Archiv


"Nargis" und die Folgen

Seit fast 20 Jahren herrscht die Junta in Birma ohne Verfassung. Die Militärregierung missachtete immer wieder demokratische Grundsätze - auch als sie das Land in Myanmar umbenannte, ohne die Bevölkerung zu fragen. Nun lässt die Junta kaum ausländische Hilfsorganisationen ins Land.

Von Nicola Glass |
    Seit einer Woche harren unzählige erschöpfte Menschen im schwer verwüsteten "Irrawaddy"-Delta aus. Es gibt kaum Nahrung und kaum sauberes Wasser. Ihre Häuser und Hütten sind dem Erdboden gleichgemacht, die Reisfelder überflutet. Verwesungsgeruch liegt in der Luft. Es drohen Seuchen und Krankheiten – wegen der vielen ungeborgenen Leichen. Besonders die Kinder und die Schwachen sind akut gefährdet.

    Die meisten sind dort auf sich selbst angewiesen. Birmas Militärregierung sperrt sich seit Tagen dagegen, weitere ausländische Hilfsorganisationen, vor allem aus dem Westen, einreisen zu lassen. Das Volk ist mittlerweile so wütend auf die Generäle, dass darüber spekuliert wird, ob diese sich noch lange an der Macht halten können.

    Zunächst müsse den Sturmopfern geholfen werde, betont Saw David Thakapaw von der Exilvereinigung "Nationalrat der Union Birma". Politische Veränderungen durch diese Naturkatastrophe seien möglich, wenn auch nicht sofort:

    Saw David: "Dass sich jetzt nach dieser Katastrophe viel tun wird, glaube ich nicht. Auf jeden Fall möchten wir zuerst einmal, dass die internationale Gemeinschaft ins Land kommen und umfassende humanitäre Hilfe leisten darf. Viele Regionen sind betroffen, so viele Menschen starben und so viele sind verletzt. Ihre Häuser sind zerstört, sie brauchen wirklich viel Unterstützung."

    Birmas Generäle aber, die ihr Land gern nach außen abschotten, haben derzeit nur eines im Kopf: Das Referendum, in dem das Volk über eine neue Verfassung abstimmen soll.

    Kritiker sagen, der von der Junta initiierte Verfassungsentwurf sei nur dazu da, die Herrschaft der Generäle auch künftig zu sichern. Er sieht vor, die unter Hausarrest stehende Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi von den Wahlen in 2010 auszuschließen. Ein Viertel der Parlamentssitze will die Junta für Angehörige des Militärs reservieren.

    Derweil kämpfen die Menschen ums nackte Überleben. Der Autor Zin Linn lebt heute in Thailand. In Birma war er jahrelang ein politischer Gefangener. Er geht davon aus, dass die Bevölkerung der Junta beim Referendum einen Denkzettel verpassen wird.

    Zin Linn: "Selbst nach dem Sturm haben die Militärs nichts unternommen, um Hilfsmaßnahmen einzuleiten, indem sie Wasser oder Medikamente bereit gestellt hätten. Das Volk fragt sich, auf wen es sich eigentlich verlassen kann, es ist sehr frustriert. Es gibt keine Unterkünfte, kein Essen, keine Kommunikationsmöglichkeiten. Deswegen könnte alles darauf hinaus laufen, dass die Menschen den Verfassungsentwurf ablehnen."

    Das thailändische Städtchen Mae Sot ist von Bergen und Dschungel umgeben. Es ist Anlaufstelle für Migranten und Flüchtlinge, auch viele Exilbirmesen leben hier. Von Mae Sot sind es über einen Fluss und eine Brücke nur wenige hundert Meter bis zum birmesischen Handelszentrum Myawadi. Der an Thailand grenzende Karen-Staat, in dem eine ethnische Minderheit Birmas lebt, ist ebenfalls vom Sturm betroffen. Genaue Informationen aber gibt es darüber bisher nicht.

    Die Junta hatte erklärt, sie wolle den Termin für das Referendum in den Katastrophengebieten um zwei Wochen verschieben. Doch eine Menschenrechtsorganisation berichtet, dass Dorfbewohner im Karen-Staat bereits zur Abgabe von "Ja"-Stimmen gezwungen worden sind.

