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Napoleonische Verwaltungsreform

In den Jahren 1805 bis 1809 verkörperte der französische Kaiser Napoleon die großen und kleinen Träume der geschlagenen Deutschen. Mit ihm wollte man eine neue Zeit, ein bewohnbares Land, einen reformierten Staat. Und nicht zuletzt auch einiges an moderner Verfassung - von der Entmachtung der Kirchen über ein gerechteres Zivilrecht bis zu national gesonnenen Militärs. Solchen Hoffnungen entsprach Napoleon zum Beispiel, als er vor 200 Jahren der Stadt Berlin eine neue Verwaltung "verpasste" - mit einem conseil municipal und einem comité administratif.

Von Jochen R. Klicker | 29.10.2006
    Den 27. Oktober um drei Uhr hat der Kaiser mit der gesamten Garde, dem Kürassierkorps und der Artillerie seinen triumphierenden Einzug in Berlin gehalten. Es war prächtiges Wetter, die ganze Bevölkerung der Stadt auf den Straßen und alle Frauen an den Fenstern. Und in denselben Straßen, in denen so häufig Beleidigungen gegen den Kaiser ausgestoßen worden sind, hörte man ein tausendfach wiederholtes "Vive l'empereur!", in welches, ohne eben die fremden Worte auszusprechen, mancher Berliner einstimmte und "Das ist er!" einer dem anderen zurief. Der Kaiser ritt beständig Schritt und bewies dadurch, dass seine "Furchtsamkeit" allein in den Gehirnen derjenigen existierte, die ihm dieselbe zugeschrieben hatten.

    So berichten kurz nach der vernichtenden Niederlage Preußens in der Schlacht von Jena und Auerstedt deutsche und französische Augenzeugen von der Besetzung Berlins im Herbst 1806. Sie erzählen jedoch nicht nur viel erstaunlich Positives, sondern wissen auch von den Härten der Besetzung zu berichten. Allen ärgerlichen Belastungen voran die Einquartierung der weit mehr als zehntausend Soldaten Napoleons - täglich mehrere Mahlzeiten inbegriffen. Was schriftlich genau geregelt und allenthalben öffentlich bekannt gemacht worden war. Vor allem den ärmeren Schichten der Stadt fiel es schwer, die Bedingungen zu erfüllen. So ging schnell ein Murren durch die Stadt, was Bequemlichkeit" und Begehrlichkeit" der Einquartierung betraf.

    " Man erzählte sich, wie die Feinde Frühstück, Mittagbrot, Vesper und Abendbrot erlangten, und zwar - mit Entsetzen ward es ausgesprochen und angehört - Kaffee, Bouillon, Braten, und dazu Mostrich, Weißbrot und ... Wein! Man denke sich, ein Soldat Wein, das war mehr als man je geglaubt hätte. Und es wurde angenommen, dass die Stadt deshalb geschont worden, um langsam aufgezehrt zu werden, "

    erzählt der Hugenottennachkomme Canvas George, als er sich an seine Kinderjahre erinnerte.

    Doch die Besetzung durch eine Truppe, die sich immer noch dem Geist der Revolution und der Aufklärung verpflichtet fühlte, brachte auch einigen Fortschritt. So wurden nach Jahrhunderten feudalistischer und militärischer Unmündigkeit die Berliner Bürger nachdrücklich aufgefordert, sich endlich selbst verantwortlich um ihre Angelegenheiten - und die ihrer Stadt - zu kümmern. Denn nach der Flucht des Königs Friedrich Wilhelm III. und seiner Frau Luise nach Ostpreußen war der preußische Gouverneur abgesetzt worden. "Vive l'empereur" und "Unser Dämel ist in Memel", schrieen die Berliner Straßenjungen, als sie die 2000 zur Oberschicht gehörenden Berliner Bürger am 29. Oktober 1806 zur Petrikirche begleiteten, wohin sie der Kaiser befohlen hatte,

    " um aus ihrer Mitte einen Conseil municipal von 60 Personen zu wählen. Dieser wiederum wählte dann das siebenköpfige Comité administratif, das die Stadtverwaltung in Händen hatte. Zu diesem Verwaltungsgremium gehörte auch der Goethe-Freund Carl Friedrich Zelter, gelernter Baumeister, volkstümlicher Komponist und Direktor der Berliner Singakademie. Napoleon persönlich überwachte den demokratischen Charakter der Wahl und bestätigte sie.

    Als erstes erhielt das Comité den Auftrag, die Beschlagnahmen und Einquartierungen der französischen Armee durchzuführen und alle Befehle der französischen Behörden auszuführen, sowie eine Bürgerwehr von 2000 Mann aufzustellen, welche die öffentliche Ordnung und Sicherheit gewährleistet. "

    So heißt es in den Unterlagen zur Berliner Historiale 2006. Die neue - durchaus "demokratisch" zu nennende - städtische Selbstverwaltung ebnete dann auch den liberalen Vertretern des Adels sowie bürgerlich-patriotischen Kräften den Weg in längst überfällige Umwälzungsprozesse in Preußen. Die wiederum führten unter dem Vorzeichen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien, von 1807 bis 1813 zu tiefgreifenden Reformen im Zivil- und Verwaltungsrecht sowie beim Militär. Und die neue Städteordnung erlaubte den Berlinern, schon 1808 erstmals Stadtverordnete zu wählen und einen Magistrat zu bilden. Der französische Gouverneur von Berlin ebenso wie der Stadtkommandant sahen's mit Wohlwollen, so dass der zeitgenössische Chronist notierte:

    " Beide Generale waren leutselig und ließen sich von jedermann sprechen - vom einfachsten Mann bis zum Stadtverordneten. Auch handelten sie gewöhnlich im Interesse des Bürgers, stets aber mit Gerechtigkeit. "

    Dass jedoch Napoleon der Stadt gleichzeitig gewaltige Summen abpresste, so dass sie zum Abzug der französischen Truppen viereinhalb Millionen Taler Schulden hatte, trübte schnell das Klima "gerechten Einverständnisses". Am 4. März 1811 rücken die letzten Franzosen unter dem Spott und den Anpöbeleien des einfachen Volkes ab. Eine Woche später jubelt dasselbe Berlin, das ein paar Jahre zuvor Napoleon hatte hochleben lassen, den ersten russischen Kosakeneinheiten als Waffenbrüdern und Befreiern Preußens zu.