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Nanoschicht für freie Sicht

Technik. - Wer sein Auto in kalten Winternächten mangels Garage auf der Straße parkt, muss am nächsten Morgen früher aus den Federn, um erst einmal den Eiskratzer zu schwingen. Abhilfe für Millionen Betroffene mit vor Kälte klammen Fingern versprachen Fraunhofer-Forscher 2006. Sie wollten einen beheizbaren Nanolack entwickeln, der auf Knopfdruck im Nu für freie Sicht sorgt.

Von Ralf Krauter | 03.03.2009
    Es gibt Dinge im Leben, auf die man gut verzichten könnte. Die Eisschicht auf der Autoscheibe empfinden morgens nur wenige als Bereicherung. Ist das Eis abgekratzt, geht der Stress drinnen weiter. Solange es im Wagen noch kalt ist, kondensiert die Atemluft an der Frontscheibe. Wer freie Sicht haben will, muss deshalb hektisch wischen.

    Schluss mit Eiskratzen und beschlagenen Scheiben – das versprach 2006 eine Pressemitteilung der Fraunhofer Technologie-Entwicklungsgruppe TEG in Stuttgart. Deren Ingenieure wollten einen beheizbaren Nanolack entwickeln, der im Winter für Durchblick sorgt – und zwar viel effizienter als die Leiterschleifen der Heckscheibenheizung. Millionen Betroffene wurden hellhörig - und warten bis heute auf die Markteinführung.

    "Letztlich geht es darum, dass wir Kohlenstoff-Nanoröhrchen versuchen zu verarbeiten, und das auf industriellem Maßstab."

    Ivica Kolaric leitet die Abteilung für funktionelle Verbundwerkstoffe der Fraunhofer TEG. Mit speziellen Ingredienzien, den Kohlenstoff-Nanoröhrchen, versucht er, Kunststoffen neue Eigenschaften verpassen. Weil die winzigen Kohlenstoff-Makkaroni Strom hervorragend leiten und dazu tendieren, sich untereinander zu vernetzen, lag es nahe, elektrisch leitende Plastikfilme herzustellen, die sich beim Anlegen einer Spannung erwärmen.

    "Wir haben festgestellt, das ist jetzt mittlerweile fünf Jahre her, dass wir sehr effiziente Widerstandsheizungen aufbauen können. Das Interessante an dieser Widerstandsheizung ist, dass Sie sie streichen können. Sie haben also eine Farbe, die sie auflackieren und dann als Heizung nutzen können. Und in diesem Heizungssektor ist die Königsdisziplin sozusagen der transparente Lack – beispielsweise für die Autofrontscheibe. Und was wir eben gemacht haben, als wir publiziert haben vor zwei Jahren, dass wir’s können: Auf Funktionsmusterbasis können wir die Enteisung nachbilden."

    Viele Oberklasse-Limousinen haben bereits heute beheizbare Frontscheiben. Doch für Mittelklasse-Autos sind die etablierten Technologien zu teuer, erklärt Fraunhofer-Forscher Kolaric.

    "Der Vorteil von diesem Material ist eigentlich, dass wir eine relativ kostengünstige Scheibenheizung machen. Unsere Heizung generell ist eben ausgelegt auf zwöf bis 14 Volt – und auch von der Transparenz her geeignet. Wir glauben, dass wir eine günstige Low-Cost-Alternative damit anbieten können."

    Vorläufigen Kalkulationen zufolge würde die komplette Frontscheibenheizung 20 bis 30 Euro kosten. Weil die Nanobeschichtung kaum Wärme speichert, setzt sie die elektrische Energie fast komplett in Hitze um. Die Scheibe wird nicht punktuell, sondern großflächig erwärmt, Eis und Beschlag verschwinden im Nu. Allerdings nur, sofern die Kohlenstoff-Nanoröhrchen völlig gleichmäßig auf der Scheibe verteilt sind. Eine knifflige Aufgabe, denn die Winzlinge neigen zum Zusammenklumpen.

    "Wenn sie Agglomerate haben, würden Sie die A sehen auf ihrer Scheibe. Also Sie hätten das Gefühl, eine verstaubte Scheibe zu haben. Weiterhin ist bei so einem Agglomerat das Problem, dass die einen Hotspot bilden können. Sie applizieren dann eine Spannung und die Scheibe heizt sich auf. Und Sie haben aber stellenweise Temperaturspitzen. Und genau an diesen Temperaturspitzen kann quasi die Selbstzerstörung der Heizung eben beginnen. Und deswegen brauchen sie eine sehr homogene Dispersion."

    Um den beheizbaren Nanolack kostengünstig und extrem gleichmäßig auf Scheiben aufbringen zu können, hat Kolarics Team in den vergangenen Jahren verschiedene Beschichtungstechniken erprobt und die Rezeptur immer weiter verfeinert.

    "Dadurch haben wir jetzt an die fünf bis sechs Komponenten drin, die aber der Geheimhaltung unterliegen. Weil durch diese Kombination der Komponenten schaffen wir es überhaupt erst, diese Multi-Wall-CNT in so einem Maßstab zu dispergieren und auch zum Teil auszurichten, dass wir diese Leitfähigkeit bekommen, die für eine Frontscheibe notwendig ist."

    BMW und Daimler haben den Heizlack aus Stuttgart bereits getestet. Mit einem der beiden Hersteller will Ivica Kolaric ihn nun zur Serienreife entwickeln. Außerdem sei man mit der Deutschen Bahn im Gespräch, sagt er, wegen der ICE-Frontscheiben. Gut Ding will manchmal eben Weile haben. In diesem Fall dürfte sich das Warten lohnen. Der Eiskratzer hätte dann nämlich ein für allemal ausgedient.