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Napoléon, eine Messe wert

Der Pariser Kongresspalast ist ein modernes Beton-Monster am Stadtrand; hier würde man nichts weniger suchen als die Atmosphäre der Napoleon-Zeit. Und doch: Schon an den Rolltreppen stehen Gardeoffiziere in voller Uniform und stimmen die Besucher auf eine durchaus merkwürdige Veranstaltung ein. Zwei Stockwerke höher, und man betritt den Kosmos eines sanften Fanatismus, das Universum der verspäteten Bonapartisten, deren Reden, Denken, Kaufen und Sammeln um jenen Superman der europäischen Geschichte kreisen, der sich vor 200 Jahren in Paris zum Kaiser krönte.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Das Milieu der Napoleon-Fans umfasst alle Schichten der Gesellschaft. Da gibt es Leute, die sich zum Zeitvertreib kostümieren und in alten Uniformen die historischen Schlachten nachstellen, und am anderen Ende der Palette gibt es den Geschichtsprofessor Jean Tulard, der gewissermaßen der Papst der Napoleonforschung ist. Dazwischen haben wir Tausende und Abertausende von Leuten, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen für die Epoche interessieren, und als Direktor der Fondation Napoléon finde ich das natürlich prima, denn unser Ziel ist es ja, die allgemeine Kenntnis über Napoleon zu fördern. Dieser Enthusiasmus ist also sehr sympathisch, interessant und im übrigen völlig unschädlich.

    Thierry Lenz befindet sich inmitten von 70 Messeständen, die ein Wochenende lang beweisen, dass das Premier Empire, das Erste Kaiserreich, in Frankreich noch sehr viele Anhänger hat. Verkauft werden Bücher, Möbel und Geschirr, jede Menge Zinnfiguren und sogar winzige Plastikbeutel mit echter belgischer Erde vom Schlachtfeld Quatre Bras; die Portion zu fünf Euro. Schlachten werden auch an Tischen nachgespielt von Alt und Jung, es gibt sogar Computer-Animationen, die das ganz Alte mit dem ganz Jungen verbinden.

    Im Zusammenhang mit dem 200. Jahrestag der Kaiserkrönung fand in der Pariser Madeleine-Kirche eine Gedenkmesse statt und mehr als 50 Konferenzen, Messen und sonstige Veranstaltungen zeugen von einer gewissen Erinnerungslust der Franzosen in Sachen Napoleon. Doch alle diese Feiern sind privat. Der Staat, sonst sehr dem Zelebrieren zugeneigt, hat es vorgezogen, sich bei Napoleon herauszuhalten.

    Von jeher hieß es bei uns: Die Revolution ist eine Sache der Linken und das Kaiserreich eine der Rechten. Deshalb hätte unsere Regierung, die ja eine rechte ist, eigentlich den Anlass feierlich begehen müssen. Aber diese alten Regeln gelten nicht mehr. Heutzutage gibt es auch viele linksstehende Persönlichkeiten, die über Napoleon forschen. Und außerdem wollte unsere Regierung, die sich gerade gegen die letzte Supermacht der Welt gestellt hat, offenbar nicht zu stark an jene Zeit erinnern, da Frankreich eine Supermacht war und seinen Willen ganz Europa aufzwang.

    In der Tat, das Andenken an Napoleon ist ebenso problematisch wie erbaulich, doch mit Besessenen lässt sich darüber schwerlich diskutieren. Der Kult aber, den der "Salon du 1er Empire" entfaltet, zeugt von Besessenheit. Wie sonst würde sich die fortgesetzte Neuproduktion von Porzellanwaren mit Napoleons Emblem erklären, die Vase für 400 Euro? Und wie der Spaß am tagelangen Tragen von Kostümen?
    Das Ehepaar Nölemans aus Düsseldorf promeniert zwischen den Verkaufsständen der Napoleon-Messe in prächtiger Aufmachung: Er in weißer Ausgehuniform mit hohen Stiefeln, sie im Schleppenkleid einer vornehmen Dame.
    Und Napoleon, der unseren Kontinent militärisch, juristisch und sozial so gründlich umpflügte, besaß bekanntlich eine magische Ausstrahlung auf Menschen, sodaß sie sich ihm ganz ergaben und ihm bis in den Tod gehorsam dienten. Es scheint, als wirke ein Teil dieser Strahlung noch nach zwei Jahrhunderten.