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Narrenfreiheit und Punkrockfaktor

Beim Bundesvision Song Contest belegten sie 2005 nur Platz 14. Aber das schadete dem Erfolg der Anarcho-Techno-Hip-Hop-Combo Deichkind ganz und gar nicht. Auf ihrer aktuellen Tour "Befehl von ganz unten" begeisterten sie ihre Fans mit Plastiktüten-Performances und ab und zu auch mit gesellschaftskritischen Tönen.

Von Dennis Kastrup | 03.11.2012
    Philipp Grütering: Nach dem zweiten Album waren wir eigentlich ziemlich ausgebrannt und relativ weit unten. Da wollten wir den Laden eigentlich auch schon dichtmachen und haben gesagt, wir spielen jetzt noch ein paar Konzerte und machen die Musik auch mal ganz anders. Wir waren es auch leid, immer diese Klischees. Deutscher Hip-Hop war damals sehr im Kommen. Wir haben das versucht zu adaptieren und sind dann auf diese Elektroschiene gegangen. Das ging gar nicht unbedingt um die Musik, sondern eher um die Einstellung, wie man auf der Bühne agiert und so weiter. Diese Freiheit auf der Bühne, die hat uns sehr gut getan. Das hat das Publikum gemerkt; dass da was passiert, was anders ist als Klischee. Da ging es dann langsam wieder bergauf. Das war 2005. Damals hatten wir so einen kleinen Clubhit "Remmidemmi", den sich jeder illegal runtergeladen hat und dadurch kannte uns jeder. Dann ging es weiter bergauf und daran haben wir halt angeknüpft und sind da, wo wir jetzt sind.


    Dennis Kastrup: Was Sie jetzt gerade beschrieben haben, heißt das dann, dass eigentlich gar nicht so die eigene künstlerische Ausrichtung der Musik verantwortlich war für die Veränderung, sondern schon die Live-Komponente wichtig war und dass darauf auch gezielt wurde?

    Grütering: Ganz genau. Die Musik war im Grunde genommen nebensächlich. Die war auch eher hingeklatscht, also gar nicht mal groß ausgeklügelt gesagt: "Ja, die wird jetzt so und so komponiert", sondern die haben wir sehr...fast punkig eingespielt, also einfach nur Musik gemacht, um frei zu sein. Das, was ausschlaggebend war, war wirklich die Einstellung, also wirklich zu sagen: Wir brechen jetzt mit allen Konventionen und ziehen uns Müllsäcke über und kleben uns mit Gaffa zu und setzen Pyramidenhelme auf, irgendein Quatsch. Dadurch hat man eine gewisse Narrenfreiheit auch erlangt, so eine Kritikresistenz quasi. Das hat uns sehr stark gemacht und alle auf eine Art zusammengeschweißt, weil wir eigentlich auch nichts zu verlieren hatten.

    Kastrup: Hat es Sie überrascht, dass, vielleicht im Vergleich zu dem, was Sie vorher gemacht haben, Quatsch auf einmal dann so beliebt wurde?

    Grütering: Ja wirklich. Das hat uns auch sehr erstaunt, weil wir eigentlich gar nicht mehr vorhatten, mit den Sachen berühmt zu werden, sondern den Laden an die Wand zu fahren und dann sind wir aber eigentlich durch die Wand durchgebrochen. Wir haben gemerkt, dass das, wenn man sich frei bewegt, attraktiv ist für ein Publikum.

    Kastrup: Apropos Quatsch: Ich habe gehört, dass Sie auf Ihren Konzerten auf einem großen Bierfass in die Arena. Stimmt das?

    Philipp Grütering: Ja, das stimmt.

    Kastrup: Ist das nicht ein bisschen zu platt?

    Grütering: Es ist sehr platt, aber das ist auch gerade das Wichtige daran, um aus diesem Kunstkontext wieder herauszukommen. Wenn es zu ernst wird, dann wird es für mich zum Beispiel auch zu traurig. Das muss auch manchmal wieder unterhaltenden Wert haben. Deswegen haben wir uns für das Fass entschieden.

