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Nanobiotechnologie - Grenzgang zwischen Leben und Kristall

Nanotechnologie ist die Kunst, Strukturen, die kleiner sind als der fünfhundertste Teil eines Haardurchmessers, etwas technisch Nützliches abzugewinnen. Dieser Bereich ist natürlich auch eine Domäne der Natur, die winzige Zellen und Zellbausteine von größter Raffinesse herstellt. Nanobiotechnologie wird Technik und Natur verbinden und dabei völlig neue biologische Einsichten und medizinische Verfahren ermöglichen. Dazu gehören Nanopartikel, die sich an Krebszellen anlagern und dann durch äußere Magnetwechselfelder Wärme erzeugen, die die Krebszellen schwächt. Ebenfalls im Entstehen begriffen: Nanoskopische Muster, die Stammzellen dazu bringen, sich zu speziellen Zellen zu entwickeln, die dann womöglich künstliche Organe bilden.

Von Mathias Schulenburg | 20.11.2005
    " Lieber Kowalski, zu dem Nanobiologie-Thema muss ich Dir Stimmkapseln schicken, weil ich vergessen habe, mein Intercom aufzuladen und hier gibt es keine passenden Batterien. Das ist jetzt mein dritter Planet, und wenn ich den fertig habe, ist mein Praktikum zu Ende. Die Sache ist - wie von Dir versprochen - spannend, die Leute hier lernen gerade, ihre eigene Biologie zu steuern. Sie stecken tatsächlich noch in der wässrigen Phase, bestehen also zu zwei Dritteln aus Wasser. Überall gluckst es, und alles ist völlig verkeimt, ständig schniefen sie, und wie sie sich fortpflanzen ist einfach grotesk. "

    " Natürlich heißt Angies Biologie-Instrukteur nicht Kowalski, das ist eine freie Übersetzung, er heißt in Wirklichkeit brzzngck, was hier aber sinnleer wirken würde - so verständigt man sich auf einem kleinen Planeten an einem unscheinbaren Stern irgendwo im Orion-Nebel. Eine außerirdische Studentin ist tatsächlich eine interessante Moderatorin für das Thema Bionanotechnologie, zum einen ihrer unkonventionellen Sicht der Dinge wegen, zum anderen, weil sie über fortschrittliche Mittel verfügt, ganz dicht an einen Hauptgegenstand des nanobiologischen Interesses heranzukommen - die Zelle, in der offenbar viel mehr los ist, als die Schulbiologie sich das träumen ließ. "

    Moderation: Nanobiotechnologie - Grenzgang zwischen Leben und Kristall
    ein Feature von Mathias Schulenburg

    " Wir sind in einer Gegend 80 Kilometer südöstlich von Berlin herunter gekommen, wenn Dir das was sagt. Erst über einen Wald geschwebt ..., "

    " ... dann auf einer Wiese gelandet. "

    " Was Du alles - außer dem Wasserglucksen - hörst, sind Lebewesen, die ausnahmslos aus Zellen bestehen, winzigen Säckchen, die es aber in sich haben. Die Zellen sind unterschiedlich groß, aber ein Zwanzigstel Millimeter ist ein guter Maßstab. Ich habe schon ein paar Fahrten mit dem NanoNautilus in diverse Zellen gemacht. "

    " In den Zellen spielen sich sagenhaft komplizierte Sachen ab, meistens im Nanometermaßstab. Den haben die Terraner technisch mehr und mehr im Griff, es gibt immer mehr Verbindungen zwischen Nanotechnologie und Biologie, weshalb sie die Schnittmenge Nanobiologie nennen. "

    Vieles von dem, was auf diesem Sektor passiert, kriegt man über Radio mit, besonders ... wie heißt er noch? Ja, Deutschlandfunk. September/Oktober hat es hier über dreißig größere Konferenzen zu Nanobiotechnologie gegeben, und das ist zu einem guten Teil Zellbiologie. Aber nicht nur, es geht auch um Nanopartikel und so fort ... Das hier war eine Veranstaltung der Europäischen Union in Edinburgh:

    Leonard Fass, bei General Electric Healthcare Direktor für Universitäts-Kontakte. Ein besonders viel versprechender Ansatz sei die Herstellung von Nanopartikeln, die in den Körper injiziert werden, dort durch die Blutgefäße kreisen und von außen, zum Beispiel durch Ultraschall, an der Körperstelle aktiviert werden, wo sie wirken sollen.

