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"Nahrungsmittelhilfe ist keine langfristige Lösung des Problems"

In Katar tagt zurzeit eine UNO-Konferenz zu Armut und Hunger in der Welt. Das Ziel, den Hunger in der Welt bis 2015 zu halbieren, scheint kaum erreichbar. Walter Schug begründet dies in seinem Buch "Die dritte Welternährungskrise" mit einem Verteilungsproblem: Statt punktuell Lebensmittel zu liefern, müsste vor Ort strukturell, mit Know-how und Kapitalhilfen langfristig agiert werden.

Walter Schug im Gespräch mit |
    Friedbert Meurer: Die Deutschlandbeauftragte der Vereinten Nationen, Renee Ernst. – Walter Schug hat ein Buch geschrieben, das in diesen Tagen im Bouvier-Verlag erscheint:. Er ist Professor für Wirtschaft und Entwicklungspolitik an der Universität Bonn. Ich habe ihn gefragt, wie das denn zusammengeht: im Süden verhungern die Menschen und hier bei uns im Norden lassen sie sich das Fett absaugen?

    Walter Schug: In der Tat: Wir haben hier ein Verteilungsproblem vor uns. Auf der einen Seite haben wir Überernährung mit allen damit verbundenen finanziellen Konsequenzen und auch Krankheiten. Andererseits haben wir aus ganz bestimmten Gründen eine knappe Versorgungslage in zahlreichen Ländern der Dritten Welt, insbesondere in Afrika. Wenn wir einerseits also die Symptome dieser Art feststellen, dass wir Fett absaugen, dann muss man auch die Frage beantworten, wie könnte man denn diese Problematik einer gerechten Verteilung lösen. Das würde bedeuten, dass wir unseren Lebensstil verändern.

    Meurer: Eine Verteilung könnte ja sein, Herr Schug, dass wir die Lebensmittel, die wir täglich wegwerfen, nach Afrika liefern.

    Schug: Die Nahrungsmittelhilfe ist keine langfristige Lösung des Problems. Es besteht Konsens darüber, dass wir dort produzieren müssen, wo der Hunger ist. Nahrungsmittelhilfe aus unseren Überschüssen können wir nur verwenden oder sollten wir vor allem verwenden, um im Rahmen der Nothilfe, also kurzfristige Hilfsmaßnahmen zu finanzieren. Langfristig hat sie teilweise sehr negative Konsequenzen gehabt.

    Meurer: Zum Beispiel?

    Schug: Indem sie auf den Märkten der Länder, in denen sie eingeführt wurde, zu einer Marktverdrängung einheimischen Angebotes geführt hat, indem sie dort zur Landflucht beigetragen hat, indem diese gelieferten Mengen in den Städten blieben und die Landbevölkerung ist dort hingezogen, oder sie hat zu einem Preisdruck geführt, der wiederum die einheimischen Landwirte dazu bewogen hat, weniger zu produzieren.

    Meurer: Wenn Sie sagen "gerechtere Verteilung in der Welt zwischen Norden und Süden, aber keine Nahrungsmittelhilfe", wie soll diese Verteilung aussehen?

    Schug: Wir haben immerhin noch das Instrument der Kapitalhilfe und der technischen Hilfe. Also wir müssen zum einen das Kapital bereitstellen, um zum Beispiel vor Ort Düngemittel oder Pestizide zu beschaffen. Wir müssen vor allem aber – und das haben wir, denke ich, in den letzten Jahren und Jahrzehnten sträflichst vernachlässigt – die Beratung intensivieren und dazu brauchen wir das entsprechende Personal. Also: technische Hilfe in Form von Beratung, Knowhow-Transfer und flankierend die Kapitalbereitstellung.

    Meurer: Sie sprechen von der Dritten Welternährungskrise. Die erste gab es nach Ihrer Definition in den 60er Jahren, die zweite in den 70ern nach dem Ölpreis-Schock, die dritte jetzt seit letztem Jahr. Worin besteht die dritte Welternährungskrise?

    Schug: Sie unterscheidet sich von den ersten beiden genannten dadurch, dass sie langfristige strukturelle Ursachen hat. Das was in den letzten eineinhalb Jahren passiert ist, hat diese strukturellen Ursachen offengelegt. In der Tat haben wir eine Verknappungssituation seit 2007 gehabt mit geringeren Ernten, mit geringeren Vorratsbeständen weltweit, die unter der Warnmarke der FAO gelegen haben.

    Meurer: FAO, die Welternährungsorganisation.

    Schug: Ja. – Und wir haben steigende Preise. In bestimmten Teilen der Welt haben sich die Preise teilweise verdoppelt.

    Meurer: Die strukturellen Ursachen, welche sind das? Was meinen Sie damit?

    Schug: Es gibt eine ganze Reihe von Restriktionen für eine Ausweitung der Welternährungskapazität. Das ist zum Beispiel die Priorität in der Entwicklungsplanung. Hier geht es darum, zum Beispiel die Agrarentwicklungspolitik mit entsprechenden Prioritäten auszustatten und vielleicht dafür andere Initiativen zurückzufahren.