    Kastrup: Die Texte tragen ja schon auch immer eine kritische Botschaft in sich. Inwieweit ist es möglich, diese Botschaft in so einem Kontext des Liveauftritts auch rüber zu bringen? Glauben Sie, dass das überhaupt in dem Moment aufnahmefähig ist, oder geschieht das eher, wenn die Menschen die Musik vorher konsumieren?

    Grütering: Ich denke, das passiert auch während der Show. Da denke ich schon, dass man auch die ruhigen und kritischen Momente, die wir dort machen oder aufbauen, dass die schon sehr deutlich gesehen werden von den Fans und vom Publikum. Und das ist uns auch wichtig, dass wir da nicht einfach so als eine Partyband gesehen werden. Das sieht man bei der Show.

    Kastrup: Die Hallen werden immer größer. Auch bei dieser Tour werden die Hallen immer größer. Haben Sie dann nicht irgendwann auch mal an einem Punkt die Angst, dass sich das zu sehr in der großen Halle verliert.

    Grütering: Uns ist schon bewusst, dass wir eine Mainstreamband sind. Das waren wir aber auch schon immer. Da haben wir auch gar keinen Hehl daraus gemacht. Diese Art Dialektik, die zum Beispiel in "Leider Geil" steckt, die steckt auch in uns. Wir haben auch einen Teil in uns, der sagt: "Wir würden gerne Punkrock sein und wir wollen gerne bestimmte Botschaften rüberbringen und so weiter". Aber wir wollen auch Geld mit der Band verdienen und wir wollen unseren Lebensunterhalt verdienen. Das ist ein wirklich spannender Punkt, der zu bearbeiten ist quasi. Also wenn man wirklich sagt, unser Ziel ist immer größere Hallen, dann muss einem bewusst sein, dass der Punkrockfaktor quasi auch so ein bisschen flöten geht. Das ist schon richtig. Das ist aber eine Frage der Zielsetzung.

    Kastrup: Es ist also wirklich eine Zielsetzung der Band, immer größere Hallen zu spielen?

    Grütering: Ja, weil wir tatsächlich auch immer größere Kosten haben, was die Bühnenshow betrifft. Also wir haben wirklich so komplexe Apparaturen auf der Bühne, dass da sehr viel Gewinn auch flöten geht.

    Kastrup: In dieser Bühnenshow findet ja auch immer das Symbol der Pyramide und das Dreieck statt. Die Symbolik des Dreiecks hat das für Sie eine Bedeutung oder war das reiner Zufall?

    Grütering: Symboliken sind generell toll, damit zu experimentieren. Wir haben einfach gemerkt, dass man mit Symboliken auch eine große Resonanz hervorrufen kann. Man kann nicht sagen, dass es Zufall war, aber wir haben es dann doch forciert, das beizubehalten, weil man gemerkt hat, wenn man mit Symboliken spielt, auf der Bühne auch, dass das eine gewisse Resonanz hervorruft. Die Dreiecke, ja. Es wird ja auch oft gesagt, dass es eine Pyramide ist. Es ist ja gar keine Pyramide. Es ist ein Tetraeder. Wir haben die ja nicht erfunden. Es gibt ja andere Bands, die das auch schon benutzt haben. Es ist einfach ein schönes Spiel damit.

    Kastrup: Sie haben auch einen Song über das Internet: "Illegale Fans". Die ganzen Videos, die Sie online stellen, sind auch alles Bruchstücke aus anderen Videos - online gefunden. Wie wichtig ist das für Sie, dass Sie auch das Netz benutzen, um sich selber davon auch ein Nutzen zu machen?