    " Diese Partikel können eine Chemikalie befördern, die Blutgerinnsel auflöst, aber die möchte man nicht im ganzen Körper wirksam werden lassen, weil das Blutungen zur Folge haben könnte. Die Wirkung soll nur da einsetzen, wo die Blutgerinsel sind. Dann nimmt man spezielle Nanopartikel, die Wirkstoff abgeben, wenn man sie mit Ultraschall bestrahlt. Unbestrahlte Nanopartikel werden einfach ausgeschieden. "

    " Der Ultraschall könnte im Kern der Nanopartikel z.B. eine Temperaturerhöhung auslösen, so dass sie platzen und die um den Kern gespeicherten Wirkstoffe freigeben. "

    " Die ultraschallempfindlichen Partikel gibt es noch nicht, aber ein anderes Partikelverfahren, gegen Krebs - bei Krebs gerät das Wachstum einer Zellgruppe außer Kontrolle - wird bereits in Kliniken erprobt. "

    Krebsgewebe hat einen beschleunigten Stoffwechsel, der es stärker als normales Gewebe für überhöhte Temperaturen empfindlich macht. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, diesen Effekt für eine Art Wärmetherapie zu nutzen, bei der die Temperatur des Tumors so gesteigert werden sollte, dass die Krebszellen abstarben. Die Versuche scheiterten, weil es kein Verfahren gab, den Tumor allein zu erwärmen, stets wurde auch benachbartes gesundes Gewebe in Mitleidenschaft gezogen. Jetzt steht ein Verfahren vor der Einführung, das mit Hilfe von Nanopartikeln - Partikel vom Durchmesser etwa eines hunderttausendstel Millimeters - allein Tumorzellen erhitzt und abtötet.

    Das vornehmlich von Andreas Jordan, Fakultätsmitglied am Universitätsklinikum der Berliner Charité und Geschäftsführer der MagForce Nanotechnologies GmbH in 15 Jahren Forschung voran getriebene Verfahren macht von speziellen Nanopartikeln Gebrauch. Die wurden vom Institut für Neue Materialien in Saarbrücken entwickelt und haben einen Kern mit 15 Nanometern Durchmesser. Der Kern besteht aus Magnetit, einem Material, das chemisch ähnlich wie Rost aufgebaut und magnetisch wie eine Kompassnadel ist.

    Wenn solche Nanopartikel einem schnell wechselnden magnetischen Feld ausgesetzt werden, versuchen deren Magnetfelder, sich darauf einzustellen, und dabei werden sie heiß. Diese so genannten MagForce-Partikel haben eine patentierte Hülle aus organischen und anorganischen Materialien, die sie vornehmlich in Krebszellen eindringen lässt und dort festhält. In einer Flüssigkeit schwebend, können sie mit einer Spritze aufgenommen und in den Tumor injiziert werden. Und dann, sagt Andreas Jordan:

    " Wird mit dem Feld kontaktlos von außen Energie in diese magnetischen Teilchen eingebracht und dadurch entsteht Wärme. Und wir können die Temperatur frei einstellen einerseits bis 45 Grad, dann ist es eine Kombinationstherapie, genannt auch Hyperthermie, wo also Bestrahlung und bestimmte Chemotherapeutika dazu kombiniert werden, aber wir können die Temperatur auch einfach durch die Magnetfeldstärke, die wir dort anwenden, beim Patienten erhöhen, so dass eine Thermoablation entsteht, bei Temperaturen bis zu siebzig Grad. Wird dann der Tumor oder das Tumorgewebe direkt praktisch verkocht wie das Frühstücksei. "

    Eine Mitte vorigen Jahres am Bundeswehrkrankenhaus Berlin abgeschlossene Studie an 65 Patienten mit einem Glioblastom, einem besonders heimtückischen Hirntumor, hat nach Ansicht von Andreas Jordan die Machbarkeit einer Nano-Partikel-Therapie voll bestätigt:

    " Da zeigte sich, dass wir erstmal eine exzellente Verträglichkeit dieser Therapie haben, wir haben einige Langzeitüberleber, wir haben Patienten, die generell länger gelebt haben als ihre Prognose war, wir haben uns nur Patienten vorgenommen, die alle konventionellen Therapien schon bekommen hatten und deswegen eine extrem schlechte Prognose von nur wenigen Monaten hatten, in unserer Studie sind die Patienten generell mehr als sechs Monate lebend gewesen und dann eben auch einige sehr viel länger. "

    Was die zuvor im Tierversuch gewonnenen Erkenntnisse bestätigte. Parallel dazu wurden Studien für andere Krebsarten begonnen, deren Ergebnisse noch ausstehen. Dazu gehören Prostatakarzinome, Gebärmutterhalskrebs und Lebermetastasen - das Verfahren verspricht auf viele Krebsarten anwendbar, also ähnlich universell wie eine Strahlentherapie zu werden, aber eben ohne Strahlen und deren Nebenwirkungen.

    " Der Nanopartikelsektor verspricht wohl besonders profitabel zu werden, es gibt jedenfalls eine Unmenge Vorschläge und Projekte. "

    Mit Nanopartikeln, versichert Leonard Fass, werde sich auch eine Art künstliches Blut herstellen lassen.

    " Da werden Partikel entwickelt, die eine 400fach höhere Sauerstoffkapazität haben als normale rote Blutzellen. Das gäbe Kunstblut für Unfall- oder Schlachtfeldverletzungen, oder beim Schlaganfall, allgemein, wenn der Patient nicht genug Sauerstoff hat. "

    " Zur Nanobiotechnologie gehört auch Mikroskopie, die hat sich in den letzten Jahren ebenfalls stark entwickelt. Mit Rasterkraftmikroskopen kommen sie an die atomare Auflösung heran, mit Elektronenmikroskopen mittlerweile auch. Aber das Innere lebender Zellen bleibt ihnen so verschlossen. Wenn sie wüssten, was sie in einem NanoNautilus alles zu sehen bekommen könnten. Schon der Auf- und Abbau dieser Mikrotubuli, des Zellskeletts, kleine Energiefabriken, Mitochondrien, die aus Rohmaterial Muskeltreibstoff herstellen. Ribosomen, die aus Anweisungen der Erbsubstanz Proteine machen ... "

    " Wenn sie auch sehen wollen, was in einer lebenden Zelle wirklich vor sich geht - das können sie nur mit Licht. Aber da schien es eine Grenze zu geben, nach der bei 200 Nanometern Schluss sein sollte. Viele interessante Sachen spielen sich aber in einem kleineren Maßstab ab. Diese Grenze lernen sie jetzt zu umgehen: "

    Die Meldungen. Göttinger Forscher entwickeln optische Mikroskope mit einer Auflösung unter der Beugungsgrenze.

    Strukturen, die kleiner als die halbe Wellenlänge des Lichts sind, lassen sich nicht auflösen. Göttinger Forscher durchbrachen nun diese Auflösungsgrenze. Mit einem geschickten optischen Aufbau lösten sie erstmals Strukturen von rund 30 Nanometern Größe auf, berichten sie im Fachblatt "Physical Review Letters". Diese Entdeckung vervielfacht nun die Genauigkeit, mit der Biologen lebende Zellen beobachten können. Auch bei der Herstellung optischer Datenspeicher und in der Mikrolithografie könnte diese Technik das Tor zu noch kleineren und leistungsfähigeren Strukturen aufstoßen.


    " In 20 Jahren sieht der Mikrokosmos für die Leute anders aus. "

    Nanobiologie ist zu einem großen Teil Zellbiologie und dazu gibt es interessante Geschichten. Lieber Kowalski, die Lebewesen hier - selbst die Menschen - schleppen alle ihre ferne Vergangenheit mit sich herum, ihre Erdgeschichte, na, wenigstens in Teilen. Man kann sie als Superkolonien von einmal unabhängigen Einzellern ansehen, die durch Kampf, aber auch und gerade Kooperation entstanden sind. Wenn Du nach den Ursprüngen des Bauplans für den Menschen suchst, sagt die Wissenschaft hier, musst Du nur in den nächsten Fluss greifen. Da lebt nämlich Hydra, der Süßwasserpolyp, ein sehr verbreitetes, harmloses Gebilde, keine drei Zentimeter lang.

