"In der volkstümlichen Überlieferung hat Nasreddin Hodscha Züge von einem Sozialrebellen. Von einem, der den grausamen Tyrannen furchtlos die Stirn bietet, die Mächtigen dem Gelächter preisgibt. Und das tut er so geschickt, dass man ihm dabei nichts anhaben kann."
Die Geschichten von Nasreddin Hodscha sind Celal Özcan bestens bekannt. Özcan ist Chefredakteur der Europaausgabe der türkischen Tageszeitung Hürriyet und wuchs förmlich mit den Geschichten auf. Denn in allen türkischen Familien werden die Anekdoten nach wie vor weitergeben. Sie werden seit Jahrhunderten mündlich überliefert. Welcher Türke kennt nicht mindestens einen Schwank des tapferen Alltagshelden, Schlitzohrs und Querdenkers Nasreddin. Celal Özcan hat viele Geschichten des Schelms in einem zweisprachigen Buch zusammengetragen. Nasreddin Hodscha ist nicht nur in der Türkei bei Kindern und Erwachsenen sehr populär, sondern auch in der übrigen islamischen Welt - und auch im westlichen Europa.
"Er nimmt die Gesellschaft auf den Arm - und auch sich selbst"
Celal Özcan: "Bildlich dargestellt wird Nasreddin Hodscha meist als islamischer mittelalterlicher Gelehrter, der mit einem überdimensionalen Turban auf dem Kopf und verkehrt herum auf dem Esel sitzt. Er entspricht aber keinem Klischeebild, schon gar nicht dem eines strengen muslimischen Geistlichen. Ganz im Gegenteil, er ist schlagfertig, witzig und unkonventionell, respektlos - ja sogar subversiv. Nasreddin Hodscha ist ein Menschenkenner. Er durchschaut die Beziehungen in den Familien, zwischen den Nachbarn und Freunden. Er nimmt die Fehler, die Widersprüche, die Feigheit, die Dummheit, die Doppelmoral und Aufrichtigkeit in der Gesellschaft auf den Arm und sich gleich auch selber mit dazu natürlich."
Die Bauern wollen vom Hodscha wissen: 'Hodscha, der heilige Fastenmonat Ramadan geht zu ende. Was meinst du, war er mit uns zufrieden?' 'Wenn er nicht zufrieden wäre', erwidert der Hodscha, 'würde er dann jedes Jahr zehn Tage früher kommen?'
Kritik an Religion, Moral und den gesellschaftlichen Werten sind bei dem mittelalterlichen Protagonisten Nasreddin Hodscha immer wieder zu finden. Ob er tatsächlich gelebt hat, ist allerdings nicht sicher. Im 13. oder 14. Jahrhundert soll der Hodscha in der westanatolischen Stadt Sivrihisar geboren sein, später nach seinem Studium an der theologischen Hochschule Aksehir unterrichtet haben und dort verstorben sein. In seinen Geschichten ist er mal als Gelehrter, mal als Prediger und mal als Kaufmann unterwegs, so Celal Özcan.
"Er feilscht mit Allah auf Augenhöhe"
"Nasreddin fordert die Leute immer auf, die Dinge von einer ganz anderen Seite zu betrachten. Dabei bricht er natürlich viele Tabus. Das ist meines Erachtens ein ganz wichtiger Aspekt seiner Geschichten, der Tabubruch. Er ist einer, der sich wirklich über Konventionen, Regeln und Gesetze total hinwegsetzt. Und dass er ein muslimischer Würdenträger ist, wenn auch nur ein kleiner Hodscha, macht ihn ja als Figur noch reizvoller. Denn er feilscht mit Allah gleichsam auf Augenhöhe und beschwerliche religiöse Vorschriften wischt er einfach beiseite."
Der Hodscha geht zum Gebet in die Moschee, doch bei der rituellen Waschung reicht das Wasser nur für einen Fuß. Mit dem ungewaschenen Fuß begibt er sich in die Moschee und verrichtet das Gebet auf einem Bein. Als die Leute ihn so sehen, verspotten sie ihn: 'Was für ein Gebet soll das sein, lieber Hodscha?' 'Tja, das ist ein Gebet mit einem ungewaschenen Fuß', gibt der Hodscha zurück.
Für Mouhanad Khorchide, Professor für islamische Theologie an der Universität in Münster, ist Nasreddin Hodscha einer der größten und prominentesten Humoristen in der islamischen Geschichte. Die Figur Nasreddin zeige unter anderem, dass der Islam in Geschichte und Gegenwart Humor, Witz und Satire kenne. Auch der islamische Prophet Muhammad soll nach islamischen Überlieferungen auf viele Dinge gelassen reagiert und sich nicht auf Provokationen eingelassen haben, so Mouhanad Khorchide. Und möglicherweise hätte Muhammad auch über die von ihm existierenden Karikaturen gelacht.
"Der Humor hat eine islamische Tradition"
"Gerade Witz und Humor ist gerade in der islamisch-arabischen Welt, wo politische Restriktionen stark sind, ein Ventil, um ihre Sorgen zum Teil zum Ausdruck zu bringen. Man kann schon sagen, dass der Humor eine islamische Tradition hat. Problematisch natürlich in der islamischen Ideengeschichte ist, auch heute, muss man zugeben, wenn es um Polemik Gott und Propheten und anderen islamischen Figuren und Propheten allgemein gegenüber geht, da hat man Respekt davor, Gott oder den Propheten in die Pfanne zu hauen und jetzt sich über sie lustig zu machen, da sind schon aus Gründen des Respekts, wo man sagt, darüber machen wir keine Witze."
Der Hodscha predigt in Konya in der Moschee. 'Der Himmel in dieser Stadt', sagt er zu den Gläubigen, 'ist derselbe wie bei uns in Aksehir.' 'Woher weißt du das?', fragen die Gläubigen. 'Hier gibt es genauso viele Sterne wie in Aksehir. Wenn ihr es nicht glaubt, zählt sie', antwortet der Hodscha.
Satire und Humor haben in der Türkei lange Tradition. Der politische Druck am Bosporus ist nicht neu, auch er hat von der osmanischen Zeit bis heute eine lange Tradition. Und der Humor ist eine Möglichkeit, damit umzugehen. Der einfache und direkte Satirestil liegt den Türken nicht so sehr, eher, wie eine türkische Soziologin sagt, "feiner Sprachwitz, spitze Federn und viel Ironie". Darum stehen nicht wenige Satiriker und Karikaturisten auch in der Tradition eines Nasreddin Hodscha.
"Der Hodscha als Symbol des Weinens"
In der Türkei sind Satiremagazine wie Leman, Uykusuz und Penguen sehr beliebt und etabliert. Die Auflagezahlen sind vergleichsweise hoch. Auch für Nasreddin Hodscha war es nicht immer einfach, sagt Celal Özcan - wie für heutige Satiriker. Aber:
"Gerade in repressiven politischen Verhältnissen schlägt er sich klug und raffiniert durch. Gerade die Menschen in solchen Gesellschaft entwickeln ja einen subversiven Humor - und dieser subversive Humor hat in der Türkei eine sehr lange Tradition. Also der türkische Satiriker Aziz Nesin sagte einmal über Nasreddin Hodscha, es sei der einzige Mensch, der vor seiner Geburt und nach seinem Tod gelebt hat und der große Dichter Nazim Hikmet beschreibt ihn nicht als Symbol des Lachens, sondern als Symbol des Weinens."