    Die Militärs, sagt der Autor Zin Linn, nutzten die Notlage im Land aus, um das Referendum zu manipulieren:

    "Sie ziehen ihren Vorteil aus dieser Situation. Sie haben angeordnet, dass Regierungsangestellte, Polizei und Soldaten bereits vorab ihre Stimmen abgeben sollten, mit der Begründung, dass ja jederzeit ein weiterer Notfall eintreten könne. Sie bestellen die Regierungsangestellten in ihre Ministerien ein und diese müssen ihre Stimmen vor den Autoritäten abgeben. Dabei besagen die Regeln des Referendums, dass die Stimmabgabe geheim sein muss."

    Ähnlich äußert sich auch der Ladeninhaber Freddy. Der hagere Burmese lebt seit Jahren im thailändischen Mae Sot. Seine Heimat Birma habe er verlassen, weil er seine Familie nicht mehr ernähren konnte, erzählt er. In Thailand stehen seine Chancen besser. Freddy meint, dass das Ergebnis des Referendums längst fest steht.

    Freddy: "”Ich denke, dass die meisten mit Nein stimmen möchten, aber sie werden wohl dennoch mit Ja stimmen. Die Leute tun das aber nicht aus ihrem Herzen heraus, sondern aus Angst vor der Militärregierung.""

    Menschenrechtler und Dissidenten rufen die Militärjunta dazu auf, das Referendum angesichts der Katastrophenlage zu verschieben. Schon in den vergangenen Wochen hatten sie zum Widerstand gegen den umstrittenen Verfassungsentwurf aufgerufen. Die Aktivisten waren auf die Straßen gegangen und hatten rote T-Shirts mit der Aufschrift "No" getragen. Viele wurden daraufhin verhaftet oder verprügelt.

    Die Unzufriedenheit mit dem Militärregime gärt schon lange und es ist möglich, dass die Menschen bald wieder öffentlich protestieren werden. So wie sie es im vergangenen Jahr getan haben.

    Es waren Birmas Mönche, welche die friedliche, von den Militärs gewaltsam niedergeschlagene Demokratiebewegung im September 2007 angeführt hatten. Auch jetzt, nach der verheerenden Sturmkatastrophe, erweisen sich die Robenträger als Retter in der Not. Sie helfen den Anwohnern, umgestürzte Bäume und Schutt zu beseitigen. Und in ihren Klöstern gewähren sie den Sturmopfern, so gut es geht, Unterschlupf.

    Dem Mönch Ashin Pyinnya Jota ist im Februar die Flucht aus seiner Heimat nach Thailand gelungen. Ein Kloster im Grenzgebiet hat ihn aufgenommen. Für ihn nur ein Zuhause auf Zeit. Der 48jährige ist führendes Mitglied der "All Burma Monks Alliance". Die Organisation hatte bei den September-Protesten die entscheidende Rolle gespielt.

    Die Junta hatte damals keinerlei Skrupel, auf Mönche und andere Zivilisten schießen zu lassen. Bereits zweimal war Ashin Pyinnya Jota verhaftet worden. Über Birmas politische Zukunft sagt er:

    "Das Wichtigste wird sein, welches Ergebnis das Referendum hervorbringt. Ich denke, dass alle demokratischen Kräfte die gleiche Volksbewegung initiieren würden wie 1988 oder im September 2007. Aber egal, ob die Militärs bei der Abstimmung gewinnen oder verlieren werden, sie werden der ganzen Welt erzählen, dass das Volk die Militärregierung unterstützt. Sie werden in ihrer Politik fortfahren – auch gegen den Willen der Bevölkerung. Daher glaube ich, dass die Menschen wieder auf die Straße gehen werden."

    Nicht nur ihr klägliches Krisenmanagement nach dem Zyklon "Nargis" könnte die Militärs auf Dauer ihre politische Macht kosten. Saw David Thakapaw vom "Nationalrat der Union Birma" betont:

    "Die Unzufriedenheit im Volk wird zunehmen. Seit der Ermordung der Mönche gibt es ein wachsendes politisches Bewusstsein. Und es wird zunehmenden Widerstand gegen die despotische Herrschaft der Militärs geben. Es wird sich etwas verändern. Wahrscheinlich nicht innerhalb der nächsten sechs Monate, aber vielleicht in einem Jahr."