    " Sie können nämlich zeigen, der Fuß der Hydra entspricht unserem Vorderhirn. Und das, was man eigentlich als Kopf der Hydra bezeichnet, mit Mundöffnung, ist eigentlich der After. Und diese Region, wo die Tentakeln dran sind, das entspricht nach den Genaktivierungen, die sowohl bei Vertebraten wie bei dieser Hydra da ist, kann man zeigen, dass das ungefähr unserer Mittelhirn-Hinterhirngrenze entspricht. Und der ganze Rumpf, der nachher sozusagen unsere Hauptmenge macht, der ist aus einem Teil entstanden, der hier zwischen dieser Mundöffnung und dem Tentakelkranz immer weiter eingesetzt worden ist. In diesen ganz frühen Zeiten ist schon eine Art genetischer Adressierung, Hausnummernvergabe, erfolgt, und heute (sind) natürlich auf den entsprechenden Hausnummern völlig andere Gebäude drauf. Aber sozusagen die Nummerierung die sind alle dieselben. "

    Hans Meinhardt, Professor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, der sich eingehend mit Musterbildungen in der belebten Natur befasst hat.

    " Hydra findet sich überall in den Flüssen, hier auch. (Schöpfgeräusch) Hydra ist nur eine kleine durchscheinende Röhre mit Tentakeln, bis zu drei Zentimeter lang, die einem Ende geschlossen ist. Und: Hydra hat der Nanobiotechnologie Einiges zu sagen. Wenn man nämlich dem Wasser, in dem Hydra lebt, Calcium entzieht, löst sich das Tier vollständig in einzelne Zellen auf. Macht man das Wasser wieder wie es war, finden die Einzelzellen wieder zu einem funktionstüchtigen Tier zusammen. Das finde ich verblüffend, und es ist kein Einzelfall. Man kann einen Meeresschwamm durch ein Sieb in einen Eimer mit Meerwasser pressen, das gibt eine Wolke aus Einzelzellen. Macht man das mit einem roten und einem gelben Schwamm, gibt es eine orangefarbene Wolke. Und dann trennen sich die Zellen wieder auf, in einen roten und einen gelben Schwamm. Dazu müssen die Zellen einander erkennen können. Wie das im Einzelnen geht, was sich an den Zelloberflächen abspielt, wenn sie aneinander vorbei Kriechen, finden sie hier wohl gerade heraus, das könnte das wichtigste nanobiologische Unternehmen werden. Es fängt damit an, dass sie jetzt die richtigen Instrumente haben ... "

    Christian Löbbe, Applikationswissenschaftler bei der Firma JPK Instruments, hat mit Instrumenten zu tun, die für die Erkundung des Mikrokosmos das Beste zweier Welten kombinieren, Kraft- und Lichtmikroskopie:

    " Kraftmikroskopie ist im nächsten Jahr 20 Jahre alt und hat begonnen im Bereich der harten Materie, im Bereich der Festkörperphysik, aber mittlerweile sind die Geräte soweit entwickelt, dass man auch biologische Proben, also Material, das von sich aus sehr weich ist, sehr hoch aufgelöst abbilden kann und das ist unsere Spezialität. Wir sind Kraftmikroskopiker, bieten Geräte an, Kraftmikroskope für den Bereich der biologischen Proben und haben uns da erfolgreich mit der optischen Mikroskopie zusammen getan, d.h. wir bieten die Kombination an mit optischen Mikroskopie, z.B. Fluoreszenzmikroskopie, d.h. Man erhält dann, wenn man Fluoreszenzmikroskopie zusammen mit Kraftmikroskopie durchführt, einmal aus dem fluoreszenzmikroskopischen Bild eine Volumeninformation und das lässt sich aus der Oberflächeninformation aus dem Kraftmikroskop ergänzen und hat praktisch aus einem Arbeitsgang zwei Informationen erhalten. "

    Was sich mit den Instrumenten herausfinden lässt, ist tatsächlich sehr interessant.

