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Narkose

Pro Jahr werden in Deutschland rund 8 Millionen Narkosen gegeben. Also jeder zehnte Bundesbürger erhält einmal im Jahr eine Betäubung bei einem chirurgischen Eingriff oder bei diagnostischen Maßnahmen. So eine Vollnarkose weckt im Vorfeld Ängste: wie groß ist das Risiko, daß man nicht mehr aufwacht? Oder, was passiert, wenn die Narkose nicht lange genug wirkt?

Renate Kiesewetter | 19.06.2001
    Wer vor einer Operation steht , fragt danach, wie sicher eine Narkose ist. Sicherheitsstandards, die Anfang der 80er Jahre in den USA eingeführt wurden, sind seit 1995 auch bei uns in Deutschland Pflicht , erklärt Professor Hugo Van Aken von der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin der Universität Münster:

    Alle Anästhesien werden durchgeführt unter engmaschiger Kontrolle der vitalen Parameter, das bedeutet Blutdruck, Pulsfrequenz, aber auch die Sauerstoffaufnahme im Blut mit ein Pulsoxymetrie, das ist ein Gerät, um die Sauerstoffsättigung im Blut festzustellen, und auch mit einem sog. Kapnographie, ein Gerät, was die Ausatmung, die Co2, die ausgeatmet wird in die Luft kontinuierlich misst. Wenn man diese Sicherheitsstandards benützt, das ist das Sicherheitsrisiko ganz gering.

    Für die Sicherheit von Narkosen ist das Verfahren unerheblich: ob der Patient vor der Operation ein intravenöses Narkotikum erhält, per Nadel in die Vene gespritzt oder eine Inhalationsnarkose per Beatmungsmaske. Auch die Wahl der verschiedenen Medikamente ist sekundär. Nur die Entscheidung zwischen Regionalanästhesie, also örtlicher Betäubung einzelner Bereiche oder Körperteile, und Allgemeinanästhesie, wie die Fachleute die Vollnarkose nennen, macht bei der Sicherheit einen Unterschied. Hugo van Aken weist auf eine neue Studie hin, die im Dezember 2OOO im British Medical Journal veröffentlicht wurde.

    Auch das muss man individuell betrachten, allerdings gibt es jetzt vor kurzem eine groß angelegte Metaanalyse von über 10.000 Patienten, die haben die 3O-Tage-Mortalität untersucht bei Patienten unter Regionalanästhesie, bei Patienten unter Allgemeinanästhesie für den gleichen operativen Eingriff und konnten da feststellen, dass die 30-Tage-Mortalität mit 30 Prozent reduziert war.

    Örtliche Betäubung ist nach dieser Studie also um ein Drittel sicherer. Der Trend könnte in Zukunft dahingehen, immens wichtig etwa für die plastischen Chirurgen , denn die in den USA immer häufiger gewünschten Fettabsaugungen, wies eine amerikanische Studie nach, bergen ein 5O mal höheres Risiko, an der Narkose zu sterben als alle anderen Eingriffe.

    Neben dem tödlichen Narkoserisiko bleiben noch weitere Risiken. Die häufigsten Schäden nach einer Anästhesie sind Zahnbeschädigungen und Nervenläsionen. Bei Gedächtnisstörungen, oftmals eine Kombination von operativem Trauma und Narkose sind vor allem ältere Patienten, über 65 Jahren betroffen.

    In die großangelegte Studie, die von die Europäische Gemeinschaft unterstützt gewesen ist, konnte man feststellen, dass die Patienten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe Patienten über 70 Jahre tatsächlich Gedächtnisstörungen hatte, ungefähr 10 Prozent. Diese Störungen waren nach 3 Monaten nur noch zu 5 Prozent vorhanden, nach 6 Monaten fast vollständig verschwunden.

    Nicht verschwinden werden so schnell psychische Störungen bei Patienten, die während der Operation wach wurden, weil die Narkose zu flach war. Oftmals kann ein Anästhesist bei ganz instabilen, mehrfach traumatisierten Patienten nach schweren Unfällen oder mit akuten Blutungen nicht hochdosieren, sonst könnte der chirurgische Eingriff selbst todbringend sein. Hugo van Aken weiß, dass es bei normalen Anästhesien relativ selten auftritt.

    Rechnet man eine Inzidenz von 1 auf 1O OOO Patienten, die evtl intraoperativ wach werden, das bedeutet xxx 5 Millionen Allgemeinanästhesien, das sind ... 5OO Patienten.Das ist eine beträchtliche Zahl darf man nicht verneinen, das muss man akzeptieren, und wenn ein Patient darüber bespricht, dann muß mit ihm ausführlich diskutieren, sonst kann das führen zu nächtliche Albträume, die den Patienten schwer beeinträchtigen.

    Und die neu entwickelten Kontrollgeräte, die per EEG Hirnströme oder akustisch evozierte Potentiale verrechnen, sind noch nicht ausgereift. Da muss die Forschung noch einiges leisten, bis man die Geräte in ein paar Jahren verlässlich einsetzen kann. Bis dahin ist der Anästhesist auf eine lückenlose Beobachtung des Narkosepatienten angewiesen. Er bemerkt einmal an den Geräten den schnelleren Puls, den höheren Blutdruck.

    Zweitens haben wir gelernt, dass wir für viele Operationen keine Muskelrelaxantien mehr brauchen und in dem Moment, wo ein Patient wach wird, er sofort ein Zeichen geben, mit seiner Hand, eine Handbewegung, eine Fußbewegung, der macht sich schon bemerkbar Der Anästhesist merkt es schon an diese somatischen Zeichen.

    Und doch sind einige Fragen noch offen. So ist es nur folgerichtig, wenn auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie in Nürnberg die Anästhesisten die Bundesregierung aufforderten, ein zentrales Melderegister für Narkosen einzurichten. Sie, erhoffen sich davon, dass Qualitätsprobleme frühzeitig entdeckt und Ursachen von Narkosezwischenfällen erforscht werden können. Sie seien jedenfalls bereit, die entsprechenden Daten zu erheben und zu melden, so der Präsident der Gesellschaft, Professor Eberhard Götz, damit die Sicherheit der Narkose noch weiter erhöht werden könne.