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Naiv, nicht harmlos

Die Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" mit der Vorsitzenden Erika Steinbach will mit der neuen Ausstellung "Die Gerufenen" 800 Jahre deutsche Siedlungsgeschichte in Ost- und Mitteleuropa darstellen. Das 20. Jahrhundert spart die Schau im Berliner Kronprinzenpalais jedoch aus.

Von Tomas Fitzel |
    Schon der Ausstellungstitel gibt die Richtung vor: "Die Gerufenen".

    "Dass die Menschen nicht mit Feuer, Schwert oder Panzern in diese Regionen hingekommen sind, sondern dass sie auf friedlichem Weg dorthin gelangt sind, dass sie gewollt waren, dass sie keine Eindringlinge waren, sondern auf alle Fälle benötigt wurden, dass man sie sogar angeworben hat, mit Privilegien ausgestattet hat, ihnen Steuerfreiheit gewährt hat."

    So Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen beim Presserundgang. Es gilt also, eine gute Geschichte von den Deutschen zu erzählen. Schon bevor der Besucher die eigentliche Ausstellung betritt, wird ihm deutlich gemacht, dass er sich hier wohlfühlen soll.

    "Lassen sie sich einfach überraschen, wenn sie den Gang durch die Ausstellung machen. Wir haben ein Lindgrün als Hintergrund, als Grundfarbe gewählt, um einfach zu deuten, dass es etwas Lebendiges, etwas Positives ist."

    Am Anfang steht das liebevoll nachgebaute Modell einer Ulmer Schachtel. Das war eigentlich ein Spottname für Flachkähne, die auf der Donau abwärts Güter und Personen beförderten und nach Gebrauch wieder zerlegt wurden - also ein Einwegschiff. Auf ihnen reisten auch die Donauschwaben in ihre neue Heimat. Auf der Texttafel erfahren wir, dass durch eine "urchristliche Gütergemeinschaft" auch Ärmeren die Reise ermöglicht worden sei. Darüber würde man nun zum Beispiel gern mehr erfahren. Aber vertiefende Information sucht man hier oder im Katalog vergeblich. Auf einer interaktiven Karte werden die deutschen Siedlungsgebiete in Mittel- und Osteuropa dargestellt und danach hetzt der Besucher gewissermaßen von Region zu Region, der jeweils nur eine kleine Nische gewidmet ist, und erfährt eigentlich nicht mehr, außer: Auch dort waren sie, die Deutschen. Und sie waren fleißig und haben Handwerk und Landwirtschaft betrieben. In Regionen, von denen er vielleicht noch gar nie gehört hatte.

    Das ist durchaus ein legitimes Anliegen, dem Besucher erst einmal einen Überblick über diese kulturelle Vielfalt zwischen Ostsee, Ural, Schwarzem Meer und Donau zu geben. Und die Kuratoren haben auch Objekte aufgetrieben, die jede andere Ausstellung zu diesem Thema schmücken würden. Aber 800 Jahre mittel- und osteuropäische Geschichte hintergründig erzählen zu wollen, daran überhebt sich die Ausstellung komplett. Wielfried Rogasch, einer der Kuratoren:

    "Die Ausstellung ist gemacht für ein großes Publikum, nicht für historische Oberseminare."

    Als Ergebnis erhalten wir niedliche Heimatstübchen, einen bunten Bilderbogen von Ansichtskarten aus einer vergangenen Zeit. In der Vereinfachung liegt aber auch der Kern der Verfälschung. Zu einem Großteil erfolgte die Besiedlung tatsächlich friedlich, aber eben nicht nur. Je nach Epoche und Region geschah es auch mit Gewalt, Zwangsmissionierung und Unterdrückung der Einheimischen. Wir sehen Fotos baltischer Herrenhäuser, erfahren aber nichts über Herrschaft und soziale Verhältnisse. Das alles wird unterschlagen. Spannend hätte sein können, wie sich Kulturen und Sprachen gegenseitig durchdrangen, wie Polen zu Deutschen wurden und Deutsche zu Polen, je nachdem was gerade günstiger war. Unterschlagen wird die unheilvolle Nachgeschichte, das Entstehen von völkisch nationalistischer Wissenschaft.

    "Wir beschäftigen uns ja absichtsvoll nicht mit dem 20. Jahrhundert, weil es so kompliziert ist."

    So wird ein vorgeblich naiver Blick auf die Geschichte geworfen. Die Ausstellung mag harmlos erscheinen, sie ist aber nicht. Die Ulmer Schachtel steht nicht zufällig am Anfang der Ausstellung, erinnert sie doch an die Arche Noah oder die Mayflower der Pilgrim Fathers, die in ihr gelobtes Land, nach Amerika reisten. Mit dieser Ausstellung möchte Erika Steinbach einen neuen, deutschen Gründungsmythos schaffen. In der "deutschen Ostsiedlung habe die Geburtsstunde der deutschen Kulturnation geschlagen, im Zusammenwirken der oberdeutschen wie der niederdeutschen Stämme." Dies lesen wir zwar nicht in der Ausstellung, aber auf der Internetseite ihrer Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" unter dem Stichwort "Begriffsbestimmung: deutsche Ostsiedlung". Erika Steinbach dazu befragt:

    "Das ist Fakt, ganz einfach schlicht und ergreifend, das ist Faktum."

    Den Text schrieb Ortfried Kozian vom Bukowina-Institut, der statt von einer deutschen von einer abendländischen Ostbewegung sprechen will. Das Gerufenwerden klingt bei ihm dann so: "Im Gefolge der Ritterorden zogen deutsche Bauern nach Osten, um sowohl die religiöse als auch die politische Situation zu stabilisieren." Prekär daran ist, dass er sich auf Wissenschaftler bezieht, die alle ihre Karriere während der NS-Zeit begannen, wie Georg Stadtmüller oder Robert-Müller-Sternberg. Hier kann man wirklich das Gruseln lernen. Für Erika Steinbach alles kein Problem.

    "Nein, das sind alles anerkannte Wissenschaftler, die herangezogen worden sind als Fundament unsere Debatte im Bereich der Aufarbeitung der eigenen Geschichte und auch der europäischen Geschichte."

    Wirkliche Aufklärung und Aufarbeitung, das Begreifen der eigenen Geschichte sähen jedoch anders aus und so wird auch diese Ausstellung eher Kontroversen auslösen, statt wirklich und umfassend aufzuklären. Schade. Das Thema und ebenso die Vertriebenen selbst hätten mehr verdient.