    " Es gibt eine interessante Anwendung für die Kraftmikroskopie im Bereich der Zellspuren. Zellspuren sind Hinterlassenschaften der Zellen, wenn eine Zelle sich vorwärts bewegt hinterlässt sie Zellspuren und die sind mit optischen Methoden fast nicht mehr zugänglich, weil sie winzig klein sind, im Bereich 100, 200, 250 nm, dass ist mit Fluoreszenzmikroskopie auch schon kritisch, aber mit Kraftmikroskopie kann man diese Zellspuren sehr gut sehen, sehr gut abbilden und z.B. auch sehr gut manipulieren. Man kann aus den Zellspuren mit der Tastspitze des Kraftmikroskops Bereiche herausschneiden und die dann evtl. zugänglich machen einer weiteren Analytik, wenn man nicht die ganze Zelle untersuchen will, denn Zellen reagiert als ganzes, der Zellkörper reagiert sehr empfindlich auf mechanische Einflüsse. "

    Mittlerweile kann man sogar die Kräfte und Leistungen messen, zu denen Zellen fähig sind:

    " Da gibt es eine Forschungsgruppe in Leipzig die sich dafür interessiert, wie viel PS hat eine Zelle unter der Motorhaube? Die Gruppe lässt Zellen gegen den Ta13ensor anfahren und kann dann aus der Verbiegung, die die Zelle an dem Tastsensor ausübt, ausrechnen, dass eine Zelle 10-21 PS aufbringen kann. Für so ein kleines Teil, eine Zelle ist gerade mal 10, 20, 30 Mikrometer groß und umschließt ein Volumen vom Bereich 10-15 Liter, ist das ganz beachtlich. "

    " Kowalski, ich kann nicht beurteilen, was hier zum Erfolg führen wird und was nicht, aber das folgende Projekt kommt mir schon sehr spannend vor. Hatten wir nicht etwas Ähnliches, vor unserer Mineralisation? "

    ... habe das Verständnis über die Vorgänge, die in einer lebenden Zelle ablaufen, doch noch erhebliche Lücken, sagte Günter Fuhr, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik, IBMT, in St. Ingbert und Koordinator des CellPROM-Projektes, an dem - von der EU gefördert - 27 europäische Teams mitarbeiten.

    " Das Interessante ist, dass man in den letzten dreißig Jahren fast alle Komponenten erforscht hat und das wir dieses Bild genau vor uns haben, aber wir verstehen dennoch nicht, wieso diese Zelle in dieser geordneten Form und so mannigfaltig reagieren kann, also das Grundprinzip der Organisation des Lebens auf der Ebene einer Zelle. "

    So sei es doch schon bemerkenswert, dass Organismen wie wir so formstabil sind, dass man einander noch nach zehn Jahren am Gesicht erkennen könne, wo die Duplikation des Erbgutes bei der Zellteilung doch mit Fehlern behaftet sei, die sich akkumulieren sollten. Für die Formstabilität sorgten auch Wechselwirkungen zwischen den Zellen, die sich gegenseitig beeinflussen könnten. Folgerichtig bedeute der Projektname CellPROM ...

    " "Zellprogrammierung", daher kommt dieser Name, und wir wissen heute z.B. bei der Embryogenese, werden die Zellen aus einem undifferenzierten Status in alle Zellen, aus denen später unser Körper besteht, das sind 220 verschiedene Zelltypen, differenziert. Also Muskelzellen, Nervenzellen, Fettzellen - alle diese Zellen entstehen dabei. "

    Die zunächst undifferenzierten Zellen sind natürlich Stammzellen. CellPROM arbeitet nicht mit embryonalen Stammzellen, sondern nur mit adulten, von Erwachsenen stammenden, deren Verwendung unumstritten ist. Man kann tatsächlich mit einem "Rückdifferenzierung" genannten Prozess solche Zellen in einen Zustand versetzen, in dem sie fast so universell entwicklungsfähig sind wie embryonale Stammzellen.