    Meurer: Sie meinen damit, dass der Westen es in seiner Entwicklungspolitik versäumt hat, ausreichend Einfluss darauf zu nehmen, wie sich die landwirtschaftlichen Bedingungen in der Dritten Welt verändern? Das dachte man eigentlich, das sei ein Kernbestandteil der Entwicklungspolitik.

    Schug: Investitionen in arbeitsintensive Landwirtschaft oder Handwerk oder Infrastruktur sind nicht so spektakulär wie eine Industrieinvestition. Man glaubte teilweise, dass man durch eine Industrieinvestition oder eine industrielle Investition Effekte herbeiführen kann, dass die Bereitstellung von Kapital auch dazu beiträgt, die Landwirtschaft mit zu entwickeln, und genau das ist nicht in dem erwarteten Umfang geschehen.

    Meurer: Ein Argument in Ihrem Buch lautet, die Preise für Lebensmittel sind zu niedrig in der Dritten Welt. Jetzt haben wir die ganzen spekulativen Preisanhebungen erlebt durch Spekulanten, die in Rohstoffe und Lebensmittel investiert haben. Wieso sollen die Preise für Lebensmittel in der Dritten Welt steigen?

    Schug: Sie sind gestiegen ...

    Meurer: Aber Sie möchten es ja sogar!

    Schug: Ja. Die Landwirte reagieren ja auf den Preisanstieg, weil er höhere Kosten deckt und damit die Bereitschaft, mehr zu produzieren. Aber der Landwirt reagiert nach unseren Erfahrungen nur dann, wenn diese Preise so steigen, dass auch die Nettoerträge sich erhöhen. Solange die Preise im Einklang sich erhöhen mit den Betriebsmittelkosten wie Düngemittel oder Pestiziden, hat er keine Veranlassung, mehr zu produzieren. Es kommt hinzu, nach unserer Erfahrung reagieren Landwirte mit einer erhöhten Produktion, wenn die Preise nicht nur heute, sondern auch morgen und übermorgen ein höheres Niveau haben, und das bezweifle ich.

    Meurer: Wenn in der so genannten Dritten Welt die Preise steigen, weil beispielsweise die nationalen Regierungen sie nicht mehr künstlich niedrig halten, hätte das nicht verheerende Folgen für die Bevölkerung in den Städten beispielsweise?

    Schug: In der Tat ist das ein Handicap steigender Preise. Über die Methoden muss man diskutieren, gegenhalten, indem man über Verbrauchersubventionen zum Beispiel, über Fair Price Shops und andere die bedürftige Bevölkerung entsprechend versorgt.

    Meurer: Zu den strukturellen Ursachen für die dritte Welternährungskrise rechnen Sie, dass die Menschen in den Schwellenländern, in China und Indien, mehr Fleisch essen. Was meinen Sie damit?

    Schug: Dieser Prozess, den haben wir ja in den Industrieländern bereits durchgemacht. In diesen Schwellenländern (Beispiele wären Indien, China oder Indonesien) hat sich eine Mittelschicht entwickelt mit entsprechend hohen Pro-Kopf-Einkommen und erfahrungsgemäß verändern sich dann die Ernährungsgewohnheiten. Grundnahrungsmittel werden weniger nachgefragt. Die Nachfrage ist konstant, wenn nicht sogar wie bei uns rückläufig. Dafür werden mehr Veredelungsprodukte nachgefragt, Eier, Geflügel, andere Fleischsorten. Und wir wissen nun, dass wir im Rahmen der Veredelungsproduktion Veredelungsverluste haben. Das heißt, um eine Verzehrskalorie zu erstellen, müssen wir sieben Primärkalorien einsetzen. Also ein gewaltiger Multiplikator, der sich hier auftut, der die Ansprüche an die Leistungsfähigkeit der Weltlandwirtschaft dokumentiert.

    Meurer: Ist es dann überhaupt möglich, Herr Schug, dass die Lebensmittelproduktion in den ärmsten und ärmeren Ländern so angehoben werden kann, dass man diese Effekte, wie Sie sie beschrieben haben, Fleischproduktion, ausgleichen kann?

    Schug: Ich glaube kaum, dass wir nun weltweit ein Versorgungsniveau erreichen können, das dem unserigen hier entspricht. Was wir erlebt haben ist, dass China und Indien neben ihren Energieimporten auch Getreide importiert haben und haben damit teilweise auf den Weltagrarmärkten diesen Preisanstieg verursacht, der nun zu Lasten aller anderen Länder gegangen ist, die dringend Getreide importieren müssen.

    Meurer: Das war Professor Walter Schug. Er hat ein Buch geschrieben über die "Die dritte Welternährungskrise", in der wir zurzeit leben beziehungsweise die Menschen im Süden. Wir leiden nicht unter der Welternährungskrise. Schönen Dank für Ihren Besuch im Studio und auf Wiedersehen.

    Schug: Auf Wiedersehen.