    Grütering: Das Netz ist ja ein sehr weites Feld und für uns ist das Netz wirklich ein sehr wichtiger Faktor, was gerade die Kommunikation mit unseren Fans betrifft. Also wir benutzen Facebook. Wir haben auch einen Youtube-Kanal. Da merkt man wirklich den Unterschied zwischen, keine Ahnung, zwischen unserer dritten und der jetzigen Platte, dass es damals eigentlich noch überhaupt nicht stattgefunden [hat]. Musiker in den 80ern, ich weiß gar nicht wie die das früher gemacht haben. Da gab es eine Postadresse und da konnte man hinschreiben und dann konntest du dir ein Autogramm holen. Da hattest du mal Glück, wenn da irgendwie mal geklappt hat. Heute bist du sehr nah dran an dem Fan. Das ist toll für uns, den wirklich zu sagen, was wir machen und was wir in Zukunft vorhaben. Solche Sachen sind halt sehr wichtig für uns.

    Kastrup: Sie haben auch auf Facebook ein Statement abgegeben: "GEMA, macht mal eure Hausaufgaben und klärt das endlich mal, damit unsere Videos auf Youtube zu sehen waren". Warum war dieses Statement wichtig?"

    Grütering: Wir haben im Zuge unseres fünften Albums angefangen, uns über Themen Gedanken zu machen: "Über was reden wir eigentlich?" Da fiel uns sozusagen der Titel "Illegale Fans" in einem Brainstorming ein und das fanden wir interessant, dass es wirklich so Terme wie Raubkopie zum Beispiel gibt, dass man eigentlich kriminalisiert wird, wenn man Sachen runterlädt. Wir haben uns überlegt, wie verpacken wir das? Wir haben das in einem sehr zynischen Ton verpackt, "Illegale Fans", aus der Sicht eines Downloaders quasi, eines Fans. Dann kam die zweite Single "Leider Geil". Da wurde das Video gesperrt. Das hat uns geärgert, weil Youtube einfach für uns wichtig ist. Wie viele Leute sich das angucken, ist eigentlich fast wichtiger als eine Chartplatzierung. Dann haben wir unser Statement abgegeben: Regelt das mal bitte! Wir wussten zu dem Zeitpunkt auch gar nicht, hat das die GEMA jetzt sperren lassen? Oder die Plattenfirma? Oder Youtube? Das waren fast 100.000 Leute, die das geliked haben. Da haben wir richtig in so ein Wespennest gestochen. Da sind wir quasi in die Debatte reingegangen. Da haben wir festgestellt: Wir werden in der Öffentlichkeit erst einmal in die Piratenecke gedrängt in der Öffentlichkeit. Wirklich viele große Zeitungen, "Süddeutsche" oder "Spiegel", die haben uns [so gesehen]..."ja da ist jetzt jemand der sieht das so". Aber für uns war das sehr schwierig, weil das ein komplexes Thema ist, weil wir einfach Künstler sind, selber in der GEMA sind und selber von Urheberrechten leben, aber auf der anderen Seite auch sehen, dass das Netz wirklich sehr viele Umwälzungen betreibt und sich wirklich was ändert und sich das Urheberrecht auch wirklich ändert und dass da was getan werden muss. Das war schon sehr spannend, sich wirklich damit mal auseinanderzusetzen, diesem ganzen Ding. Da sind wir quasi reingeschlittert.

    Kastrup: Sie persönlich sind Vater. Wenn ich die Musik und die ganze Bühnenshow jetzt sehe, könnten Sie sich genau dasselbe, was Sie jetzt machen, in 20 Jahren noch einmal vorstellen, weil es ja eine sehr dynamisch-junge Show eigentlich ist?

    Grütering: Also unser Vorbild sind ja immer die Harlem Globetrotters. Die gibt es ja auch ungefähr seit 100 Jahren. Die ursprünglichen Mitglieder, die gibt es ja schon längst nicht mehr. Die haben ja immer wieder Frischzellkuren durchlebt und haben neue Mitglieder engagiert. Ich denke mal, in 15 Jahren wird mein Sohn auf der Bühne stehen.