    Aber wie erfährt eine solche Zelle, die noch alles werden kann, was sie werden soll? Lange Zeit habe man die Antwort nur im genetischen Code gesucht, das aber sei nur die halbe Wahrheit, sagt Günter Fuhr. Der Werdegang einer Zelle werde vielmehr von ihrer unmittelbaren Umgebung vorherbestimmt, die sich die Zelle mit Millionen verschiedener Makromolekülnoppen auf ihrer Oberfläche gleichsam erschmecken und ertasten kann.

    " Die Zelle hat also Millionen von solchen Empfängern an der Oberfläche und sie empfängt diese Signale und damit wird dann z.B. auch die Genexpression angeschoben, das sind so komplexe Vorgänge, die im Einzelnen untersucht werden, dass wir sie während der Differenzierung z.B. gar nicht kontrollieren können. "

    Die Geschichte mit der Zellprägung durch Signale an ihrer Oberfläche ist Stand der Erkenntnis, neu ist: CellPROM will mit nanotechnologischen Methoden künstliche nanoskopische Noppenteppiche herstellen - die Noppen sind Makromoleküle, die mit den Makromolekülen der Zelle wechselwirken - und in Mustern angeordnet sind, die einer Zelle signalisieren, was sie zu werden hat:

    Nieren- oder Leberzelle, Haut- oder Fettzelle, was in einem Körper so verlangt wird. Wie genau die Muster aussehen sollen, ist Gegenstand der Forschung, CellPROM untersucht hierzu unter anderem die Struktur von Zellhäuten.

    " Diese Makromoleküle, die müssen eng beieinander liegen, wenn Sie eine Zelloberfläche anschauen, dann haben Sie ungefähr alle drei, vier Nanometer haben Sie ein neues Makromolekül, auch etwa von dieser Größenordnung. Das macht man sich nicht so deutlich, und in dieser Skalierung Oberflächen zu komponieren, auch dort müssen wir erst Techniken entwickeln. "

    Immerhin, es gibt da schon Einiges, das NanoINK-Prinzip etwa, das die geordnete Verteilung winziger Substanzmengen mit einem Rastersondenmikroskop gestattet, oder nanoskopische Stempeltechniken, das Ziel ist also nicht utopisch. Und wenn, wie vorgesehen, dereinst Automaten Stammzellen in Massen in Zellen, Zellverbände, der Wahl verwandeln, könnten künstliche, aber aus eigenem Körpermaterial hergestellte Organe, die vom Immunsystem unbehelligt bleiben, Wirklichkeit werden.

    " Das ist ja der Wunsch, der später dahinter steht, dass man gerne Gewebe erzeugen will, bei der Haut kann man das schon sehr gut, es wird immer so vollmundig versprochen, dass man eine Niere erzeugen könnte, der Weg ist noch weit, aber prinzipiell ist das natürlich möglich. "

    In vier Jahren Projektlaufzeit schon soll die massenhafte Zellprogrammierung durch nanostrukturierte Zellunterlagen möglich sein; wenn es klappt, dürfte in Europa Wissenschaftsgeschichte geschrieben worden sein. Und wenn nicht: Schon die am Rande entwickelten Techniken und gewonnenen Einsichten könnten den Aufwand wert gewesen sein.

    So weiß man, dass Zellen so schreckhaft sind, dass ein Stupser mit der Glaspipette ausreicht, tief greifende Wandlungen in ihnen auszulösen. Und die Trennung einer Zelle aus einem Zellverband, etwa um sie isoliert genauer untersuchen zu können, ist ein noch viel schwerer wiegender Eingriff. Aber folgenlos möglich, fanden die CellPROM-Leute, wenn man es ganz, ganz langsam macht:

