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Nanoarchäum - der reitende Urzwerg

Biologie. - Die verschiedenen Fahrzeuge, die derzeit auf dem Mars unterwegs sind, suchen nach Leben - oder besser nach seinen winzigen und vieldeutigen Spuren. Denn ursprüngliche Lebensformen zu finden, ist selbst hier bei uns auf der Erde sehr schwierig und gelingt immer öfter durch Zufälle als bei einer gezielten Suche. Ein Beispiel dafür ist das Nanoarchäum, die möglicherweise ursprünglichste Lebensform überhaupt. Auf sie stieß ein Forscherteam aus Regensburg im Meer nördlich von Island.

Von Grit Kienzlen | 25.05.2004
    Mikroorganismen gibt es schon ziemlich lange auf der Erde, seit Milliarden von Jahren. Sie sind die Vorläufer aller höheren Lebewesen, aber auch der heute lebenden Bakterien und der in heißen Quellen, oder Schwefelvulkanen vorkommenden Archäbakterien. Wer nach diesen Urmikroben sucht, der kann versuchen, den klassischen Weg der Evolutionsbiologie zu gehen, aber das ist müßig, meint der Mikrobenexperte Karl-Otto Stetter vom Lehrstuhl für Mikrobiologie und Archaeenzentrum der Universität Regensburg:

    Fossilien gibt es natürlich, es gibt versteinerte Bakterien, das ist ja überhaupt keine Frage, aber das ist meistens so "Kerogen", das ist so eine Art Öl oder man muß sich vorstellen wie Humus ungefähr: Das ist ein schreckliches Zeug auch für einen Chemiker, also die reinste Schlunz-Chemie und man ist heutzutage trotz modernster Maschinen noch nicht in der Lage, zu lesen, was sich das eigentlich drin verbirgt. Also man kann bei einer versteinerten Mikrobe nicht sagen, das ist der und der Organismus gewesen.

    Sehr wahrscheinlich, meint Karl-Otto Stetter, waren die Urmikroben aber Hitze liebende Wesen, die in heißen Quellen im Tiefseeboden der Urerde lebten. Und sehr wahrscheinlich leben recht nahe Verwandte dieser Urorganismen bis heute.

    Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es heute noch Überbleibsel gibt von sehr frühem oder primitivem Leben, auch auf unserer Erde, aber die Frage ist immer: können wir es überhaupt erkennen? Und man muss ja immer kultivieren, damit man es überhaupt einmal verstehen kann.

    Das ist der Haken. So wie moderne Bakterien in einer hundert Grad heißen Quelle innerhalb von Sekunden tot gekocht werden, so können sich Archäbakterien, die genau diese Umweltbedingungen lieben, kaum in einer Flasche Wasser bei Raumtemperatur halten. Üblicherweise suchen die Forscher daher mit Gensonden nach neuen Archäbakterien. Das heißt, sie verwenden das Erbgut bereits bekannter Archäen und suchen in heißen oder schwefligen Quellen nach ähnlichen Genabschnitten, die auf verwandte Organismen verweisen. Völlig fremdartiges Leben lässt sich mit diesem Ansatz aber natürlich nicht entdecken. Da muss der Zufall helfen.

    Und genau so einen Fall hatten wir kürzlich mit unserem Nanoarchäum: mit unserem Urzwerg haben wir genau so eine Entdeckung gemacht, das wäre mit Gensonden überhaupt nie gegangen. Wir haben sie einfach unter dem Mikroskop gesehen, plötzlich, Winzlinge, die so klein sind wie große Viren, wie Pockenviren. Ja, Donnerwetter - was ist denn das, sind das Viren oder was? Dabei haben sie Membranen gehabt und ein Membranpotential - die haben gelebt. Und Viren leben ja nicht. Und tatsächlich, wir haben jetzt die tiefste Abzweigung im Stammbaum innerhalb der Archäen gefunden.

    Den Winzling, Nanoarchäum, fanden Stetter und sein Team in der Gesellschaft anderer Archäbakterien, den Ignikokken, die sie in heißen Quellen im flachen Meer nördlich von Island entdeckt hatten. Das Nanoarchäum klebte oder ritt auf diesen viel größeren Ignikokken. Die Forscher nannten es deshalb den "reitenden Urzwerg" - Nanoarchäum equitans. Allerdings reitet Nanoarchäum auch auf vielen anderen Mikroben in aller Welt:

    Inwischen wissen wir, dass auch in der Tiefsee, in den schwarzen Rauchern, die in 3000 Meter Tiefe im Pazifik, im Mittelatlantischen Rücken in 4000 Meter Tiefe oder auch im Yellowstone Park vorkommen, dort findet man Nanoarchäum. Auch in Kamtschatka in Sibirien haben wir es gefunden, jetzt neuerdings sogar in Java - also überall da, wo es heiß hergeht und Wasser vorhanden ist, sind anscheinend auch diese reitenden Urzwerge, aber sie reiten teilweise auf verschiedenen anderen Organismen.

    Und offenbar beklauen sie diese Organismen auch. Das Erbgut der Nanoarchäen, weiß Stetter inzwischen, ist nicht nur sehr ursprünglich, sondern auch unvollständig:

    Inzwischen haben wir das ganze Genom von diesen Zwergen untersucht. Die haben auch wirklich ein Zwergengenom und da fehlen ja ganze Stücke von wichtigen Dingen, von Bausteinen, die sie sich überhaupt nicht herstellen können und die sie eben vom Wirt, auf dem sie reiten, aufnehmen. Also die reiten nicht nur, sondern die zapfen da immer kräftig was ab - wie das geht, das verstehen wir überhaupt noch nicht.