetzt nicht einbindet?
    Klöckner: Es gibt ja nicht alles oder nichts und beim Einbinden gibt es verschiedene Wege und auch Möglichkeiten. Was Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn geleistet haben, auch auf den Regionalkonferenzen, ist, dass wir Parteieintritte haben, dass wir ein Interesse an der Politik haben und dass am Ende ein demokratisches Verfahren, nämlich eine Wahl zu akzeptieren ist von allen Beteiligten.
    Zerback: Aber die war ja sehr knapp.
    Klöckner: Ja, gut. Aber sind Sie gegen Demokratie und Mehrheiten?
    Zerback: Die Frage muss ich nicht beantworten, oder die Fragen stelle ich ja hier. Das ist hoffentlich eine rhetorische Frage. Es zeigt natürlich, dass da viel Unterstützer für Merz in Ihrer Partei sind, und zwar nicht nur unter den Delegierten, sondern auch an der Basis.
    Klöckner: Ja, das ist so. Aber erst mal habe ich etwas gesagt, was jetzt erst mal falsifiziert werden muss, dass in einer Demokratie die Mehrheiten entscheiden. Denn man kann ja nicht so lange wählen, bis es einem passt. Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz haben sich getroffen zu einem sehr langen Gespräch. Sie werden sich im Januar wieder treffen. Ich finde das auch ein gutes Vorgehen, wie die beiden das machen, und ich glaube, so was sollte man auch nicht auf dem Markt der Öffentlichkeit austragen. Das machen beide auch nicht. Ich weiß, dass Sie das interessiert und Sie das gerne wissen wollen, aber …
    Zerback: Friedrich Merz hat gestern ein öffentliches Interview in der "FAZ" gegeben. Es ist schon auf dem Markt und schon öffentlich auch in der Diskussion. Deswegen ist die Frage ja nicht unwichtig, wie Sie den Mann einbinden wollen in der Partei. Soll der jetzt leer ausgehen?
    Klöckner: Nein, er soll nicht leer ausgehen, und ich vertraue den Gesprächen unserer Vorsitzenden mit Friedrich Merz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.