    " Wir haben ein technisches System aufgebaut was so langsam ist wie die Zellen selbst sich bewegen. Die molekularen Prozesse bei Zellen sind sehr schnell, aber Zellen bewegen sich im Körper sehr langsam, z.B.20 bis 50 Mikrometer pro Stunde. Der Durchmesser eines Haares, das sind 100 Mikrometer, da kriegt man eine Vorstellung, wie langsam. Aber sie tun das sehr gerichtet, sehr kontinuierlich, und wir haben gesagt: Wenn wir sie manipulieren, z.B. Zellen von Oberflächen abheben wollen, warum machen wir es dann nicht so langsam? Das Bild wäre, wenn ich mit einem Auto schnell in eine Herde von Schafen hineinfahre, dann zerstöre ich die Schafe, das machen wir eigentlich jetzt mit unseren schnellen Techniken. Wenn ich aber ganz langsam reinfahre und die Laderampe eines Lastwagens vielleicht hinten aufmache und eine Plattform herunter lasse, dann läuft mir das eine oder Schaf hinein und ich kann es, ohne dass ich es kaputt gemacht habe, entfernen. Und genau das tun wir. "

    Vor der Entwicklung piezoelektrischer Antriebe für Rastersonden hätten sich die Wissenschaftler mit der erforderlichen Langsamkeit schwer tun müssen, jetzt zieht der Antrieb eines Rasterkraftmikroskopes Zellen schonend aus dem Stapel. Geschwindigkeit: Ein halber Haardurchmesser pro Stunde.

    Wenn CellPROM tatsächlich wie erwartet Erfolg hat, sollte die nanotechnologische Herstellung künstlicher Organe Realität werden. Der Bedarf, sagt Leonard Fass von GE Healthcare, ist groß.

    " Nanotechnologie kommt da auf verschiedenen Ebenen herein. Da braucht man Strukturen, eine Lebermatrix, an denen die Leberzellen Halt finden, und dann Kapillaren, sehr kleine, dafür braucht man Nanotechnologie. Also die Leber ist ein sehr wichtiges Organ, und es gibt heute weltweit mehr und mehr kritische Lebererkrankungen, sei es, dass die Leute zu viel trinken oder Hepatitis haben. "

    " Ja, die abendländische Lebensart hat ihren Preis. Immerhin, einen haben sie ja, der wirklich weiß, wo's lang geht, Stanislaw Lem. Die Nanobiotechnologie hat er vor fünfundzwanzig Jahren so beschrieben: "

    " Den ganzen gestrigen Tag habe ich im Museum verbracht. In der Technischen Abteilung bekam ich eine bakterielle Weberei zu sehen. Man musste sich nackt ausziehen, in einen wannenähnlichen Behälter steigen und eine Viertelstunde in der lauwarmen Lösung zubringen, um im fertigen Anzug, maßgeschneidert vom Bacterium Sarteriferum (dem Schneiderstäbchen), an Land zu steigen. Das gute Stück brauchte nur an den entsprechenden Stellen aufgetrennt zu werden, damit man es ausziehen, bügeln und in den Schrank hängen konnte. Knöpfe brauchte man nicht anzunähen, sie entstanden im Schrank aus der erstarrenden Absonderung winziger, durch Gen-Ingenieurskunst umfunktionierter Motten. Parallel zur biotischen Mikroingenieurskunst war mittlerweile die Automatisierung fortgeschritten, und die Zahl der Arbeitslosen wuchs in geometrischer Reihe. Der Staat schwankte unter der Last der Subventionen. Arbeit wurde zur Ausnahme, Arbeitslosigkeit zur Regel. "

    " Sie gehen den gleichen Weg wie wir. Ich muss zugeben, dass das wässrige Leben seine Reize haben mag, da sind Düfte und Melodien in der Luft - wo sie etwas übrig gelassen haben natürlich nur ... "

    " Aber vielleicht ist der romantische Ansatz in der wässrigen Phase ohnehin verfehlt. Auch dass die Vögel nicht aus reiner Lebensfreude singen, wissen sie mittlerweile, übersetzt heißt das hier ungefähr "Top-Federn! Top-Farben! Komm her, Baby, hol Dir ne fette Larve ab, und guck Dir meine Unterfedern an, mit denen müssen die Kinder nicht frieren im Winter! (Rivale hämmert) Hä?! Hau ab, Stinkschnabel, such Dir selber 'n Revier! " Na, und so weiter. Werde gespannt sein, was bei alledem rauskommt. "